Kleines Wiesental Medizinische Schätze im Keller

Gerald Nill

Geschichte: Der ehemalige Landarzt Hans Viardot würde gerne ein Praxismuseum einrichten

„Man müsste eigentlich ein medizinisches Praxismuseum einrichten“, sagt der ehemalige Landarzt aus dem Kleinen Wiesental, Hans Viardot, und leitet den Besucher über steile Stiegen in den Keller seines Hauses in Tegernau. Unten führen Arzneimittel und medizinische Geräte aus den ausgehenden 19. Jahrhundert verstaubt in Regalen ein Dornröschendasein.

Von Gerald Nill

Kleines Wiesental-Tegernau. Der 83-jährige Hans Viardot kennt die Anfänge der Landmedizin im Kleinen Wiesental nur zu genau, aber er weiß auch, dass seine eigene Lebensuhr zu ticken beginnt und die Energie für ein weiteres Lebenswerk wohl nicht mehr reicht.

Wie die Schulmedizin ins Tal kam

Zwei Schwarz-Weiß-Bilder dokumentieren die Anfänge der Schulmedizin im Kleinen Wiesental. Es war Dr. Max Berberich, der 1886 nach Tegernau kam und sich fortan um das Thema Gesundheit kümmerte.

Bis dato bestimmten Heilpflanzen, die Mönche aus Italien mitgebracht hatten, die medizinischen Behandlungsmethoden im Südschwarzwald. Man vertraute der Wirkung der Heilkräuter im eigenen Bauerngarten, was blieb auch anderes übrig.

Dann brachte besagter Max Berberich die Schulmedizin mit, verordnete aber nicht nur, was in alten Lehrbüchern steht, sondern verbreitete auch ganz eigene Heilmethoden, wie Hans Viardot weiß. „Viele Landärzte waren früher Alkoholiker“, berichtet er.

Beim Hausbesuch ging der Griff zum Eckschrank, in dem das Hochprozentige stand. „Max Berberich hat selbst den Kartoffelschnaps propagiert.“ Die Sorte Topinambur sollte gegen Diabetes helfen, was freilich Unsinn ist, aber viele Bewohner im Tal schworen fortan auf die Heilwirkung und die Topinambur-Kur.

Hans Viardot schläft im alten Ärztebett

Das eine Schwarz-Weiß-Bild ist ein Porträt des stattlichen Mediziners. Das zweite zeigt eine Gruppe vor dem Gasthaus „Krone“ in Tegernau: Landarzt Berberich mit Kutscher Hansi im Fuhrwerk, daneben die Wirtsleute Hug in Markgräfler Tracht. Die Aufnahme stammt aus dem Jahr 1894.

Der erste Landarzt im Kleinen Wiesental muss angesehen gewesen sein, und manches Möbelstück hat die beinahe 140 Jahre bis heute überlebt. Viardot selbst schläft in einem extra großen Bett seines Vorvorvorgängers. Eine schwere Tischuhr Berberichs sowie eine Kommode sind weitere Einrichtungsgegenstände im Hause Viardot.

Die wahren Schätze schlummern jedoch verstaubt im Keller und warten nur darauf, wiederentdeckt zu werden. Der Heimatkundler lüftet ein weißes Laken, das ein Regal mit medizinischen Gerätschaften und alten Arzneien verhüllt. „Berberich hat die erste Praxis-Apotheke eingerichtet“, weiß Viardot. „Das gab’s noch nicht.“

Zwei Tage bei der Zangengeburt

Der Landarzt spricht von einer „Riesen-Ausstattung“, die von einst erhalten geblieben ist und sucht den legendären Geburtshilfekoffer, mit dem sein Vater Anatole Viardot als junger Arzt unmittelbar nach seiner Ankunft in Tegernau im Jahre 1937 zu einem ersten Großeinsatz ins Hause Zeh nach Elbenschwand gerufen wurde.

„Zwei Tage und zwei Nächte blieb mein Vater in Elbenschwand, um eine äußerst langwierige, aber letztlich erfolgreiche Zangengeburt vorzunehmen“, berichtet der Tegernauer.

Unfälle mit grausamen Folgen

Nach längerem Suchen findet Hans Viardot die besagte Medizintasche und kann die Zange zeigen, mit der der große Kopf des neuen Erdenbürgers einst gepackt wurde.

Zu den unterschiedlichsten Einsätzen wurde Viardots Vater gerufen. Mal ging es dann mit dem Milchwagen nach Neuenweg, mal mit dem Fahrrad zurück. Der erste Käfer ersetzte in den 1950ern – vielbestaunt – das Pferdefuhrwerk. Hans Viardot weiß noch genau, wie im Winter immer wieder die Schneeketten in den Höhendörfern angelegt und im Tal wieder abgezogen werden mussten.

Hans Viardot übernahm die Landarztpraxis 1973. Er blickt auf ein ausgefülltes Leben zurück. Besonders die 1970er Jahre, als es noch zehnmal mehr Verkehrstote als heute gab und viele Schwerstverletzte im Straßengraben, haben den Landarzt gefordert.

Gurtpflicht und Tempolimit gab’s noch nicht. Der ehemalige Arzt berichtet von schrecklichen Unfallgeschehen mit abgerissen Gliedmaßen, schweren Kopf- und Thorax-Wunden. Oder wenn die Holländer im Bus anreisten und zu schnell das beste Apartment belegen wollten. Wenn der Bus umkippte, kam es bei der Wiederbelebung auf jede Sekunde an. Jetzt würde der Heimatforscher zu den medizinischen Anfängen im Kleinen Wiesental noch zu gerne ein weiteres Museum einrichten.

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