Interview „Niemand ist dagegen gefeit“

Kristoff Meller

Interview: Soziologe Ueli Mäder zum Vortrag „Mythen der Verschwörung: am Beispiel der Pandemie“.

Grenzach-Wyhlen - Über „Mythen der Verschwörung: Am Beispiel der Pandemie“ spricht der Schweizer Soziologe Ueli Mäder am Montag, 13. Dezember, um 19.30 Uhr im Haus der Begegnung. Mythen der Verschwörung leben laut Mäder, der 2022 den renommierten Erich-Fromm-Preis verliehen bekommt, in Krisen besonders auf. Denn Pandemien verunsichern und verstärken soziale Gegensätze und niemand sei dagegen gefeit, wie er im Interview mit Kristoff Meller betont.

Herr Mäder, die Verbreitung des Coronavirus wurde von Beginn an durch wilde Verschwörungstheorien begleitet, woran liegt das?

Mäder: Ja, die Viren werfen viele offene Fragen auf und verunsichern. Sie regen offenbar auch viele Fantasien an und verleiten dazu, Halt bei Vereinfachungen zu suchen. Wer da mittut, gehört dann zu einer quasi mutigen Gemeinschaft. Das verbindet.

Warum glauben einige Menschen ernsthaft – wie jüngst in Österreich geschehen – dass sich staatliche Mitarbeiter bei Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen in Gullideckeln verstecken könnten, um den Teilnehmern heimlich eine Impfung in die Wade zu rammen?
So abstrus solche Annahmen sind; sie kommen mitten aus unserer Gesellschaft, die ebenfalls recht gläubig tickt. Ich meine geldgläubig. Gut ist, was rentiert. Kurzfristige Nützlichkeit dominiert. Ein stark ökonomisiertes Denken verengt die Vernunft und verkehrt Rationalität teilweise in Irrationalität. Die Fantasie reicht dann bis zu heimlichen Impfungen durch einen dämonisierten Staat, der auch sonst für Allerlei herhalten muss.

Wieso verbreiten sich Verschwörungstheorien gerade in Krisenzeiten so erfolgreich?
Krisen verstärken vorhandene Ungleichheiten. Sie erhöhen den Problemdruck. Sündenböcke sind dann gefragt, zudem Rezepte, die Komplexität arg reduzieren statt differenzieren.

Ist jeder Mensch beziehungsweise jede Bevölkerungsgruppe gleich anfällig oder spielen soziale Situation und Bildungsgrad hier eine entscheidende Rolle?
Wir sind alle gefährdet, auf andere just das zu projizieren, was wir selbst zu wenig reflektieren. Niemand ist dagegen gefeit. Darauf müssen wir stets achten. Besonders anfällig ist wohl, wer sich sozial bedrängt fühlt. Das können auch Begüterte und Gebildete sein, die viel zu verlieren haben. Weitere Faktoren kommen hinzu. Zum Beispiel autoritäre Strömungen. Sie disponieren ebenfalls zu Verschwörungstheorien.

Verschwörungen sind vermutlich so alt wie die Menschheit, doch wie haben das Internet und insbesondere die sozialen Medien die Verbreitung verändert?
Unzählige Menschen nutzen das Internet und soziale Medien. Sie empfangen und senden viele Halbwahrheiten. Diese verbreiten sich in Windeseile. Mit der demokratischen Kontrolle hapert es. Sie muss viel stärker zum Tragen kommen.

Wie sollte man persönlich Menschen im Freundes- und Verwandtenkreis begegnen, die beispielsweise behaupten, dass sie bei der Impfung einen Chip implantiert bekommen? Macht es Sinn, mit ihnen darüber zu diskutieren?
Ja, Zeit zum Gespräch ist selten verlorene Zeit. Wichtig sind geprüfte Fakten und etwas Gelassenheit. Wer verstehen will, was hinter Verschwörungsmythen steckt, rechtfertigt diese keineswegs. Selbstverständlich gilt es dabei, sich klar davon zu distanzieren, menschliche Würde zu verletzen.

Einige Impfskeptiker und Corona-Leugner haben ihre Ansichten aufgrund von Erfahrungen und Erzählungen inzwischen revidiert, ihnen fällt es aber dennoch schwer, sich impfen zu lassen. Wie schafft man den Ausstieg?
Hilfreich sind hausärztliche und überhaupt eingehende Beratungen, die unterschiedliche Motivationen berücksichtigen. Und zwar auf einer vertrauensvollen Basis, ohne mit finanziellen Anreizen oder verkappten Drohungen zu agieren. Notwendig sind Respekt und gründliche Kenntnisse. Sie führen weiter.

Wer profitiert von den Verschwörungstheorien im Zusammenhang mit der Pandemie?
Populistische Kräfte provozieren Verschwörungstheorien, von denen sie wiederum profitieren. Verschwörungstheorien kaprizieren sich beispielsweise bei der Pandemie auf eine heimliche Weltregierung und unterlaufen so fundierte Machtanalysen. Sie tendieren auch dazu, Sachverhalte zu personifizieren und lenken damit von realen herrschaftlichen Strukturen ab.

Weitere Informationen:
Die Volkshochschule stellt klar, dass der Vortrag trotz der aktuellen Corona-Verordnung stattfinden kann. Es gilt die 2G-Plus-Regel. Von der Testpflicht befreit sind laut VHS alle, die geboostert sind und alle, deren Vollimmunisierung nicht länger als sechs Monate her ist. Anmeldung und weitere Informationen unter www.vhs-gw.de, E-Mail vhs@grenzach-wyhlen.de oder Tel. 07624/ 1033.

Zur Person:
Ueli Mäder, geboren 1951, ist emeritierter Professor an der Universität Basel und der Hochschule für Soziale Arbeit. Seine Arbeitsschwerpunkte sind soziale Ungleichheit und Konfliktforschung sowie Entwicklungssoziologie, Politische Soziologie und Sozialpolitik. Der Schweizer Soziologe erhält außerdem für seine wissenschaftliche Forschung zu Fragen von Armut und Ungleichheit  den Erich-Fromm-Preis 2022. Die Verleihung findet im März in Stuttgart statt.

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