Grenzach-Wyhlen Der alles wusste

Tim Nagengast
Wäre in wenigen Tagen 92 Jahre alt geworden: Erhard Richter † (Archivfoto) Foto: Manfred Herbertz

Nachruf: Dr. Erhard Richter ist kurz vor seinem 92. Geburtstag gestorben. Herausragende Persönlichkeit.

Grenzach-Wyhlen - Wie ein Lauffeuer hat sich am Dienstagabend die Nachricht vom Tode Erhard Richters verbreitet. Der hochverdiente Ehrenbürger der Gemeinde Grenzach-Wyhlen sowie weit über die Region hinaus bekannte und geschätzte Pädagoge und Heimatforscher ist nur wenige Tage vor seinem 92. Geburtstag friedlich entschlafen.

Erhard Richter war das lebende Nachschlagewerk der Gemeinde Grenzach-Wyhlen, ein Zeitzeuge ersten Ranges, dazu ein allseits gefragter Ratgeber. Sein Wort hatte Gewicht, sein Wissensschatz schien unermesslich. Richter war – ohne Übertreibung – „der, der alles wusste“.

Mit ihm verliert die Gemeinde Grenzach-Wyhlen nicht nur einen profunden Kenner und Bewahrer der Heimatgeschichte sowie verdienten Ehrenbürger, sondern ein Stück ihres Gedächtnisses. Denn wann immer man mit Grenzach-Wyhlen befasst war, kam man früher oder später nicht an Richter vorbei. „Sell cha Ihne bstimmt de Herr Dokter Richter beantworte“, war ein respektvoll ausgesprochener Satz, den auch der Autor dieser Zeilen in schöner Regelmäßigkeit vernahm. Und diesen Rat gerne annahm.

Ratgeber, der sein Wissen gerne teilte

Aus so manchem „Bsüchle“ wurde ein langer und gehaltvoller Nachmittag am Richter’schen Wohnzimmertisch in den Grenzacher Winkelmatten. Stets bei frisch aufgebrühtem Tee und Kuchen von Richters rühriger Frau Erika. Da wurden Karten ausgebreitet, es wurde in Büchern geblättert und eifrig notiert. Denn Richter war – ohne Übertreibung – ein ewig sprudelnder Quell. „Dodrzue hätt’ i Ihne grad no öbbis, do ha’n i emol öbbis gschrybe“, sagte er gerne und deutete dabei auf den beeindruckend bestückten Bücherschrank in seinem Arbeitszimmer.

Auch im hohen Alter freute er sich sehr, wenn sein Wissen gefragt war. Regelmäßig mündete dieses Wissen dann in Berichte für unsere Zeitung, die Richter entweder selbst verfasste oder der Redaktion mit seinem Detailwissen aushalf. Sein letzter Artikel in der Oberbadischen ist erst vor zweieinhalb Wochen erschienen und widmete sich dem ehemaligen Warmbacher Siechenhaus.

Lehrer, Heimatforscher und gefragter Autor

Auch für den im vergangenen November präsentierten Film „Grenzach-Wyhlen zwischen Rührberg, Rhein und Reben“ von Gusty Hufschmid und der Oberbadischen hatte Richter sich eingesetzt, sich Zeit für ein Interview genommen und stets gerne im Hintergrund bei der Klärung von Fragen mit historischem Bezug geholfen.

Erhard Richter war das, was man früher einen „Universalgelehrten“ nannte. Als erster Leiter des vor 50 Jahren gegründeten Progymnasiums und heutigen Lise-Meitner-Gymnasiums schuf der Oberstudiendirektor i. R. sich bleibende Verdienste um das Schulwesen in der Doppelgemeinde.

Als Heimatforscher galt sein Interesse vor allem der römischen Vergangenheit der Region sowie den Flurnamen. Seine 1957 geschriebene und fünf Jahre darauf als Buch veröffentlichte Dissertation trug den Titel „Die Flurnamen von Wyhlen und Grenzach in ihrer sprachlichen, siedlungsgeschichtlichen und volkskundlichen Bedeutung“. Weitere Bücher widmete Richter den Flurnamen von Inzlingen, Herten/Rheinfelden, Welmlingen und Schallbach.

Enormes schriftliches Vermächtnis

Hohe Beachtung finden seit ihrem Erscheinen die beiden Bände der „Beiträge zur Geschichte von Grenzach-Wyhlen und Umgebung“ (1999 und 2011), mit denen Erhard Richter eine Chronik seiner Heimatgemeinde vorgelegt hat. Des Weiteren hat Richter – neben vielen weiteren – über die Jahre mehr als 100 Beiträge und Aufsätze für die Reihe „Das Markgräflerland“ (Geschichtsverein Markgräflerland) verfasst. Anno 1990 übernahm er den Vorsitz des Vereins, den er bis 2011 und nochmals in den Jahren 2014/15 innehatte.

