Grenzach-Wyhlen Der „Ochsen“ im Wandel der Zeit

Rolf Reißmann
Kino, Tanzsaal, Disko, Rock-Schuppen, Wirtshaus, Spielothek: Der Wyhlener „Ochsen“ hat eine bewegte Geschichte. Foto: Tim Nagengast

Lokalhistorie: Nachruf auf ein altes Wirtshaus / Erstmals im Jahr 1533 urkundlich erwähnt

Für den „Ochsen“ war 2021 das letzte Jahr; die jahrhundertelange Existenz dieses Wirtshauses in Wyhlen ging zu Ende. Jüngere Einwohner werden sich wohl kaum an diesen Namen erinnern, ältere kennen die vielen nachfolgenden Bezeichnungen auch nicht alle. Doch schauen wir erst einmal in die Geschichte, schließlich war der „Ochsen“ eines der ältesten, vielleicht sogar überhaupt das älteste Wirtshaus im Ort.

Von Rolf Reißmann

Grenzach-Wyhlen. Die anderen Gasthäuser werden alle erst im 18. Jahrhundert schriftlich nachgewiesen, der „Adler“ als erster davon im Jahr 1714. Benno Westermann, Archivar der katholischen Kirchengemeinde, zeigt uns im „Anniversar“, dem Jahrzeitbuch von 1533, die Erwähnung der „Herberge zum Ochsen“. Damals zahlte ein gewisser „Fridlin Döbelin und Verena sin Husfrow ab der Herberg zum Ochsen“ einen Betrag für eine Seelen- oder Totengedenkmesse. Erhard Richter fand für seine Beschreibung der Wirtshausgeschichte heraus, dass die 1427 erwähnte obere Herberge wohl der spätere „Ochsen“ gewesen sei. Dazu wurde beschrieben, hinter dem Haus seien Reben gewachsen, und das war dort der Fall.

Selbst in Kriegsjahren gut besucht

Die Familie Döbelin betrieb 183 Jahre lang die Wirtschaft, beschrieb Richter. Im 18. und 19. Jahrhundert gehörte das Gasthaus über vier Generationen dann jeweils einem Mitglied der Familie Bürgin, wie Westermann aus den Unterlagen des Kirchenarchivs nachweist. Besonders aber hebt er die erste Hälfte des vorigen Jahrhunderts hervor. 1912 übernahm der Metzger Gustav Gessert den „Ochsen“ als Pächter. 1931 erwarb er das Haus als Eigentümer. Wichtigste Stütze für ihn war seine Ehefrau Luise.

Gegen Ende der 1930er Jahre lebten mehrere Familienmitglieder im Gasthof, dann trafen schwere Schicksalsschläge die Familie. 1941 starb zunächst völlig überraschend der Wirt Gessert, der Schwiegersohn fiel im Krieg und eine Tochter erlag 1944 einem plötzlichen Tod. Ebenfalls in jenem Jahr wurde der Sohn der Wirtsleute als im Krieg vermisst gemeldet. Luise Gessert führte die Wirtschaft, unterstützt wurde sie von ihrer Schwiegertochter und ihrer Enkelin.

Selbst in den Kriegsjahren wurde das Wirtshaus gut besucht, vor allem Arbeiter aus den noch tätigen Betrieben und Beschäftigte der Gemeinde kamen zum Essen. Luise Gessert, geborene Kaiser, hatte als Einheimische ein gutes Verhältnis zu ihren Gästen. Benno Westermann sieht ihre herausragende Leistung nicht nur darin, dass sie geschickt und souverän das Wirtshaus durch die Kriegszeit führte, sondern gleichzeitig noch ihre Enkelin Gisela groß zog, deren Eltern beide 1944 verstarben. So stand sie bereits morgens in der Küche und bereitete für mindestens 40 Personen die Speisen zu. „Eine Wirtin mit Herzblut war sie“, meinte Westermann respektvoll. „Sie führte das Wirtshaus bis 1954.“ Die Grabstätte der Wirtsleute besteht noch heute im alten Teil des Wyhlener Friedhofs.

Knutschfleck und Rappelkiste

Im Saal waren während der Kriegsjahre Zwangsarbeiter untergebracht, sie wurden aber nicht vom Wirtshaus versorgt. Nach dem Krieg nutzte ein Obst- und Gemüsehandel die Räumlichkeit. Der darüber liegende kleine Saal war zeitweise als Wohnraum mit einer Familie besetzt. Das Wirtshaus selbst diente in der Gemeinde mehreren Vereinen für ihre Zusammenkünfte. Bereits die Absprachen zum Bau der neuen Kirche ab 1904 wurden im „Ochsen“ geführt.

Nach mehreren Eigentümerwechseln änderte sich 1973 dann der Charakter des Gasthauses. Über Jahre hinweg war es überwiegend Vergnügungsort für Jugendliche, zuletzt eine Tagesgaststätte. Interessant sind die mehrfach wechselnden Namen. Richter nennt sie alle, nach der Ochsen-Zeit hieß es unter anderem „Talisman“, „Knutschfleck“, „Wyhlener Freiheit“ oder „Rappelkiste“. Und jetzt ist es gar kein Gasthaus mehr: Ein Investor hat das in Teilen denkmalgeschützte Anwesen erworben, um es in Wohnraum umzuwandeln. Damit geht eine Ära zu Ende.

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