Schaut man die Biografien der Täter an, so fällt auf, dass viele von ihnen aus Kriegs- oder Konfliktregionen stammen, eher jung und kinderlos sind, zum Zeitpunkt der Tat keiner Erwerbstätigkeit nachgingen und nicht mit einer Partnerin oder Angehörigen zusammenleben. Fundierte Forschung zu dieser Tätergruppe gibt es aber bislang - mit Ausnahme der Betrachtung islamistisch motivierter Verbrechen - kaum. Beispielsweise zu der Fragestellung, mit welchen Hoffnungen und Vorstellungen die Betroffenen gekommen sind - und wie sie später auf die deutsche Gesellschaft und die Möglichkeiten, die sie ihnen bietet oder auch nicht bietet, blicken.
Auch das bundesweite Lagebild zur Kriminalität im Kontext von Zuwanderung hilft hier nicht viel weiter. Es hält lediglich fest, dass der Anteil von Zuwanderern an den Tatverdächtigen bei Straftaten gegen das Leben im Jahr 2021 bei 12,8 Prozent lag. Im Fünf-Jahres-Vergleich zeigt sich in diesem Deliktsbereich laut Bundeskriminalamt (BKA) kein Anstieg.
Einsamkeit und Isolation als Faktor
Als Zuwanderer im Sinne der Statistik gilt, wer Asylbewerber oder anerkannter Flüchtling ist, aber auch Menschen, die sich unerlaubt in Deutschland aufhalten oder mit einer sogenannten Duldung. Ein von Kriminologen bei anderen Delikten festgestellter verzerrender Effekt in der Statistik - nämlich dass Straftaten, wenn sie von als Fremde wahrgenommenen Menschen verübt werden, von den Opfern eher zur Anzeige gebracht werden - kommt bei vollendeten Straftaten gegen das Leben nicht zum Tragen.
Einsamkeit oder Isolation sei grundsätzlich ein Faktor, sagt der Kriminologe Rafael Behr. Beides könne sowohl kriminelle Energie, die in der Sozialisation des Täters begründet sei, verstärken als auch psychische Probleme. Zudem sei bei Menschen, die nicht in ein familiäres Umfeld oder einen Freundeskreis eingebunden seien, das Risiko höher, dass psychische Erkrankungen unentdeckt blieben.
Womöglich sei nach der sogenannten Flüchtlingswelle von 2015 aber auch die Chance verpasst worden, ausreichende Ressourcen für Integrationsmaßnahmen zu mobilisieren, anstatt das Geld für mehr Polizei auszugeben. Gleichzeitig müsse allen klar sein: "Integration funktioniert nie hundertprozentig", sagt Behr. "Ein paar Randständige wird es immer geben."
Der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer kommentiert auf seiner Facebook-Seite den Angriff im Zug mit den Worten: "Wer zur Gefahr für ein Land wird, das Hilfe gegen Gefahr leistet, darf nicht bleiben." Doch in der Praxis ist das oft nicht umzusetzen. Da gibt es Staaten wie Syrien, in die schon seit Jahren niemand mehr abgeschoben werden kann. Bei Staatenlosen ist die Situation besonders kompliziert.
Umfangreiches Strafregister
Bei den Behörden in Nordrhein-Westfalen, wo der Angreifer aus Brokstedt zunächst gewohnt hatte, gab der Festgenommene an, er stamme aus dem Gazastreifen. "Rückführungen in die palästinensischen Autonomiegebiete waren in der Vergangenheit sehr selten", teilt ein Sprecher des Bundesinnenministeriums auf Anfrage mit. Und: "Rückführungsmöglichkeiten sind vor dem Hintergrund der Komplexität vorab genau zu prüfen."
Dem Messerangreifer aus dem Regionalzug war 2017 subsidiärer Schutz gewährt worden - jener Schutz also, der greift, wenn weder der Flüchtlingsschutz noch die Asylberechtigung gewährt werden kann und dem Menschen im Herkunftsland ernsthafter Schaden droht. 2021 war ein Verfahren auf Widerruf des subsidiären Schutzes eingeleitet worden. Grund für dieses Verfahren dürfte das umfangreiche Strafregister des 33-Jährigen gewesen sein.