Kandern „Geheime Reichssache in Kandern“

Weiler Zeitung
„In dieser Halle und mithilfe dieser Laufkatze wäre während der Nazi-Zeit in der ehemaligen Möbelfabrik in Kandern beinahe eine Atombombe gebaut worden“, berichtete Bernhard Winterhalter (rechts), den interessierten Besuchern, die am Freitagabend mit Walter Ewert (links) eine Betriebsführung durch die WDS Druckfarbenfabrik unternommen haben. Foto: Werbering/zVg Foto: Weiler Zeitung

Ortsgeschichte: In ehemaliger Möbelfabrik sollte während der Nazi-Zeit an Atombombe geforscht werden

Auf denkwürdigem Terrain fanden sich die 75 Gäste des Kanderner Werberings wieder. Im Rahmen der Führung durch die WDS Druckfarbenfabrik führte Betriebsleiter Walter Ewert die Interessierten in eine besondere Werkshalle, wo sie der frühere Kanderner Bürgermeister Bernhard Winterhalter mit einem eindrucksvollen Beitrag überraschte. Denn genau in dieser Halle sollte während der Nazi-Zeit an einer Atombombe geforscht werden.

Kandern (wr). Die Geschichte, wie es dazu kam, erzählte Winterhalter: Ab 1943 war Konrad Beyerle Leiter der Entwicklungsabteilung der in Kiel ansässigen Firma Anschütz, die Kreiselkompasse herstellte. Er galt als Kapazität. Während der Zeit des Nationalsozialismus wirkte er an der Entwicklung von Rüstungstechnologien mit. Zahlreiche Patente gehen auf seine Forschungsergebnisse zurück. Vor allem wird ihm die Erfindung einer Gaszentrifuge zur Isotopentrennung zugeschrieben.

Auf der Suche nach einem Konstrukteur, der in der Lage war, solch ein Gerät zu bauen, hat im August 1941 das Reichsluftfahrtministerium Kontakt zu Beyerle aufgenommen. Denn die Entwicklung und Fertigung von Ultrazentrifugen zur Uran-Anreicherung war beim NS-Regime Teil des Programms für die Produktion einer „entscheidenden Kriegswaffe“, der Atombombe.

Die ersten Versuche mit dieser Anlage in Kiel und unter anderem auch in Freiburg erfolgten im August 1942 und waren erfolgreich. Nach einer längeren Testreihe lief die Ultrazentrifuge ab 1944 im Dauerbetrieb.

Nach den schweren Luftangriffen auf Hamburg im Juli 1943 und der Zerstörung der Kieler Anlagen der Firma Anschütz im Juli 1944 wurde von höchster Stelle in Berlin beschlossen, die Herstellung der weiter entwickelten Doppelzentrifuge (Abkürzung: UZ III B) nach Kandern zu verlegen. Die insgesamt zehn in Fertigung befindlichen UZ III B sollten an dem vom Reichsforschungsrat eingerichteten Ort unter dem Decknamen „Vollmers Möbelfabrik“ betrieben werden.

Im Archiv des Deutschen Museums in München befindet sich ein Brief vom 15. Dezember 1943, gerichtet an den „Reichsmarschall des Großdeutschen Reiches“, aus dem hervorgeht, weshalb Kandern als neue Forschungs- und Fertigungsstelle ausgesucht wurde. Es heißt dort wörtlich: „Das Rüstungskommando Freiburg hat uns in Kandern eine größere Fabrikhalle (1230 Quadratmeter) mit betoniertem Boden und einer Laufkatze in 4,5 Metern Höhe für dieses Vorhaben angeboten und freigehalten.“ Als Laufkatze wird eine häufig an der Decke in-stallierte Vorrichtung bezeichnet, die auf zwei Schienensträngen als bewegliches Kranteil Verwendung findet, um schwere Lasten heben und innerhalb einer Werkshalle versetzten zu können.

Ferner enthält der Brief ein detailliertes Verzeichnis der Werkmaschinen, die für die Herstellung dieser Aggregate damals gebraucht wurden. Es ist dabei von einer größeren Ausstattung die Rede. Zur Beschaffung waren insbesondere eine Leitspindeldrehbank, eine Universalfräsmaschine, eine Bohrmaschine sowie eine Rundschleif- und Planschleifmaschine vorgesehen. Die notwendigen Vorbereitungen für die Produktion in Kandern waren abgeschlossen, und die Aufnahme der Arbeit stand unmittelbar bevor.

Doch dann kam alles anders: Der Zusammenbruch der Westfront im August/September 1944 machte eine erneute Verlegung des Standorts notwendig. Die Entscheidung für eine neue Produktionsstätte fiel auf Celle (heute Niedersachsen). Dort wurde im November 1944 eine Ultrazentrifuge aufgebaut und im Februar 1945 in Betrieb genommen. Pro Tag konnten bis 50 Gramm um 15 Prozent angereichertes Uran hergestellt werden. Jedoch fand die Produktion ein jähes Ende. Im März 1945 kam es infolge einer Explosion zu schweren Schäden an der Zentrifuge. Dieses Ereignis bedeutete das endgültige Aus für das Forschungsprojekt. Die Fertigung wurde im April 1945, wenige Tage vor der Kapitulation, gestoppt, als britische Truppen heranrückten. Das angereicherte Uran blieb verschollen. Auch Bauteile von Zentrifugen wurden an einen unbekannten Ort gebracht und sind bis zum heutigen Tag nicht auffindbar.

Wie ein Denkmal aus vergangener Zeit

Die Halle, in der vor 75 Jahren an der Entwicklung einer Atombombe hätte geforscht werden sollen, steht auch heute noch in Kandern. Die Laufkatze, die nach wie vor mit einem Teil der Gleise unterhalb der Decke befestigt ist, vermittelt einerseits den Eindruck, als wäre sie noch immer in Betrieb, andererseits wirkt die ganze Maschinerie wie ein Denkmal aus vergangener Zeit. In der WDS Druckfarbenfabrik, die jetzt dieses Anwesen als Produktionsstätte nutzt, kommt die Laufkatze nicht mehr zum Einsatz.

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