Kleines Wiesental Begeisterter Applaus für die Autoren

Markgräfler Tagblatt

AG Kulturhaus: Doppellesung mit Claudia Scherer und Björn Kern / Zuschauer lauschen gespannt

Der Initiator der Rieder Doppellesungen, Markus Manfred Jung, zeigte sich bei der Eröffnung der im fünften Jahr stattfindenden Veranstaltung, die vom „Förderkreis deutscher Schriftsteller in Baden-Württemberg“ unterstützt wird, höchst erfreut: „Freuen wir uns auf Kultur und menschliche Gemeinschaft: ein tief verankertes menschliches Grundbedürfnis und Grundrecht, das wir so lange in Anspruch nehmen wollen, wie es geht.“

Von Dirk Friberg

Kleines Wiesental-Raich. Anlass für diese Worte dürften wohl die noch immer geltenden Corona-Regelungen sein, die tiefe Einschnitte im kulturellen Leben und im zwischenmenschlichen Miteinander hinterlassen haben.

So fand diese Veranstaltung nicht wie gewohnt im Rieder „Kulturhuus“, sondern in der benachbarten Kapelle statt, da dort mehr Gäste untergebracht werden konnten.

Aber auch in der neuen Umgebung kam die 5. Lesung bei den interessierten Zuschauern sehr gut an. So wurde es mucksmäuschenstill im Raum, als Claudia Scherer begann, in Mundart einige ihrer Gedichte vorzutragen. Die aus Wangen im Allgäu stammende freie Schriftstellerin und Künstlerin nennt ihren besonderen Dialekt selbst liebevoll „Allgäuer Alemannisch“. In den Ohren der hier Einheimischen klingt diese Variante sehr schwäbisch.

„Das Tor zum Nie“

Danach trug Claudia Scherer weiter aus ihren Werken in Schriftdeutsch vor, die sich um Themen drehten, die alle Zuhörer ansprachen, wie zum Beispiel das unvermeidliche Fehler machen oder die schier unzähmbare Ungeduld. Abschließend las sie noch Prosa aus ihrem neuesten Werk „Das Tor zum Nie“ vor, und die Zuhörer lauschten gebannt.

Als sie zum Abschluss augenzwinkernd meinte, „So, das war es jetzt von Melanie und Hermann“, ertönte lang anhaltender Applaus, und im Hintergrund fragte leise eine Männerstimme „Und wie geht es jetzt weiter mit Hermann?“, worauf eine Frauenstimme ebenso leise wie lapidar antwortete: „Kauf dir das Buch, dann weißt du es“.

Tatsächlich konnte man in der Pause, die im Freien stattfand, an den Büchertischen die Werke der beiden Vortragenden erwerben und signieren lassen, was sich viele Gäste nicht entgehen ließen.

Das ansonsten übliche reichhaltige Buffet musste coronabedingt vorportionierten Tellern weichen, was aber dem Zuspruch der Gäste keinen Abbruch tat. Astrid Liebl und Sigrid Fricker von der einladenden AG Kulturhaus des Vereins „Brauchtum im Kleinen Wiesental Raich“ kredenzten zudem Sekt und weitere edle Getränke.

Dermaßen bestens eingestimmt, nahmen die Gäste gern wieder ihre Plätze ein, um nunmehr Björn Kern zu lauschen. Der gebürtige Lörracher und in Schopfheim aufgewachsene Schriftsteller war schon als Jugendlicher am Theodor-Heuss-Gymnasium mit bemerkenswerten eigenen Texten hervorgetreten und mit dem Scheffelpreis ausgezeichnet worden. Kern leistete Zivildienst in einem Heim für psychisch Kranke und alte Menschen in Südfrankreich, um dann in Tübingen, Passau, Aix-en-Provence sowie am Deutschen Literaturinstitut Leipzig zu studieren.

Abenteuer draußen

Mit seinem 2001 erschienen Erstlingswerk „Kipppunkt“, einem Roman, in dem er auch seine Eindrücke als Zivildienstleistender verarbeitet, begann seine steile literarische Karriere.

Weitere, ebenfalls autobiographische Züge aufweisende Romane standen auf Bestenlisten, wurden ausgezeichnet und in andere Sprachen übersetzt.

Der mit über 20 Auszeichnungen versehene Schriftsteller lebt inzwischen mit Partnerin und Tochter in Seelow im Oderbruch, in einer durch Umleitung der Oder trockengelegten dünn besiedelten Landschaft, die ihm inzwischen zu einer neuen Heimat geworden ist. Die Liebe zu ihr kommt in seinem Roman „Im Freien. Abenteuer vor der Tür“ deutlich zum Ausdruck, wie die vorgetragenen Textpassagen zeigten.

Schmunzelnd hatte er zuvor das Publikum davor gewarnt, das Buch als Outdoor-Ratgeber misszuverstehen, auch wenn der Titel dies vielleicht vermuten ließe. Und er fügte noch augenzwinkernd hinzu: „Vielleicht eine Strategie des Verlages, um die Auflage zu steigern?“ Dann beginnt er zu lesen, zunächst das 9. Kapitel.

Dies handelt von einem Vater, der mit Sohn Luc allein mit Rucksack und Zelt in der schier menschenleeren Landschaft des Oderbruchs unterwegs ist.

Schon bei den ersten Sätzen zieht der Text die Zuhörer in seinen Bann. Wie der Vater dem Kind anschaulich erklärt, was Zeit ist, und das Kind, das nach seinem Todeszeitpunkt fragt, mit Bildern beruhigt, diese Dialogkunst hat Hebel‘sche Qualität.

Die sanfte Stimme Kerns und die filigran gewobenen, kunstvoll ineinander übergreifenden Sätze lassen in den Köpfen der Zuhörer einen Film ablaufen.

Wie gefesselt lauschen sie den Schilderungen. Nicht nur Lucs kindliche Sichtweise, auch die sich aus der Nähe zur urtümlichen Natur ergebenden Weisheiten des Vaters („Glück wächst proportional zur Entfernung zum nächsten Auto“) faszinieren.

Als Kern dann nach dem letzten Satz des Kapitels verstummt, bleibt es einen Moment still im Saal, dann entlädt sich die Spannung des Publikums in lang anhaltendem Applaus, der an das Donnern des eben geschilderten Gewitters erinnern lässt.

Kern selbst benennt im Gespräch die Essenz seines Werkes als die Botschaft, positive Leichtfertigkeit zu vermitteln, die nicht mit Gedankenlosigkeit zu verwechseln ist.

Die außerordentlich gelungene Veranstaltung vermittelt Vorfreude auf die 6. Auflage 2021, vermutlich dann mit der Freiburger Autorin Susanne Fritz und dem aus Lörrach stammenden Liedermacher Uli Führe.

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