Grenzach-Wyhlen Klangpoesie voller Emotionen

Willi Vogl
Dimitri Smirnov (v.l.) Brandon Garbot, Sylvia Zucker und Kye Teesin Puriwatthanapong, Ekachai Maskulrat und Georg Dettweiler Foto: Willi Vogl

Beim diesjährigen Winterkonzert von Klassikanderswo hing nicht nur der von Richard Dehmel verklärte Nachthimmel voller Geigen, sondern auch das Handballtor in der akustisch äußerst angenehmen Markgrafenhalle.

Mit von der Partie war auch wieder Heiko Arnolds bunte Kuh Olga, die seit dem Start der beliebten Konzertreihe 2011 als Maskottchen dient.

Ensemble Linie 38

Die Musiker des Ensembles Linie 38 waren diesmal Dimitri Smirnov und Brandon Garbot (Violinen), Sylvia Zucker und Kye Teesin Puriwatthanapong (Violen) sowie Ekachai Maskulrat und Georg Dettweiler (Violoncelli). Wenngleich das Konzept gegenüber den Konzerten früherer Jahre abgespeckt war, und man diesmal ohne jegliche Sponsoren auskam, verzichteten Peter Weber und der künstlerische Leiter Georg Dettweiler nicht auf eine humorvolle Präsentation mit hohem Wiedererkennungswert.

Gewohnt humorvoll

Georg Dettweiler setzte mit den beiden Streichsextetten Nr. 1 in B-Dur, op. 18 von Johannes Brahms und Arnold Schönbergs „Verklärte Nacht“, op. 4 zwei Werke aufs Programm, die sowohl biografisch als auch kompositionstechnisch Parallelen aufweisen. Beide Komponisten standen bei der Erschaffung ihrer Werke 1860 und 1899 jeweils 25-jährig am Anfang ihrer Karrieren. Beide Werke basieren auf dem Prinzip der „entwickelnden Variation“, in der die stetige Veränderung eines Themas gleichermaßen für Vertrautheit und Kontraste sorgt.

Nicht nur der von Richard Dehmel verklärte Nachthimmel hängt voller Geigen, sondern auch das Handballtor in der akustisch äußerst angenehmen Markgrafenhalle. Foto: Willi Vogl

In Schönbergs „Verklärte Nacht“ erzählt die einsätzige Musik in fünf Abschnitten die Geschichte eines Paars, das sich in einer kalten, sternklaren Nacht mit einer schweren Wahrheit auseinandersetzt: Die Frau erwartet ein Kind von einem anderen Mann. Doch anstelle von Trennung und Verzweiflung führt die Nacht zu Vergebung und Annäherung. Richard Dehmels Gedicht bildet die Grundlage für Schönbergs emotionsgeladene Klangpoesie, bei der man Verzweiflung, Vergebung und Lebensfreude nicht nur als motivische Charaktere wahrnimmt, sondern als nahezu körperlich berührende Schwingungen. So ist man gebannt vom elegischen Gesang, leidet an der schluchzenden Seufzermotivik und lässt sich nach unvermittelten Abbrüchen durch aufgehellte Heiterkeit überraschen.

Brahms‘ Streichquartett

Wenngleich sich Johannes Brahms‘ Streichquartett klanglich ungleich stärker an klassischen Konventionen orientiert, führt auch seine Musik in den schillernden Zaubergarten der Romantik. Wogende Motivik im Allegro ma non troppo, klangschöne Soli und allzeit wundervoll beherrschte quirlige Figürlichkeit sowie eine Melange von bissig-tänzerischen Charakteren und harmonischen Modulationen entfalteten einen ganz eigentümlichen Reiz. Dass ein Schlusssatz nicht notwendigerweise ein durchgängig schmissiger Werkbeschluss sein muss, beweist Meister Brahms mit dem graziösen, nahezu zärtlich disponierten Thema im Rondo.

Inszenierte Kontraste

Diese und viele weitere faszinierende Ausdrucksmomente brachte das Ensemble Linie 38 aufs Schönste zur Geltung. Dabei nahm man intime Blickkorrespondenzen wahr. Punktgenau inszenierte Kontraste begeisterten ebenso wie traumhaft homogen ausbalancierte Passagen. Mit beneidenswerter Coolness schien Dimitri Smirnov als Primus inter pares den jeweiligen Ausdruck spontan aus dem Moment heraus zu entwickeln und als Modell zur Nachahmung vorzugeben. Mit dem Wiegenlied „Guten Abend, gute Nacht“ endete ein bemerkenswerter Konzertabend.

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