Häg-Ehrsberg Plädoyer für mehr Gerechtigkeit

Markgräfler Tagblatt

Interview: Dickens „Eine Weihnachtsgeschichte“ wird vom Theater in den Bergen als Hörspiel inszeniert

Häg-Ehrsberg. Charles Dickens „Eine Weihnachtsgeschichte“ sollte am 5. Dezember in den Gassen der Schopfheimer Altstadt Premiere haben. Soweit die Planung des gemeinnützigen Vereins Theater in den Bergen, der sich dem Landschaftstheater verschrieben hat.

Doch Corona macht auch diesem ambitionierten Kulturprojekt einen Strich durch die Rechnung. Nach nur einer Woche Probe war Schluss. Aufgeben wollte das Theater-Team indes nicht. Derzeit entsteht daher eine Hörspielfassung des Stücks – unter erschwerten Bedingungen. Über die Aktualität Dickens’, über die Misere der Kultur insgesamt sowie über die Perspektiven von Kulturschaffenden unterhielt sich Gabriele Hauger mit dem Regisseur und Schauspieler Arnd Heuwinkel.

Frage: James Blond, Das kalte Herz, das Thema Insektensterben – die Bandbreite des Theaters in den Bergen ist groß. Wieso fiel die Wahl dieses Jahr auf Charles Dickens’ Weihnachtsgeschichte?

Diese weihnachtlich angehauchte Geschichte ist eine sehr kritische: Der geizige, alte Geschäftsmann Ebenezer Scrooge wird eines Nachts von drei Geistern besucht, die sein Leben komplett verändern. Weihnachten dient hier eigentlich nur als Aufhänger. Es geht im Stück primär darum, dass in unserer Welt der Reichtum sehr ungleich verteilt ist. Dass viele Menschen nicht nur weniger haben, sondern sogar in prekären Verhältnissen leben müssen, während andere immer mehr zusammenraffen und ihre Verantwortung abgelegt haben, sich um diese anderen zu kümmern.

Frage: Das Thema ist brisant.

Genau. Und die Aktualität ist groß – leider. Bei Dickens geht es ja auch um wirtschaftliche Werte, um Moral, Verantwortung, Nächstenliebe. Man kann das auf die Kerngeschichte runterbrechen, auf das Leben dieses einzelnen geizigen Individuums, das fehlgeleitet zu sein scheint. Wer die Geschichte aber genauer betrachtet, erkennt, dass der Mensch einerseits die Verhältnisse positiv beeinflussen kann und dass andererseits durch individuelle Fehlentscheidungen andere zum Opfer werden.

Frage: Das klingt ernst. Ihr Theater ist doch für Humor in seinen Stücken bekannt. Gibt es das hier auch?

Wir wollen ernste Themen konsumierbar machen und ein wenig Leichtigkeit hineinbringen. Drama erleben wir derzeit im realen Leben wirklich genug. Gerade in der Kultur. Ob das mit dieser Geschichte gelingt, das kann ich noch gar nicht sagen. Derzeit ringen wir ja noch stark mit der aktuellen Entwicklung und versuchen zweigleisig zu fahren. Wir wollen das Projekt trotz Corona retten, müssen uns dazu aber auf ein anderes, auch für mich neues Genre einlassen, da wir die Geschichte alternativ nun als Hörspiel inszenieren.

Frage: Die Grundidee war ja, das Stück diesmal nicht rund um Ehrsberg, sondern in der Schopfheimer Altstadt zu zeigen. Warum dort?

Das hat zum Teil praktische Gründe: Ein Teil unserer Schauspieler kommt aus Schopfheim und nicht aus Häg-Ehrsberg. Zum zweiten ist Schopfheim eine Stadt, die mehr Kultur vertragen könnte und verdient hat. Gleichzeitig könnten wir unseren Radius ein wenig erweitern. Und hinzu kommt natürlich die Atmosphäre der schönen Altstadt.

Frage: Wann kam die Absage der Stadt?

Im September habe ich den überregionalen Antrag auf Kulturförderung gestellt. Wir haben uns zudem coronakompatible Varianten überlegt wie beispielsweise einen Audiowalk durch die Stadt. Auf all das hat sich die Stadt nicht eingelassen, was ich sehr schade finde, aber auch verstehen kann. Man will kein Risiko eingehen. Dann wollten wir mit dem Stück doch open air auf den Berg gehen – mit Unterstützung des Ehrsberger Bürgermeisters. Doch die Vorschriften bezüglich der Theaterproben erlauben das nicht. Wir können als Laienensemble ja nur mit maximal zwei Haushalten zusammenkommen. Das funktioniert nicht. Dennoch wollten wir die Geschichte nicht sterben lassen – und versuchen es nun mit einem Hörspiel.

Frage: Da klingt eine gewisse Frustration durch?

Ja, denn die Vorbereitungen liefen ja schon lange. Ich habe aus dem Stück eine Theaterfassung gemacht. Dann haben wir eine Woche konkret geprobt. Dann war Schluss. Die bisher geschriebene Version kann ich im Prinzip wieder über den Haufen werfen. Ein Hörspiel wird ja ganz anders konzipiert. Ohne visuelle Erlebnisse ist eine völlig andere Herangehensweise nötig. Es ist uns wichtig, das Thema Egoismus, soziale Verbindlichkeiten und Verantwortung damit zu verknüpfen und das textlich einzubringen. Bei Probentreffen kann ich das normalerweise mit den Schauspielern gemeinsam erarbeiten. Auch das ist unter diesen Umständen so nicht möglich. Ich kann mich ja immer nur mit Einzelpersonen treffen. Wir haben daher sogar mit Fragebögen an die Mitwirkenden gearbeitet, um mehr Input zu bekommen.

