Kandern Sein Beruf ist ihm eine Berufung

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Dr. Hubertus Wildi mit einer seiner drei „guten Seelen“ Marlies Meier, die ihn zusammen mit Karin Bolanz und Annerose Karle-Moritz untersützt. Das Praxis-Velo, mit dem „Hubidoc“ zu seinen Hausbesuchen radelte, dient meist nur noch als Deko: 2015 ist der scheidende Landarzt auf das E-Bike umgestiegen. Foto: Kaja Wohlschlegel

Praxisschließung: Dr. Hubertus Wildi geht nach fast 30 Jahren in den Ruhestand / Noch kein Nachfolger

Kandern - Notfall an der Kanderner Hauptstraße: Dr. Hubertus Wildi klemmt sein Leder-Köfferli auf den Gepäckträger seines Dienstfahrrads und tritt kräftig in die Pedale. Unglücklicher Umstand: Der Patient hat sich eingeschlossen und den Hausschlüssel verlegt. Sein Hausarzt fackelt nicht lange: Er schnappt sich die nächstbeste Leiter und klettert durch das Fenster im ersten Obergeschoss zum Einsatzort.

Während seiner fast 30-jährigen Laufbahn als Landarzt in Kandern hat sich so manche Anekdote wie diese angesammelt. Doch in wenigen Wochen endet die Ära Wildi: „Hubidoc“, wie er gerne scherzhaft genannt wird, setzt sich zum 30. Juni zur Ruhe.

Nachfolger gesucht

Im August wird er 68 Jahre alt, und jetzt habe er das Gefühl, „dass es längt“. In Kandern habe er eine wunderbare Zeit verbracht. Sein Beruf als Hausarzt war seine „Berufung“. Und jetzt ist er traurig, dass er seine Praxis schließen muss.

Insgeheim hofft Hubertus Wildi, dass es ihm so geht, wie vor Jahren seinem Zeller Kollegen Friedrichs: Dieser habe an seinem allerletzten Praxistag noch einen Nachfolger gefunden, der seine Patienten weiter betreut.

Wildi kann nur spekulieren, weshalb keine jungen Ärzte mehr als Hausarzt arbeiten wollen. „Junge Leute möchten sich wohl nicht festlegen oder fest niederlassen“, sinniert er. Außerdem seien es überwiegend Frauen, die Medizin studieren und hinterher gerne in Teilzeit arbeiten wollen, um Beruf und Familie vereinbaren zu können. Manche jungen Mediziner schrecke vielleicht auch das negative Berufsbild ab, das die Vorgänger-Generation geprägt habe, indem sie sich zum „Helden stilisiert“ hätten und für ihre Patienten rund um die Uhr erreichbar waren.

„Das ist völlig überholt“, stellt Hubertus Wildi klar. Ein Landarzt kann sich seinen Alltag gut einrichten, ohne überbelastet zu sein und ohne Nachtdienste. Und außerdem könne ein Hausarzt sehr gut und auskömmlich von seiner Arbeit leben.

Motorräder als Hobby

Aufgewachsen in Hausach im Schwarzwald, hatte Hubertus Wildi als heranwachsender Bub nur eines im Kopf: Motorräder. In alten Scheunen und Ställen erstöberte die Schwarzwälder Dorfjugend kleine Schätze namens „Horex“ oder „NSU“, schraubte so lange daran herum, bis sie wieder fahrtüchtig waren und heizte dann damit durch den Wald. „Diese Leidenschaft für Motorräder hält bis heute an“, erklärt Hubertus Wildi.

Er war selbst erstaunt, als er damals ein ganz passables Abitur hinlegte und entschied: „Jetzt mach ich halt mal Medizin“, und siehe da, „es hat mir sogar gefallen“, erklärt er rückblickend. Nach dem Studium in Freiburg wollte er Chirurg werden, arbeitete auch mehrere Jahre im Krankenhaus auf dieses Ziel hin. Aber die Stellen blieben rar, so dass er auf Allgemeinmedizin umsattelte und im Jahr 1991 als gleichberechtigter Partner von Dr. Wolfgang Tscheulin in die Gemeinschaftspraxis an der Waldeckstraße in Kandern einstieg.

Abschied von Patienten

Seine seitdem ständige Begleiterin: eine dunkelblaue Vespa. Mit ihr plant er nun eine Abschiedstournee durch die Wälder. Denn seit der Corona-Krise hat Wildi seine Hausbesuche auf ein Minimum zurückgefahren, um auch seine Patienten zu schützen. Aber es ist ihm ein Herzensanliegen, sich von ihnen zu verabschieden.

