Grenzach-Wyhlen Plötzlich ist Leben in der Bude

Die Oberbadische

Mehrgenerationenprojekt: Das Haus Leisinger-Neumann in Wyhlen hat neue Besitzer und bleibt erhalten

Ein Haus, zwei Türen, drei Familien: Das historische Gebäude Lörracher Straße 18/20 ist nicht nur verkauft, sondern auch für das Wyhlener Ortsbild gerettet. Drei Familien haben das Anwesen dieser Tage gemeinsam erworben. Sie wollen daraus ein Mehrgenerationenprojekt machen. Die Geschichte dahinter ist fast schon filmreif.

Von Tim Nagengast

Grenzach-Wyhlen. Die Tinte unter dem Kaufvertrag ist noch nicht trocken, als der Autor dieses Artikels vor der Tür steht. Neben einem Teil der frischgebackenen Hauseigentümer sind auch der Makler, der Sachverständige und der Erbe des Hauses samt Schwiegersohn da.

Und Tante Helena.

Die zieht zwar nicht mit ein in das ehemalige Haus Leisinger/Neumann („Ich bin heute hier nur der gute Geist, Schatzi!“), bringt aber derart viel Schwung in den Termin, dass es eine wahre Freude ist. „Komm, Schatzi, ich zeig dir alles! Warst du eigentlich schon mal hier drinnen? Komm, meine Sonne!“, ruft Tante Helena bestens gelaunt und bugsiert den Autor dieses Artikels die Holztreppe hinauf. Und nach der Innenbesichtigung von rund 300 Quadratmetern, mehreren Etagen, Ecken, Winkeln, Ebenen, Treppen und Kammern auch wieder hinunter.

Draußen vor dem Haus herrscht gelöste Stimmung. Makler Andreas Wittermann verteilt gerade Blumen an die neuen Hausbesitzer.

Der letzte Besitzer hat das Haus nicht gekannt

Etwas abseits steht derweil Dietmar Kaps. Er begutachtet die Szenerie, dreht sich eine Zigarette und kann das, was hier gerade passiert, offensichtlich immer noch nicht so recht fassen.

Der Mann aus dem westfälischen Hamm ist der Verkäufer des ortsbildprägenden Anwesens. Er ist nach dem Tode des letzten Bewohners, Dietmar Neumann, zum Eigentümer dieses Hauses geworden – er kam quasi dazu wie die Jungfrau zum Kinde. Denn von dem Haus in Wyhlen hatte Kaps bis vor wenigen Monaten weder etwas gewusst noch hatte er es jemals zuvor gesehen. „Ich habe lediglich mal erfahren, dass es hier unten in der Gegend jemanden gibt, dass ich einen Halbbruder habe. Aber wir haben uns zeitlebens leider nie kennengelernt“, berichtet Kaps. Dabei tragen die beiden Halbbrüder sogar denselben Vornamen: Dietmar.

Als nun vor wenigen Monaten Post vom Lörracher Nachlassgericht in seinem Briefkasten lag, holte die familiäre Vergangenheit Dietmar Kaps plötzlich ein. Er erfuhr, dass sein Wyhlener Halbbruder keine Nachkommen hinterlassen habe und somit er der Erbe sei. „Das war schon heftig“, räumt Kaps ein. Und berichtet, dass er selbst zwar in Hausen im Wiesental geboren wurde, dort aber nur seine ersten drei Lebensjahre verbrachte, ehe es nordwärts ging. „Und plötzlich erbste dann ein altes Haus in mehreren hundert Kilometern Entfernung“, sagt er und blickt dabei zu Schwiegersohn Benjamin Säuberlich, der mit ihm aus Hamm angereist ist.

Potenzielle Käufer standen Schlange

Um die Abwicklung des Ganzen haben sich in den vergangenen Monaten Andreas Wittermann und, als Sachverständiger, Bernhard Greiner gekümmert.

Gab es denn viele Interessenten für das von außen doch arg heruntergekommen wirkende Doppelhaus? Wittermann nickt. Das Potenzial sei groß, sagt er. Einem Abriss wäre denkmalschutzrechtlich nämlich nichts im Wege gestanden.

Wer an die bauliche Situation denkt, mag in diesem Moment zusammenzucken. Ein 1200 Quadratmeter großes Grundstück an der Ortsdurchfahrt – da hätten findige Investoren in Zeiten wie diesen bestimmt gewusst, wie man das Maximum herauskitzelt. Egal, ob es zur historischen Umgebungsbebauung passt oder nicht.

