Kandern-Holzen Subtile Rache endet für Täter tödlich

Jürgen Scharf
Klaus Koska (links) und Dietmar Fulde lasen in der „Dorfmitte“ Holzen eindringlich den in der NS-Zeit spielenden fiktiven Briefwechsel „Adressat unbekannt“. Foto: Jürgen Scharf

Mit ihrer eindrücklichen Lesung aus dem Briefroman „Adressat unbekannt“ warfen Dietmar Fulde und Klaus Koska beim Publikum Fragen auf und weckten starke Emotionen.

Die Frage nach dieser halbszenischen Lesung war, wie es den Zuhörern im Kulturraum Dorfmitte mit dem zuvor Gehörten erging. Es war ein Stück über einen deutschen Nationalsozialisten und einen amerikanischen Juden, das bei jedem der Zuhörer Emotionen und Gedanken hervorbrachte.

Gestaltet als Briefwechsel zwischen zwei ehemals befreundeten 40-jährigen Männern, erlebten die Zuhörer in dem 1938 erschienenen Briefroman „Adressat unbekannt“ von Kathrine Kressmann Taylor die Geschichte einer Freundschaft, die in einer tödlichen Rache endet.

Freundschaft endet tödlich

Der jüdische Kunsthändler Max Eisenstein hat in San Francisco/Kalifornien zusammen mit seinem deutschen Partner und Freund Martin Schulse eine florierende Kunstgalerie und überweist seinem Kompagnon auch nach dessen Rückkehr nach München weiterhin die Gewinne aus dem gemeinsamen Geschäft.

Schulse gerät 1933, mit Beginn des Naziterrors, zunehmend in die Fänge des Nationalsozialismus, wird zum Mitläufer, dann zum überzeugten „Teil der Bewegung“, wie er es nennt, Parteimitglied, ein glühender Verfechter von Hitler-Deutschland und zeigt „Haltung“.

Briefe werden kontrolliert

Der NS-Karrierist bricht die Korrespondenz ab, weil seine Post vom Geheimdienst kontrolliert wird, und kündigt seinem „teuren alten Gefährten“ in Amerika, wie er ihn anfänglich noch nennt, die Freundschaft auf. Die Autorin fügt in ihren fiktiven Briefen noch eine Liebesgeschichte ein. Martin war einmal der Geliebte von Max’ Schwester Griselle, einer Schauspielerin, die er vor den SA-Männern, die ihr auf der Spur sind, nicht versteckt und so schuldig wird am Mord an der jungen Jüdin, was ihm sein amerikanischer Freund nie verzeiht.

Adressat ist unbekannt

Eisensteins Rache ist sehr subtil, aber wirkungsvoll. Er bombardiert den ehemaligen Freund mit fingierten Briefen, die mit einem Kunstcode so raffiniert verschlüsselt sind, dass sie Verdacht erregen müssen, Schulse sei der Agent einer jüdischen Widerstandsorganisation. Irgendwann kommt sein letzter Brief vom Reichspostamt mit dem Rücksendungsvermerk: „Adressat unbekannt“ zurück. Was das bedeutet, kann man sich denken.

Charaktere werden klar

Die beiden Schauspieler Dietmar Fulde und Klaus Koska sitzen in Sesseln vor kleinen Tischchen und schaffen es, dank ihrer Stimmen, Körperausdruck, Mimik und wechselnder Tonlage, die beiden Charaktere zwischen den Zeilen lebendig werden zu lassen.

Koska als Max Eisenstein bringt die Verzweiflung und Sorge um die Situation, die Schreckensnachrichten über Hitlers Machtübernahme und die Qual um den Tod der Schwester bedrückend zum Ausdruck.

Dietmar Fulde vollzieht glaubhaft den Wandel von Martin Schulse nach, vom guten Freund bis zum fanatischen „deutschen Patrioten“, der in Hitler einen „Mann der Tat“ sieht, diesem „frisch geschliffenen Schwert“ gerne folgt und dafür die Freundschaft mit Max kalt aufkündigt: „Wir sind keine Freunde mehr“.

Ende lässt Fragen offen

Nach der Lesung wurde mit dem Publikum diskutiert über das Ende der Geschichte. Ein „gutes Ende“, wie Fulde in den Raum stellte, das ihn mit dem Gefühl von Befriedigung erfülle, weil einmal der Böse und nicht der Jude das Opfer sei. Psychologisch und moralisch argumentierend, brachte Fulde das Vergeltungsprinzip bei einer schlechten Tat ins Gespräch.

Publikum bleibt gespalten

Rache sei keine Lösung, war aber auch aus den Zuhörerkreisen zu hören. Manche Besucher empfanden eher Mitleid mit den beiden Protagonisten, andere reagierten fassungslos und traurig. Das sei ein Zwiespalt, den man aus diesem Stück mitnehme, befand Klaus Koska. Also es war ein Abend, der Gedanken angestoßen hat, nachdenklich und betroffen machte.

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