Kandern Kandern und der Erste Weltkrieg

Volker Scheer

Rückblick: Zwei folgenschwere Luftangriffe und am Ende 65 junge Einwohner, die ihr Leben verloren haben.

Kandern - Nach den Ereignissen in Kiel mit den ersten Soldatenräten am 4. November 1918 und anderswo konstituierte sich aus der Minenwerferschule in Kandern und in der Umgebung liegenden Kompagnien, wie in den meisten größeren Städten, der Soldatenrat. Gerüchteweise war schon im Lauf des Samstags (9. November) bekannt geworden, dass ein Umzug stattfinden und ein Soldatenausschuss als Soldatenrat vollziehende Gewalt erhalten sollte.

Bis Sonntagmittag waren die Vorkehrungen getroffen. Bei einer allgemeinen Soldatenversammlung um 15.30 Uhr auf dem Blumenplatz wurden dessen Ziele und Bestrebungen dargelegt und dass nach dem Vorbild anderer Städte und Garnisonen vorgegangen werden soll. Verschiedene Redner, einfache Soldaten, sprachen auf einem Wagen mit zwei roten Fahnen als Tribüne.

Der Soldat solle vor allen Dingen wieder Mensch werden; Mensch mit Herz und eigenem Denken; nichtssagende Nummer, willenloses Objekt seines Vorgesetzten solle er nicht mehr sein. Vorgesetzte sollte es nur noch im Dienst geben. Den Dienst und seine Ausführung setzte der Soldatenrat an. Offiziersküchen und Kasinos hörten auf. Beschwerden gingen durch den Soldatenrat. Derselbe stellte auch Zucht und Ordnung unter den Soldaten her.

Nach den Reden gibt es einen Zug durch die Stadt unter „Voranzug“ einer Musikapelle mit roten Fahnen. „Es war ein stattlicher Zug, der auch Bürger und Frauen anlockte“, hieß es in der Zeitung.

Als am 9. November 1918 endlich die Waffen schwiegen, hatten 65 junge Kanderner – meist evangelische – im seit 1914 tobenden mörderischen Krieg ihr Leben verloren. Zwei Kanderner starben in der Gefangenschaft, fünf weitere in den Jahren danach an den Folgen der erlittenen Verletzungen, und vier blieben vermisst.

Die evangelischen Pfarrer Hans Paul und nach ihm Johannes Lehmann gedachten in Gottesdiensten der Umgekommenen und 53 widmeten sie im Kirchenblatt „Evangelischer Gemeindebote“ einen Nachruf mit teilweise ausführlichem Lebenslauf.

Weitere drei fanden auch Erwähnung, die vorübergehend in Kandern lebten, darunter der Lehrer Friedrich Ludwig, der sich mit einer Kramer-Tochter in Kandern verheiratet hatte. Er stammte aus Ingweiler im Elsass und kam am 2. September 1917 in Wilna ums Leben.

Im Standesbuch der katholischen Kirchengemeinde verzeichnet ist der Unteroffizier Leo Robert Kramer, geboren in Marckolsheim im Elsass, verstorben am 20. November 1916 im Feldlazarett Ham an der Somme und am 28. November in Straßburg bestattet. Auch er war zeitweise Lehrer in Kandern.

Nachrufe widmete der evangelische Pfarrer Paul auch dem aus Tannenkirch stammenden Albert Linsig und dem zeitweise an der Kanderner Post beschäftigten Ernst Schillinger aus Obereggenen. Diese drei sind am Denkmal auf dem Böscherzen nicht erwähnt.

Unter den 53 im Gemeindeboten Erwähnten und auf dem Denkmal Festgehaltenen befindet sich auch Franz Fehr, der zwei Jahre in Kandern Lehrer war und im Lazarett in Bochum am 14. April 1918 starb. Seine Familie lebte in Kenzingen, und auf dem dortigen alten Friedhof ist sein Grabstein heute noch erhalten.

Als Erster kam am 19. August 1914 Wilhelm Lais bei Schirmeck im Elsass ums Leben, als Letzter Karl Friedrich Lacher am 24. Oktober 1918 bei Le Sart.

Zweimal wurde Kandern schwer getroffen

Das Städtchen selber wurde während des Krieges zweimal von Angriffen heimgesucht: Am 20. April 1915, als mehrmals die Schule getroffen wurde, drei Kinder leicht-, eines schwerverletzt wurden, eine 15-jährige Schülerin ein Bein verlor und in einem Nachbarhaus ein einjähriger Bub durch einen Splitter tödlich verletzt wurde. Auch Nachbargebäude und die Epitaphe hinter der Kirche wurden beschädigt. Wahrscheinlich waren die Tonwerke das verfehlte Ziel.

Folgenreicher war der Angriff in der Nacht vom 16. auf den 17. Februar 1916, als wieder die Tonwerke als Ziel verfehlt wurden, aber das nächstgelegene Haus Müller getroffen wurde, und eine Mutter mit ihren vier Mädchen ums Leben kam. Daran erinnert der Gedenkstein Müller an der Friedhofsmauer.

Neben kleineren Schäden an verschiedenen anderen Stellen gab es große am Anwesen vom Schmiedemeister Lorenz Kühn an der Feuerbacher Straße.