Das eigene Feuerwehrauto kommt in den Schopf

Dass es dazu nicht kommt, ist drei miteinander verwandten Familien aus Grenzach-Wyhlen und Hausen im Wiesental zu verdanken. Sie haben das Doppel-Anwesen gekauft, um es zu sanieren, auszubauen und selbst zu nutzen. „Ich bin da drübergestolpert, hab’ das Haus gesehen und gedacht: Genau das ist es für uns! Dann tagte kurz der Familienrat, und die Sache war klar“, erzählt Julien Reiter. Der studierte Bauingenieur hat schon ziemlich genaue Vorstellungen davon, wie das Anwesen einmal zu dem werden soll, was die große Familien-Gemeinschaft sich wünscht, wie man beim Rundgang erfährt.

Und der beginnt hinten im beinahe haushohen Schopf von Hausteil Nummer 20. „Sehr cool. Hier stellen wir unser altes Feuerwehrauto rein. Das sollte hier passen“, sagt Reiter und strahlt seine Lebensgefährtin Yamuna McGowran an.

Wie bitte?

„Ja, wir haben ein altes Feuerwehrauto.“

Ein Haus, das noch sehr viel Arbeit machen wird

Beide Häuser sind nur über eine Tür im Erdgeschoss miteinander verbunden. So haben die drei Familien die Möglichkeit, sich selbst eigene Rückzugsräume, aber auch Gemeinschaftseinrichtungen zu schaffen. Die ehemalige Backstube der einstigen Bäckerei Leisinger beispielsweise soll zu einem großen Wohnzimmer um- funktioniert werden.

Beim Gang durch die zahlreichen Zimmer wird einem rasch klar, dass hier ein äußerst ambitioniertes Projekt auf seine Umsetzung wartet. Zwar war der letzte Hausbewohner, Dietmar Neumann, gelernter Schreiner, wie man – unter anderem – an der tollen Holztreppe und einer unglaublich schönen, detailverliebten Wohnzimmer-Holzdecke sehen kann, aber er selbst bewohnte nur einen kleinen Teil seines Anwesens. Der Rest befindet sich in unterschiedlichem Zustand: zwischen „lange nicht mehr bewohnt“, „optisch kurz vor dem Verfall“ und „Quasi-Rohbau“. Ein Teil hat eine Heizung, ein Teil nicht. Viel zu tun also für die neuen Eigentümer, die sich selbst aber keinen Stress machen, sondern das Projekt ordentlich umsetzen wollen.

Neueigentümer wollen sich viel Zeit lassen

„Das Haus ist eine Wundertüte, und wir machen uns da auch nichts vor“, bekräftigt die künftige Mitbewohnerin Mira Geiger, „das wird sicherlich ein Jahr dauern.“

„Was wir uns hier schaffen, ist ein tolles Projekt für Generationen“, sagt Julien Reiter. Mit ihm einziehen werden, neben Lebensgefährtin Yamuna McGowran, seine Schwester Sabine Meyer, dazu Mira Geiger mit ihren beiden Söhnen Conner und Kellan. Eventuell kommt auch noch die Oma aus Berlin dazu, wenn sie möchte, ist zu hören.

Und Reiters Tante Helena Schmidt? Die stromert mit dem Autor dieses Artikels noch ein Weilchen fröhlich durch sämtliche Winkel des labyrinthartigen Anwesens. „Jetzt komm hoch, meine Sonne, ich zeig dir noch den anderen oberen Stock! Guck mal, Schatzi“, ruft sie.

Der eine oder andere Leser unserer Zeitung dürfte die energiegeladene Dame eventuell von Ausflügen ins Schopfheimer Bergland her kennen: Bei Helena Schmidt handelt es sich nämlich um die legendäre „Kräuterwirtin“ aus Gersbach.

Aber das wäre schon wieder eine eigene Geschichte für sich.

Weitere Informationen: Wie alt das Doppelhaus Lörracher Straße 18/20 wirklich ist, ist nicht bekannt. Sachverständiger Bernhard Greiner hat den Gebäudeteil mit der Hausnummer 18, vor dem der Brunnen steht, zumindest in der Wyhlener Urflurkarte entdeckt. Und diese stammt aus dem Jahr 1780. Den Hausteil mit der Nummer 20 schätzt Greiner auf das 19. Jahrhundert. Der denkmalgeschützte Brunnen steht zwar komplett auf Privatgrund, ist selbst aber öffentlich.

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