Grenzach-Wyhlen Betrug oder Lücke?

Die Oberbadische
Der Zoll überprüft regelmäßig, ob auf Baustellen abgabentechnisch alles mit rechten Dingen zugeht. Foto: Archiv Foto: Die Oberbadische

Gericht: Geschäftsführer einer früheren Baufirma angeklagt

Der ehemalige Geschäftsführer einer inzwischen liquidierten Baufirma aus Grenzach-Wyhlen und zwei weitere Mitstreiter stehen derzeit wegen des Verdachtes auf Sozialbetrug vor Gericht. Eine Frage ist: Wurde bewusster Betrug begangen oder einfach nur das damals geltende EU-Recht geschickt ausgenutzt?

Grenzach-Wyhlen (dr). Wegen mutmaßlichen gemeinschaftlichen „Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt“ hatte die Staatsanwaltschaft Lörrach die drei Männer vor dem Schöffengericht Lörrach angeklagt. Hinter dieser juristischen Formulierung verbirgt sich das Nichtabführen von Sozialversicherungsbeiträgen von Arbeitnehmern.

40 „Selbstständige“

Erster Angeklagter ist der 61 Jahre alte frühere Geschäftsführer der liquidierten Baufirma. Diese hatte zum Tatzeitpunkt im Jahr 2013/14 ihren Geschäftssitz in Grenzach-Wyhlen. Vor Gericht steht auch ein 38 Jahre alter Mann, der bei der Firma als Bauleiter und stellvertretender Geschäftsführer tätig war. Der dritte Angeklagte ist der 43-jährige Geschäftsführer eines Bauunternehmens in Hamburg. Er hatte die Firma des 61-Jährigen als Subunternehmen beschäftigt.

Letztere hat von Januar 2013 bis März 2014 Trockenbauarbeiten auf der Baustelle des Hochrhein-Centers in Rheinfelden ausgeführt. Bei einer Betriebsprüfung war aufgefallen, dass der Geschäftsführer ausschließlich Rumänen beschäftigte – und zwar als selbstständige „Ein-Mann-Firmen“. Die Finanzkontrolle Schwarzarbeit sah diese Beschäftigten als Scheinselbständige an.

Das Geschäftsmodell

Für rumänische Staatsangehörige habe bis Ende 2013 noch keine uneingeschränkte Arbeitnehmerfreizügigkeit gegolten, bekräftigte der Angeklagte. Um einen Rumänen als Arbeitnehmer beschäftigen zu können, habe man eine Genehmigung der Agentur für Arbeit gebraucht. „Für rund 40 Leute habe ich diese Genehmigung beantragt, aber alle Antrage wurden abgelehnt.“ Als Selbstständige hätten diese Männer aber arbeiten dürfen. Also habe er diese als „Gesellschafter“ in seine Firma aufgenommen, zudem jeden einen Gewerbeschein beantragt und auch bekommen. „Ich hatte zeitweise an die 100 Gewerbescheine bei mir liegen“, sagte der 61-Jährige.

Jeder „Gesellschafter“ habe einen in die rumänische Sprache übersetzten Gesellschaftervertrag unterschrieben. Laut diesem Vertrag sollten 70 Prozent der erwirtschafteten Einnahmen entsprechend ihrer Arbeits-leistung an die Gesellschafter ausbezahlt werden. Er, der Geschäftsführer, sei den „Gesellschaftern“ gegenüber auch nie weisungsbefugt gewesen. Viele hätten zwischendurch auch für andere Auftraggeber gearbeitet, bekundete der 61-Jährige. Der Bauleiter habe nur für die Koordinierung der Arbeiten auf der Baustelle gesorgt. Dies müsse sein, damit die Arbeiten ineinandergreifen.

Der vom Zoll und der Staatsanwaltschaft erhobene Vorwurf, er hätte die Leute fest einstellen sollen, sei widersinnig. „Damit hätte ich mich erst recht strafbar gemacht, denn die Arbeitsagentur verweigerte ja die Arbeitsbewilligungen“, betonte der frühere Geschäftsführer.

71 Fälle in 15 Monaten

Der Staatsanwalt hatte für den Tatzeitraum von 15 Monaten 71 Fälle von Sozialversicherungsbetrug aufgelistet. Dabei soll eine Summe von 508 128 Euro nicht abgeführt worden sein. „Schon das kann nicht stimmen, denn in dem Zeitraum habe ich nur 656 000 Euro an die Gesellschafter ausgezahlt.“

Kein Zeuge erscheint

Von den acht geladenen Zeugen – alles Rumänen – ist kein einziger zur Verhandlung gekommen. Das Schöffengericht unter Vorsitz von Dietrich Bezzel musste erkennen, dass die neben dem 61-Jährigen angeklagten Männer mit dem Hauptvorwurf nur wenig zu tun hatten. Das Verfahren gegen den 38 Jahre alten Bauleiter wurde daher eingestellt. Das Verfahren gegen den 43-jährigen Geschäftsführer der Hamburger Baufirma wird gegen eine Geldauflage von 10 000 Euro ebenfalls ad acta gelegt.

Die Verhandlung gegen den Hauptangeklagten wird fortgesetzt. Drei weitere Verhandlungstage sind terminiert (wir berichten noch).

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