Grenzach-Wyhlen „Gesellschafter“ waren Mitarbeiter

Die Oberbadische
Der Zoll tauchte bei der früheren Baufirma auf, nachdem ein Hinweis eingegangen war, dass auffallend viele Rumänen plötzlich Gewerbescheine beantragt hatten. Foto: Archiv Foto: Die Oberbadische

Gericht: „Verbotsirrtum“ / Ehemaliger Geschäftsführer einer Baufirma kommt mit Bewährungsstrafe davon

Ein Jahr und sieben Monate Freiheitsstrafe auf Bewährung: So lautet das Urteil gegen den 61 Jahre alten ehemaligen Geschäftsführer einer inzwischen liquidierten Baufirma in Grenzach-Wyhlen. Ihm wurde vorgeworfen, vom Januar 2013 bis März 2014 unerlaubt etliche rumänische Arbeitnehmer als Scheinselbstständige beschäftigt und dadurch Sozialabgaben in beträchtlicher Höhe nicht abgeführt zu haben (wir berichteten).

Grenzach-Wyhlen (dr). Ein Sachbearbeiter des Hauptzollamtes Lörrach berichtete als Zeuge, dass bereits im April 2013 ein Hinweis der Gemeinde Grenzach-Wyhlen eingegangen sei. Auffällig viele rumänische Bauarbeiter hätten Gewerbescheine beantragt, hieß es. Man habe darum das Bauunternehmen in Grenzach-Wyhlen aufgesucht und den Angeklagten als Geschäftsführer angetroffen.

Der Zoll rückt an

In einem Gespräch habe der Angeklagte geäußert, dass er die „Gesellschafter“, die als selbstständige Unternehmer in seiner Firma arbeiteten, lieber als Arbeitnehmer beschäftigt hätte. Aufgrund der damals noch nicht geltenden Arbeitnehmerfreizügigkeit für Rumänen sei dies so aber nicht möglich. Diese gilt erst seit Anfang 2014.

Im September 2013 dann rückte der Zoll an und durchsuchte die Geschäftsräume des Unternehmens. Dabei wurden Unterlagen sichergestellt. Durch eine Feststellung des Schöffengerichts war nachgewiesen worden, dass mindestens einer der Arbeiter tatsächlich die Bedingungen der Selbstständigkeit erfüllte. Trotzdem war auch dieser Mann vom Zoll als scheinselbstständig an die Rentenversicherung gemeldet worden.

Scheinselbstständige

Ein Rechtsanwalt, den der Angeklagte über die Rechtmäßigkeit seines Geschäftsmodells befragt haben will, konnte sich an den Vorgang nicht erinnern. Er habe auch keine Akte darüber angelegt, sagte er vor Gericht.

Nach den Zeugenvernehmungen zogen sich die Verfahrensbeteiligten zur Erörterung der Rechtslage zurück. Dabei wurde eine Verständigung zur Verfahrensbeschleunigung erreicht. Wenn der Angeklagte die Vorwürfe weitgehend zugäbe, würde ihm eine Bewährungsstrafe zwischen 18 und 20 Monaten in Aussicht gestellt. In einer Anwaltserklärung räumte der Angeklagte dann die gegen ihn erhobenen Vorwürfe ein. Gleichzeitig machte er einen sogenannten Verbotsirrtum geltend.

Der Staatsanwalt betonte, dass die Beschäftigung der Rumänen illegal gewesen sei. Denn eigentlich habe es sich bei den selbstständigen „Gesellschaftern“ um abhängig Beschäftigte gehandelt. Er beantragte eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt werden könne.

Die politische Lage

Der Verteidiger des Angeklagten nutzte die Gelegenheit und prangerte die politischen Verhältnisse und Rechtslagen der damaligen Zeit an. Man habe die EU zwar schnell vergrößern wollen, dann aber Angst vor der eigenen Courage bekommen. So wurden Bulgarien und Rumänien bereits Anfang 2007 in die Europäische Union aufgenommen, doch galt für Arbeitnehmer von dort noch weitere sieben Jahre lang keine volle Freizügigkeit. Nur aufgrund dieser politischen Situation sei sein Mandant zu der „Konstruktion“ mit den selbstständigen Gesellschaftern gekommen. Im Internet sei dieses Konstrukt übrigens offen diskutiert worden. Einen eigenen Strafantrag stellte der Verteidiger nicht.

Das Urteil

Wegen 71 Fällen von Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt verurteilte das Schöffengericht Lörrach unter Vorsitz von Dietrich Bezzel den Angeklagten zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sieben Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt werden. Wegen der langen Verfahrensdauer gelten drei Monate davon als verbüßt. Ferner wird auf die Einziehung von Taterträgen verzichtet, weil die Sozialkassen eigene Leistungsbescheide erstellen werden.

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