Grenzach-Wyhlen Aufregendes und Unbekanntes

Jürgen Scharf
Cornelius Holdermann wandelte bei seinem Orgelkonzert in Grenzach-Wyhlen auf wenig ausgetretenen Seitenpfaden der Orgelliteratur. Foto: Jürgen Scharf Foto: Die Oberbadische

„Einspringer“ Cornelius Holdermann begeisterte bei Konzert in der katholischen Kirche St. Michael.

Grenzach-Wyhlen - Cornelius Holdermann ist ein Organist der seltenen Spezies, die rotzig-freche amerikanische Harmonien mag. Das zeigt der ehemalige Schopfheimer Kantor in einem mitreißenden Vortrag von bekannten Spirituals wie „Swing Low“ oder „Amazing Grace“ und ganz besonders fetzig in Bachs Badinerie à la Jazz von Richard Eliott.

Gastorganist aus Berlin sagt Veranstalter kurzfristig ab

Der letzte Programmabschnitt des Konzerts am Samstag in der katholischen Pfarrkirche St. Michael in Grenzach beleuchtete die nordamerikanische Orgelszene mit ihrer Jazzaffinität. Gerade der US-Amerikaner Eliott aus Salt Lake City hat einen wunderschönen Jazzstil, der Holdermann auch sehr liegt. Der Organist war so etwas wie ein rettender Engel bei dieser Veranstaltung des Projektateliers Wyhlen von Ulrich Kaiser, da der ursprünglich vorgesehene Gastorganist aus Berlin kurzfristig absagte. Und in so kurzer Zeit ein so interessantes und abwechslungsreiches Programm aus dem Ärmel zu schütteln – alle Achtung!

In so einem Fall hätte man doch eher vermutet, dass ein „Einspringer“ sich auf die sichere Seite begibt und ein akademisches Programm vorlegt. Nicht so Holdermann. Zwar könnte der das auch mit links, aber er hat kein Potpourri gängiger Orgelhits mitgebracht, sondern Aufregendes, Unbekanntes.

Im ersten Teil stellt sich Holdermann, der längere Zeit in Portugal gelebt hat, als beredter Anwalt von Orgelmusik aus Südeuropa vor, darunter portugiesischen Renaissancetänzen und einer Toccata im klassischen Stil. Natürlich hat ein so profunder Organist und Kirchenmusiker wie er das Repertoire für den Kultus drauf. Und er weiß auch, was wäre die Musik ohne Variation?

So hat er im zweiten Abschnitt des Konzerts mit liturgischer Orgelmusik für das Kirchenjahr die Variationsform als Schwerpunkt herausgestellt. In all diesen stilistischen Bereichen zeigt er sich als Sachwalter der Musik eines Bach, Dupré oder Hermann Schroeder mit einfühlsamen sowie souveränen Interpretationen, in den Toccaten mit ausgefeilter Technik und den Variationen mit klaren Klangvorstellungen. Und er setzt bis zum Schluss glanzvoll alle Mittel der Kubak-Orgel ein.

Aber es war nicht nur ein Abend des genussreichen Orgelerlebens für Liebhaber des königlichen Instruments mit einem Orgelkönner, der gern auch die entsprechenden Seitenstraßen geht, sondern gleichzeitig eine musik-literarische Soiree. Ulrich Kaiser las drei kurze Texte von Albert Schweitzer, dem großen Bach-Kenner und einem von Kaisers Vorbildern, passend zum Thema Entschleunigung.

Der Elsässer, Mediziner und Friedensnobelpreisträger Schweitzer, selber ein begnadeter Organist und Bachspieler, hat nicht nur ein Standardwerk über Johann Sebastian Bach verfasst, sondern auch andere nachdenkens- und bemerkenswerte Texte in den 1950er Jahren geschrieben, die aufzeigen sollten, „wie aktuell seine damaligen Ideen waren“. Abhandlungen über Maschinen und Maschinenmenschen, die ein Maschinenherz in der Brust haben, sowie eine Jugenderinnerung des Lambarener Urwalddoktors über ein Erlebnis aus seinem siebten Lebensjahr beim Steineschleudern auf Vögel, wo sich schon früh der Humanist und Pazifist zeigt.

Durch die zusätzlichen Lesungen wurde es zwar ein langer Abend, aber einer mit musikalischen Entdeckungen und philosophischen Denkanstößen.

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