Kandern Aufwühlende Arbeits- und Lebenszeugnisse

Weiler Zeitung
„Ich male so gern!“: Aus den Briefen von Vincent van Gogh lesen Mathias Noack (links) und Dieter Bitterli im Theater im Hof. Foto: Jürgen Scharf Foto: Weiler Zeitung

Literatur: Dieter Bitterli und Mathias Noack lasen im Theater im Hof aus Briefen van Goghs

Von Jürgen Scharf

Kandern-Riedlingen. Sie tauchen in der Liste der teuersten Gemälde der Welt auf: die Bilder von Vincent van Gogh. Bei Versteigerungen der New Yorker Auktionshäuser Sotheby’s und Christie’s wurden astronomische zweistellige Millionenbeträge gezahlt: „Selbstbildnis ohne Bart“: 71 Millionen Dollar, „Porträt des Dr. Gachet“: 82 Millionen Dollar...

Diese Summen wirken umso unfassbarer, weil der Künstler zu Lebzeiten von der Hand in den Mund lebte, kein Geld hatte, oft Hunger litt. All das erfährt man in Vincent van Goghs Hunderten von Briefen an seinen Bruder Theo, von denen der Regisseur Dieter Bitterli und der Schauspieler Mathias Noack eine Auswahl in der Scheune im Theater im Hof lesen. Aufwühlende Arbeits- und Lebenszeugnisse dieses Klassikers der Moderne, abgeschickt an seinen Lieblingsbruder, unterschrieben mit „stets Dein Vincent“, in denen er ihm schildert, wie es ihm gerade geht, was für ein „armer Teufel von einem kranken Maler“ er sei.

Wenn van Gogh das Leben eines Pferdes beschreibt, ein „abgemergelter Schimmel, alter, treuer Veteran“, der auf seine letzten Stunden wartet, dann klingt das verzweifelt nach einem Sinnbild für das eigene Dasein. In einem der Briefe outet er sich als unbesonnen, leidenschaftlich, dabei tritt uns Vincent van Gogh in seinen Briefen eher besonnen, klug und geistig feinfühlig entgegen.

„Was für ein Rätsel ist doch das Leben und was für ein Rätsel im Rätsel ist die Liebe“, schreibt er an einer Stelle. Solche Schlüssel- und Merksätze werden bisweilen von einem der beiden Sprecher wiederholt. Die Briefe geben nicht nur Einblick in eine feine, aber sehr gefährdete Seele, und sagen alles über ihn, sie reflektieren auch die damalige Kunstszene und geben ausdrucksstarke Kommentare zur Entstehungsgeschichte seiner Gemälde und dem Farbenspektrum, das der Maler vor dem geistigen Auge sieht, wenn er Natur betrachtet. Malen geht nicht ohne Farbe, die Farbe ist teuer – „und ich male so gern!“

Van Gogh muss ein grandioser Augenmensch und Beobachter gewesen sein, der die feinsten Regungen in der Natur plastisch, farbig, bildreich beschreiben konnte. Am liebsten spricht er über Farben und die Natur, die aus den Farben der Palette hervorgeht. Mehr als einmal stöhnt er über die Kunst der Linien und Farben: „Das Malen ist eine aufreibende Angelegenheit“. Und es sei überhaupt nicht leicht, sich selbst zu malen, erinnert er an das berühmte Selbstbildnis, das er vor einem Spiegel gemalt habe.

Vincent van Gogh sieht sich als eigenwilliger Kolorist, der farblich übertreibt, und die Abstraktion eher ablehnt. Seitenlang konnte er über Naturphänomene reflektieren und das Gesehene, Leute oder Bäume, das Meer, das er so liebte, dramatisch in kühnsten Farben malend beschreiben. Dabei zeigt er Scharfblick voller Klarheit, wenn er über sich selbst, über das Leben, die Frau und das Kind, mit denen er zusammenlebt, über seine finanziellen und gesundheitlichen Probleme nachdenkt.

„Teurer Theo“, beginnt ein Brief, in dem über materielle Schwierigkeiten berichtet, ein ganz liebevoller und entschuldigender Bettelbrief. Auch der zweitletzte Brief vor seinem Freitod 1890, als er sich eine Kugel gab, wurde gelesen. Und irgendwann rundete sich beim Zuhörer das Bild eines genialischen Malers und seines Verständnisses der modernen Kunst und man verstand, warum van Gogh zum Mythos des einsamen Künstlergenies wurde.

Keinem hat er sich wohl so geöffnet wie seinem Lieblingsbruder, der ein halbes Jahres nach ihm starb. Das machte diese szenische Lesung deutlich, der sich zwei Theaterleute widmeten. Wobei sich die Frage stellt, ob man diese Briefe mit ihrer Intimität überhaupt schauspielerisch-theatralisch lesen müsste.

Zwei Sprecher, zwei Stimmcharaktere: Nachdenklich-melancholisch, leise, diskret und trauerumflort im Tonfall: Dieter Bitterli, der damit der „tätigen Melancholie“ van Goghs sehr nahe kam; schauspielerisch packend mit prononcierter Betonung, sprachgewandt: Mathias Noack. Auf welchen Sprachklang man auch mehr hörte: Zu erleben war in diesen Briefen einer, der schrieb, was er malte.

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