Seit Anfang vergangenen Jahres sorgt eine Studie für Aufsehen, die der Bildungsforscher Klaus Klemm gemeinsam mit dem Bildungsexperten der Bertelsmann Stiftung, Dirk Zorn, erarbeitet hat.
Ganztagsgrundschulen sollen ausgebaut werden, Grundschullehrer haben derzeit gute Berufschancen. Jedoch: Eine Studie rechnet mit einem baldigen Überangebot an Lehrkräften. Mitarbeiter des Lörracher Schulamts ordnen die komplexe Gemengelage ein.
Seit Anfang vergangenen Jahres sorgt eine Studie für Aufsehen, die der Bildungsforscher Klaus Klemm gemeinsam mit dem Bildungsexperten der Bertelsmann Stiftung, Dirk Zorn, erarbeitet hat.
Diese stellt die prognostizierte Zahl ausgebildeter Grundschullehrer dem voraussichtlichen Bedarf an Neueinstellungen gegenüber. Das Ergebnis: Bis zum Jahr 2035 würden deutschlandweit rund 45 800 Grundschullehrer mehr bereitstehen, als erforderlich wären, um den Unterricht abzudecken. Die Kultusministerkonferenz (KMK) hatte in ihrer Prognose nur einen Gesamtüberschuss von rund 6300 Absolventen ermittelt, so die Stiftung.
Verantwortlich für diesen Überhang an ausgebildeten Grundschullehrkräften sei eine Trendwende in der demografischen Entwicklung – kurz: ein markanter Rückgang der Geburten in Deutschland in den Jahren 2022 und (hochgerechnet) 2023. Dieser führe dazu, dass die Anzahl der Schüler ab 2028 stärker zurückgehen werde als in der KMK-Prognose angenommen.
Auch für die Folgejahre kalkulieren die Studienautoren mit geringeren Geburtenzahlen. Ihre Berechnungen gehen davon aus, dass schon in diesem Jahr der Bedarf an Grundschullehrkräften den Höchststand erreichen und dann bis 2035 abnehmen wird. Indes werde der Bedarf an Neueinstellungen nach 2032 wieder steigen, weil mehr Lehrkräfte in den Ruhestand eintreten, erklärt die Bertelsmann Stiftung.
Gleichwohl bezeichnet das Kultusministerium in der Online-Veröffentlichung „Berufsziel Lehrer“ vom Juli 2024 die Einstellungschancen für Grundschullehrer in Baden-Württemberg für die Jahre 2030 bis 2032 als gut. Allerdings werden die besten Chancen bestimmten Fächerkombinationen eingeräumt. Darüber hinaus wächst die Wahrscheinlichkeit einer Einstellung bei Bewerbungen in Regionen, die weniger nachgefragt werden.
Ein weiterer Unsicherheitsfaktor: Solche Prognosen können die künftige Ausgestaltung der Grundschullandschaft nicht umfassend berücksichtigen. Kürzlich erst hat Lörrachs Oberbürgermeister Jörg Lutz beim Mediengespräch auf die dynamische Entwicklung hingewiesen: So sollen etwa Ganztagsgrundschulen ausgebaut und frühkindliche Sprachförderung gezielter angeboten werden.
Statistiken, Prognosen...: „Ich bin da vorsichtig“, sagt Rudolf Schick, Leiter des Staatlichen Schulamts Lörrach, mit Blick auf Klemms Ausblick bis in die Mitte der 30er Jahre. Mehrfach schon habe er Prognosen über die Entwicklung von Schülerzahlen gelesen, die letztlich so nicht eintrafen, sagte Schick. Er gehe davon aus, dass es in bestimmten Gebieten zu einem Überangebot an Grundschullehrkräften kommen wird, doch bezweifle er, dass hierzu die Landkreise Lörrach und Waldshut gehören werden, für die das hiesige Schulamt zuständig ist. Insbesondere an etwas entlegeneren Standorten bleiben die Einstellungschancen seiner Einschätzung nach hoch.
Dies sieht auch die stellvertretende Schulamtsleiterin Regina Höfler so: Sie ist in der Behörde unter anderem für das Thema „Personalversorgung an Grundschulen“ verantwortlich. Zwar wurden die Ausbildungskapazitäten hochgefahren, und insgesamt seien auch mehr Bewerber zu verzeichnen, gleichwohl sind nach ihrer Auffassung die Perspektiven für Grundschullehrer gut – für Sonderpädagogen und Lehrer der Sekundarstufe I sogar sehr gut. Dies nicht zuletzt auch aufgrund der vom Land aufgegleisten Entwicklung, mit der ein erhöhter Lehrerbedarf an Grundschulen einhergehe. „An den Grundschulen wird sich in den kommenden Jahren viel tun“, sagt sie.
Schulrat Christian Dierkes (Schulaufsicht für Grundschulen) verweist ebenfalls auf die Maßnahmen der Landesregierung: etwa das Sprachförderprogramm Sprach-Fit, das schon im Kindergarten ansetze und von Grundschullehrerinnen oder entsprechend fortgebildeten Erzieherinnen umgesetzt werden kann. Es soll an 20 Grundschulen im Schulamtsbezirk starten. Mit Juniorklassen werde an Grundschulen künftig quasi eine „Klasse Null“ der regulären Eingangsklasse vorgeschaltet.
Weitere Elemente der frühen Förderung sind etwa das „Startchancen-Programm“ – in Lörrach wird es an der Neumattschule angeboten – und BISS („Bildung durch Sprache und Schrift“), eine Initiative von Bund und Ländern zum Transfer von Sprachbildung, Lese- und Schreibförderung in Schulen und Kitas. Es sei längst wissenschaftlich belegt, dass sich Investitionen in frühe Bildung später für die Gesellschaft auszahlten, betonen die drei Gesprächspartner gegenüber unserer Zeitung unisono. Deshalb bringe das größere Interesse am Grundschullehrerberuf auch neue Chancen für die Schule mit sich.
Das betont auch die Bertelsmannstiftung. Zorn: „Durch die zusätzlich ausgebildeten Lehrkräfte besteht eine große Chance, in die pädagogische Qualität an den Grundschulen zu investieren, was aufgrund des Personalmangels lange Zeit kaum möglich war. Dieses Potenzial sollte die Politik unbedingt nutzen.“ Zudem scheine es sinnvoll, einige Lehrkräfte in den Jahrgangsstufen fünf und sechs einzusetzen, wo weiterhin Lehrer fehlten.
Veränderungen ergäben sich zwar auch durch die fortschreitende Digitalisierung und KI, sagte Höfler. Sicher sei aber, das betonen alle drei: „Der Lehrer bleibt das Wichtigste“. Auf ihn komme es in erster Linie an, auf seine Leidenschaft und seine Überzeugung für den Beruf.