Auch die „Jahreshefte“ – besser: Bücher – des von ihm 1980 mitgegründeten Vereins für Heimatgeschichte Grenzach-Wyhlen bereicherte Richter bis zuletzt mit profunden Beiträgen, in denen stets seine tiefe Liebe zur Region mitschwang.

„Vater“ der Grenzacher Römervilla

Einer seit der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Grenzach nachgewiesenen Familie entstammend, sah Richter sich stets mitverantwortlich, die Dinge vor dem Vergessenwerden zu bewahren. Nicht umsonst reagierte er – wie er einmal erzählte – „blitzartig“, als er anno 1983 aus dem Urlaub nach Hause zurückkehrte und vom Abbruch eines Hauses an der Hauptstraße hörte. Genau an jener Stelle, von der er wusste, dass man etliche Jahre zuvor schon einmal Mauerreste festgestellt hatte. „Ich habe geahnt, dass da mehr ist. Ich bin da oft herumgeschlichen“, sagte Richter einmal. Das Ergebnis dieses blitzartigen Reagierens und seiner Ahnung kann man heute in Form des „Regionalmuseums Römervilla“ besichtigen, als dessen „Vater“ Richter gilt.

Die von ihm geleitete Arbeitsgruppe Archäologie des Vereins für Heimatgeschichte engagierte sich obendrein stark bei der Freilegung und Dokumentation weiterer römischer Siedlungsreste in der Region, darunter beispielsweise in Brombach und Schwörstadt.

Zeitzeuge und lebendiger Erzähler

Noch im vergangenen Herbst verfolgte Erhard Richter aufmerksam den Umzug der historischen Zehnttrotte an ihren neuen Standort. Bis vor wenigen Wochen traf man das Ehepaar Richter zudem stets bei gesellschaftlichen Anlässen, Konzerten und Festen in der Doppelgemeinde an. Obendrein gehörte der tägliche Spaziergang vom – wie der Volksmund sagt – „Richter-Eck“ (Hebelstraße/Winkelmatten) zum Emilienpark für Erhard Richter dazu. Mit seinem „Wägeli“ ging er gerne dort spazieren.

Es gab eigentlich kein Thema, dem Erhard Richter aus dem Weg ging. Man konnte ihn einfach alles fragen.

Mitbegründer der Burgfestspiele Rötteln

Geistig rege und herzlich, wie er war, gelang es ihm beim Erzählen, die Schwarz-Weiß-Bilder im Kopf des Zuhörers farbig auszufüllen. Sei es, wenn er von seiner Kindheit als Sohn des Grenzacher Waldhüters berichtete, oder auch von seiner Zeit als 17-jähriger Kriegsteilnehmer, der nach kurzer Gefangenschaft noch einmal die Schulbank drückte, um das Abitur zu machen.

Doch auch dem Theater galt Erhard Richters Zuneigung. So hat er im Jahr 1966 die Burgfestspiele Rötteln mitgegründet. Erst 2002 gab er deren Vorsitz ab. Während mehrerer Jahre führte Richter auf Rötteln zudem die Regie. Er selbst verfasste das Bühnenstück „Markgraf Ernst und der Bauernaufstand“.

Richters Tod reißt eine Lücke – nicht nur in seiner Familie und der Gemeinde Grenzach-Wyhlen, sondern in der ganzen Region. Der Verstorbene hinterlässt seine Frau Erika sowie Tochter Carola Lambelet mit Familie.

Die Liste der Ehrungen von Erhard Richter ist lang: Bundesverdienstkreuz (1979), Hebeldank des Hebelbundes (1982), Johann-Peter-Hebel-Gedenkplakette (1992), Ehrenmedaille in Gold des Landkreises Lörrach (1996), Verdienstmedaille des Landes Baden-Württemberg (2000), Landespreis für Heimatforschung für sein Werk „Beiträge zur Geschichte von Grenzach-Wyhlen und Umgebung“ (2000), Goldene Ehrennadel des Bundes Deutscher Amateurtheater (2001), Ehrennadel des Landesverbandes Amateurtheater Baden-Württemberg (2006) und die Heimatmedaille Baden-Württemberg (2008). Im Jahr 2011 wurde er zum Ehrenvorsitzenden des Geschichtsvereins Markgräflerland ernannt.

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