Die Vespa hat Wildi nur ein einziges Mal im Stich gelassen, und zwar während eines Einsatzes auf dem Blauen: Ein verunfallter Radfahrer brauchte seine Hilfe und wählte den Notruf. Doch just in dem Moment, als Wildi am Unfallort eintraf, riss bei der Vespa der Kupplungszug. Und weil von dem Radfahrer weit und breit keine Spur mehr war, luden Wildi und Rettungssanitäter Herion die Vespa in den Krankenwagen und chauffierten sie anstelle des Radlers zurück nach Kandern.

Von Katzen und Laufenten

Die Klientel der Berggemeinde war ohnehin von jeher pragmatisch veranlagt: Als Hubertus Wildi eines Tages einen Patienten besuchte, meinte dieser, er könne ja – wo er schon mal hier sei – auch gleich noch seiner verletzten Katze die Fäden ziehen, damit er die Kosten für den Tierarzt spare.

Auch für seine Mitarbeiterin Annerose Karle-Moritz war Wildi die letzte Rettung: Eine ihrer indischen Laufenten hatte sich an einem Stacheldraht den Hals aufgeritzt. Mit der Ente auf dem Arm eilte sie in den kleinen OP-Saal von Wildis Praxis. Hier musste der Arzt dann blitzschnell entscheiden, ob er zunächst das Federkleid wieder zusammennähte oder die Platzwunde eines wartenden jungen Mannes. „Ich habe dann doch dem jungen Mann den Vortritt gelassen“, erzählt Wildi schmunzelnd.

Seine Mitarbeiterin zeigte sich über die medizinische Soforthilfe dann Monate später erkenntlich, indem sie ihm die verunfallte Ente als Weihnachtsbraten serviert hat.

Rührende Anekdoten

Überhaupt wurde Wildi zu Weihnachten von seinen Patienten mit Schinken und Schüffeli überschüttet. Eier brachten die Kunden jede Woche mit; Wein war auch immer eine willkommene Art der Wertschätzung, ebenso Butterbrezeln.

Als diese Woche eine türkische Patientin von Wildis geplantem Rückzug erfahren hat, war sie so traurig, dass sie extra für ihn Kekse gebacken hat. Hubertus Wildi ist gerührt, wenn er von diesen Begebenheiten erzählt.

Genau das sei es, was den Beruf des Landarztes so erfüllend mache, sagt der 67-Jährige: den Menschen helfen zu können und deren Vertrauen zu gewinnen. Natürlich sei der Job auch anstrengend, das verhehlt Wildi keineswegs. Insbesondere wenn es in der Praxis drunter und drüber gehe und dann noch der – von Wildi schon 1000-mal verfluchte – Papierkram danach schreit, endlich erledigt zu werden.

Im Städtli präsent

Hubertus Wildi hat das Klischee vom „Halbgott in Weiß“ von Anfang an entkräftet. Der Arzt war geselliger Gast in Freddy’s damaligem Pilsstüble; donnerstags trifft man ihn in der Singstunde des Männergesangvereins Vogelbach-Malsburg. Und auch sonst begegnet man Hubertus Wildi, wann immer etwas los ist, im Städtli. Die dauernde Präsenz war für ihn anfangs schon gewöhnungsbedürftig. „Aber jetzt ist es meine Lebensform; ich gehe nicht auf Distanz zu meinen Patienten“, betont er.

Schrauben und reisen

Wenn „Hubidoc“ frei hat und nicht gerade Blutdruck misst, Patienten über ihren Cholesterinwert belehrt oder deren Schnittwunden zusammenflickt, dann findet man ihn schraubend und ölverschmiert unter einem seiner alten Motorräder liegend. Zum Fuhrpark zählen, neben der blauen Vespa, seit 2015 nach der schweren Herz-OP ein E-Bike, eine alte Triumph, zwei BMWs sowie zwei englische Maschinen, für deren Instandsetzung Wildi gerade einen großen Posten Ersatzteile erstanden hat.

Sollte er während des Ruhestands des Schraubens müde werden, will er noch „e bizzele reisen“, und außerdem hat er beim Aufräumen noch eine nicht aufgebrauchte Punktekarte für das Kanderner Freibad gefunden: „Die will ich natürlich noch ausbaden“, sagt er lachend.

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