Stellvertretend drei Schicksale aus Kandern

Emil Mayer, der Vater von Malermeister Karl Mayer, Großvater von Rudi Mayer, war zu Kriegsbeginn in der Schweiz und wurde von Eidgenossen geradezu bedrängt, dem „bedrohten Vaterland“ beizustehen. Weil er sich verspätet zum Militär meldete, kam er nicht in die beste Truppe und wurde im Sommer 1915 bei Wilna, damals Russisch-Polen, verletzt. Ein jüdisch-litauischer Offizier bewahrte ihn vor dem Erschießen durch einen einfachen russischen Soldaten, wodurch er in Gefangenschaft kam.

Zunächst wurde er als vermisst gemeldet, dann als „verstorben“ bezeichnet und mit dem mutmaßlichen Todestag in das Kirchenbuch und so auch 2013 unverändert in das Ortsfamilienbuch Kandern übernommen.

Glücklicherweise hatte er überlebt, kam nach seiner Entlassung ins Mannheimer Lazarett. Bald schon war er daheim, konnte sein Malergeschäft ausbauen und verstarb im Alter von 69 Jahren am 7. Oktober 1960.

Am 3. September 1915 kam auf See unmittelbar vor der Landung in Nordholz zwischen Neuwerk und Duhnen bei der Insel Neuwerk durch Zeppelin-Absturz aus 800 Meter Höhe durch Blitzschlag auf einer Probefahrt Gustav Adolf Schöpflin mit der ganzen 19-köpfigen Besatzung ums Leben.

Nach Lehre, Baugewerke-schule Karlsruhe, Tätigkeit in der Schweiz, Einjähriges in Wilhelmshaven, Stellen in Düsseldorf, Frankfurt, Mannheim und Sterkrade ging er für zwei Jahre in die USA, war bis kurz vor Kriegsausbruch in leitender Stellung bei einer der größten Turbinenbau-Firmen in England, kam mit dem letzten Passagierschiff aus England nach Holland und von dort nach Wilhelmshaven, wo er sich der Marine stellte.

Das Luftschiff LZ 40 absolvierte am 13. Mai 1915 seine Aufklärungsfahrten über Nordsee und Umgebung und warf bei fünf Angriffen auf England 9900 Kilogramm Bomben ab.

Pfarrer Paul widmete ihm im evangelischen Gemeindeboten einen Nachruf mit ausführlicher Biographie. Nachdem der Sarg nach Kandern überführt war, fand die Bestattung am 10. September statt. Die militärischen Ehren erwies der Kanderner Landwehr- und Reservistenverein. Das Trauergefolge war groß, und nach der Beisetzung fand die Totenfeier für insgesamt drei Gefallene, Gustav Adolf Schöpflin, Eugen Argast und Fritz Brenner, in der Kirche statt.

Georg Hermann Hanser, Leutnant und Kompanieführer, wurde am 21. August 1917 in Kandern mit militärischen Ehren beerdigt. Vor dem elterlichen Geschäft G. W. Hanser waren Abordnungen von Vereinen und Abteilungen von Militär und Minenwerferschule versammelt, eine Musikkapelle führte den Trauerzug an.

Nach Ausbildung auch in der Schweiz absolvierte er seinen Militärdienst in Lindau. Nach kurzer Tätigkeit im elterlichen Geschäft musste er nach Flandern einrücken und wurde Vizefeldwebel.

Beim ersten Gasangriff am 22. April 1915 hielt er seine Stellung gegen Schotten und Kanadier, führte als Offizier-Stellvertreter, wurde am 26. Juni Offizier und übernahm wenig später die 6. Kompanie des Reserve-Infanterie-Regiments Nr. 238.

An der Somme hielt er bei Grand Cour und Les Boeufs die Stellung gegen englische Infanterie, Panzer und Kavallerie. Dort verdiente er sich das Eiserne Kreuz I. Klasse. Großherzog Friedrich sprach bei einer Besichtigung länger mit ihm und verlieh ihm den Orden vom Zähringer Löwen 2. Klasse.

Im Februar 1917 war er zum letzten Besuch in Kandern, wurde am 12. Juli dorthin geschickt, wo er schon vor drei Jahren war; am 31. Juli wurde er schwer verletzt und verstarb am 3. August im Lazarett 36 F in Izegem/Belgien kurz nach seinem 27. Geburtstag.

Auf Wunsch der Eltern hat ihn der damalige Kanderner Pfarrer Paul heimgeholt, sagte aber später, dass er so etwas ungern ein zweites Mal machen würde.

In einer Anzeige am 15. November 1918 zitierte Bürgermeister Götz einen Aufruf: „Fälle von Plünderungen, Brandstiftung, Gefährdung von Eigentum und Leben durch Gewalttätigkeit, insbesondere alle Übergriffe, die die allgemeine Ernährung in Frage stellen, bitten wir auf dem schnellsten Wege uns mitzuteilen, damit sofort gegen die Schuldigen eingeschritten und ihre Bestrafung herbeigeführt werden kann.

Kein Soldat ist befugt, irgendwelche Artikel zum Verkauf anzubieten. Käufer werden sofort verhaftet. Nur bei allgemeiner Mitarbeit wird es möglich sein, die Heimat vor schwersten Schäden zu bewahren.“

Am 25. November 1918 wiederholten Rotes Kreuz und die Vereinigten Vereine Kandern den Aufruf mit der Bitte um Geldspenden für die Versorgung von 22 Gefangenen und der Garnisonstruppen. Weihnachtsgaben sollten ermöglicht werden.

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