Grenzach-Wyhlen Freudig eilt die Familie ihm entgegen

Helmut Bauckner
Vor der ehemaligen Grenzacher Volksschule weht die Flagge der Sieger und stehen die Geschütze aufgereiht. Foto: H. Karcheter

Geschichte: Heute vor 75 Jahren kehrte Erhard Richter aus dem Krieg zurück nach Grenzach

Was wohl im Kopf des damals 18-jährigen Erhard Richter vorging, als er am 22. Dezember 1945 – heute vor 75 Jahren – im Grenzacher Bahnhof aus dem Zug stieg? Endlich war er wieder zu Hause nach seinem Kriegseinsatz als Matrose auf der Ostsee und anschließenden acht Monaten in englischer Gefangenschaft. Ein Rückblick.

Grenzach-Wyhlen. Schnellen Schrittes eilt Erhard Richter die frühere Grenzacher Rheinstraße – heute Jacob-Burckhardt-Straße – hinauf. Kein Christbaum erwartet ihn, kein weihnachtlicher Schmuck. Den Geschützen, die vor dem Schulhaus aufgestellt sind, schenkt er keine Beachtung. Für den jungen Kriegsheimkehrer ist dieses Kapitel beendet.

Zweistündiges Verhör

Da er die Straßenseite nicht gewechselt hat, wird er von französischen Besatzungssoldaten geschnappt und zu einem zweistündigen Verhör gebracht, das jedoch glimpflich ausgeht.

Weil kurz zuvor im Zug Richtung Heimat noch das Gerücht die Runde gemacht hatte, die Franzosen würden junge und gesunde Wehrmachtsangehörige nach Frankreich in die Gefangenschaft zum Wiederaufbau schicken, ist bei Richter die Erleichterung groß, als er seinen Weg in die Hebelstraße fortsetzen kann.

Unvergessliches Weihnachtsfest

Was würde ihn dort erwarten? Acht Monate lang hatte er keinerlei Kontakt zu seiner Familie. Wird er seine beiden Brüder und seinen Schwager, die ebenfalls im Krieg waren, antreffen und seine Eltern gesund in die Arme schließen können?

Freudig eilen sie ihm entgegen, alle gezeichnet von den zurückliegenden schweren Jahren, aber glücklich, dass man „zusammen ein unvergessliches Weihnachtsfest feiern konnte“, wie Erhard Richter in seinen Erinnerungen schreibt. Dass die Familie wieder zusammen und intakt ist, überstrahlt alle Schwierigkeiten der armseligen Nachkriegsjahre.

Pro Person gibt es nur 1000 Kalorien

Die Grenze zur Schweiz ist immer noch geschlossen und das mehr oder weniger seit Kriegsbeginn. Und wenn man den Ort verlassen will oder muss, bedarf es eines Passierscheins. Die Besatzungsmacht hat Sperrstunden vom Abend bis zum Morgen verordnet. Wer sich beim Hamstern verspätet und erwischt wird mit seinem Korb Kartoffeln, einer Flasche Milch für die Kinder und einem Säckchen Getreide, das er sich beim Ährenlesen zusammengeklaubt hat, der kommt hernach mit leeren Händen nach Hause. Was das bedeutet, wenn nur etwa 1000 Kalorien pro Person zugestanden werden, kann man sich kaum vorstellen.

Tauschhandel und Zigaretten als Währung

Manches Kind musste barfuß zur Schule, und wenn Schuhe beim Schuhmacher verwechselt werden, so hat man eben keine Schuhe mehr.

Erst nach der Währungsreform 1948 füllen sich die Geschäfte wieder. Für die alte Reichsmark hatte niemand mehr etwas verkaufen wollen. Tauschhandel ist angesagt, und eine lukrative „Währung“ sind Zigaretten. Zwar begrüßen viele Menschen die Franzosen zunächst mehr oder weniger freudig, denn mit ihrem Auftauchen am 24./25. April ist die schreckliche Kriegszeit beendet, aber die sich daran anschließende Besatzungszeit erleben viele Zeitgenossen ebenfalls als sehr bedrückend.

Birsfelden schickt einen Laster voller Hilfsgüter

Glücklicherweise gibt es in den Jahren bis zur Währungsreform Hilfe aus der Schweizer Nachbarschaft. In einem Aufruf des Birsfelder Gemeinderates von 1947 beispielsweise steht zu lesen: „Unsere nächsten Nachbarn jenseits des Rheines sehen mit Grauen dem Winter entgegen. Wir denken uns jetzt schon aus, was wir unseren Lieben zu Weihnachten bescheren wollen – drüben langt es nicht zum Nötigsten, ihnen bangt vor den Festtagen, sie haben einander nichts zu schenken, sie hungern und frieren. Wir wollen in die Lücke springen.“

Zwei Tage vor Weihnachten kommt dann ein großer Lastwagen mit Anhänger nach Grenzach, beladen mit 1600 Kilogramm Lebensmitteln, 80 Kilogramm Seife, 50 Kilogramm Waschpulver, mit 52 Säcken Kleidern und Wäsche, 400 Paar Lederschuhen, 50 Paar Holzschuhen und 25 Körben mit Geschirr. Vor allem die Schuljugend von Muttenz und Birsfelden hat die Sammlungen durchgeführt.

Am Heiligen Abend werden die Gaben dann verteilt. Manche Mutter hat Tränen in den Augen, wie der „Birsfelder Anzeiger“ berichtet. Eine Dankesurkunde aus Grenzach liegt im Gemeindearchiv Birsfelden. Sie stammt aus dem Jahr 1949 und dokumentiert die großherzige Hilfe.

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