Frage: Das stelle ich mir schwierig vor.

Ja, wir müssen ständig in Tranchen arbeiten. Selbst Dialoge werden zerfleddert aufgenommen, nacheinander. Dazu haben wir in unserem Privathaus ein Tonstudio aufgebaut mit Unterstützung von Antonia Tittel, die von der Kostümabteilung in die Aufnahmeleitung gewechselt ist, sowie den Musikern Burkhard Finckh aus Freiburg und Arnaud Duvoux aus Winterthur, der jetzt zudem noch Probleme hat, über die Grenze zu kommen. Ich habe ehrlich gesagt gehofft, dass wir im Gespräch mit Gesundheitsämtern neue Lösungen für solche Proben erarbeiten könnten. Aber man merkt, dass der Handlungs- und Ermessensspielraum der Verantwortlichen unfassbar begrenzt ist. Das finde ich eine traurige Erkenntnis. Es will keiner Verantwortung übernehmen. Alle sind unglaublich vorsichtig – wir natürlich auch.

Frage: Hadern Sie angesichts all dieser Herausforderungen mit ihrem Künstlerdasein und überlegen manchmal alles hinzuschmeißen?

Wenn ich Angestellter wäre, klar. Aber ich kann mir das ja gar nicht leisten! Ich frage mich nur, wieso man die Systemrelevanz immer nur auf die Wirtschaft reduziert. Es ist beeindruckend, wie wenig sich offenbar die Politik und Entscheidungsgremien vorstellen können, was das alles für freischaffende Künstler bedeutet, die darauf angewiesen sind, sich unter diesen Umständen neu zu organisieren.

Frage: Wann soll das Hörspiel erscheinen?

Unser Wunsch ist, dass es zur ursprünglich angesetzten Premiere am 5. Dezember fertig ist und als CD veröffentlicht werden kann. Wir vermitteln jetzt über unsere Internetseite den Interessenten, dass die CD als Symbol zu sehen ist, die dazu animieren soll, uns zu unterstützen. Eine Art Kulturspende. Wir wollen die CD daher zu einem Spendenpreis verkaufen. Leider kann man eine CD nicht mit einem Theatererlebnis live im Winter im Dorf vergleichen.

Frage: Planen Sie, das Stück dann im Winter 2021 doch noch in Schopfheim zu zeigen?

Das ist unser Ziel. Sofern sich die Stadt entsprechend kooperativ zeigt. Ansonsten würden wir dann nächstes Jahr auf den Berg gehen.

Frage: Die Lage für Kulturschaffende ist desaströs. Wie sehen Sie das?

Ich hadere nicht mit meinem Beruf. Aber die Tatsache, dass andere Bereiche wesentlich selbstverständlicher unterstützt werden, ist frustrierend und ernüchternd. Deutschland ist doch das Land der Dichter und Denker! Ich frage mich, welchen Stellenwert Kultur bei uns eigentlich noch hat? Welche Bedeutung hat sie für unsere Gesellschaft? Es gibt keine Lobby für Kultur. Sie wird als selbstverständlich angesehen. In dem Moment, wo sie nicht mehr da ist, wird sie zwar vermisst. Aber das war’s. Wir fühlen uns allein gelassen. Im doppelten Wortsinn.

Frage: Es wird ja viel Online-Ersatz produziert. Was halten Sie davon?

Kultur funktioniert nur mit Menschen, mit Begegnung. Das geht nicht online oder in einer Zoom-Performance. Das ist albern. Was mich umtreibt: Es hat sich noch niemand nachgewiesenermaßen bei einer Kulturveranstaltung angesteckt. Die Veranstalter haben wahnsinnig viel Energie in Schutzkonzepte gesteckt, um Projekte doch irgendwie zeigbar zu machen. Trotzdem wird das alles mit einem Federstrich zunichte gemacht. Dadurch entsteht doch eine klare Wertung für die Kultursparte, die ich erschreckend finde. Da wird vermittelt: Es gibt Wichtiges, Bedürfnisse des täglichen Lebens – aber die Kultur gehört offenbar nicht dazu. Es ist ein Trauerspiel, mit welch bürokratischer Sturheit das durchgezogen wird. Bei Kulturschaffenden geht man irgendwie automatisch davon aus, dass sie ihren Beruf voller Idealismus und Leidenschaft ausüben. Oft wird vergessen, dass sie davon auch leben müssen.

Kultur ist aber mit nichts vergleichbar, unglaublich wertvoll. Eine öffentliche Debatte über die Beschneidung der Kultur fehlt. Obwohl viel kaputt geht. Da wird doch viel auf die Wirtschaft fokussiert. Doch es gibt musische Erlebnisse, die nicht funktionsorientiert sind, die mir aber ein Lächeln aufs Gesicht zaubern. Und damit sind wir wieder bei dem Thema unserer Weihnachtsgeschichte. Das Hörspiel ist voraussichtlich ab 5. Dezember zu einem Solidaritätsbeitrag in Höhe von 15 Euro zu erwerben. Spenden sind generell willkommen, auch per Paypal unter E-Mail: theaterindenbergen@gmx.de; Vorbestellungen für das Hörspiel und Kontakt unter eben dieser Mail-Adresse; weitere Informationen im Internet: www.theaterindenbergen.de

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