Kommunalreform Als Herten und Wyhlen nicht zusammengehen wollten

Tim Nagengast
Die Gemarkungsgrenze von Wyhlen und Herten geht an dieser Stelle durch das Markhofareal hindurch. Foto: Tim Nagengast

Seit fast auf den Tag genau 50 Jahren bilden Grenzach und Wyhlen eine gemeinsame Gemeinde. Nahezu in Vergessenheit geraten ist, dass es schon einmal Vereinigungsbestrebungen gab, allerdings zwischen Wyhlen und Herten. Doch diese kamen „von oben“ und scheiterten. Die Verbindungen zwischen beiden Gemeinden sind aber dennoch sehr eng.

Wer sehen möchte, wie nah sich Herten und Wyhlen wirklich sind, muss nur den Markhof besuchen. Dort geht die Gemarkungsgrenze beider Dörfer mitten hindurch. Ein Teil der heute vom Hertener St. Josefshaus betriebenen Markhof-Gebäude steht auf der Gemarkung von Grenzach-Wyhlen, der andere Teil gehört zu Herten und damit heutzutage zur Stadt Rheinfelden.

Verwirrung um die Leuengrabenmatt

Hinweisschilder oder gar Ortstafeln an der Straße „Leuengrabenmatt“ sucht man vergeblich. Wer sich nicht auskennt, den Markhof sucht und zum Beispiel das Navigationsgerät seines Autos bemühen möchte, sollte keine allzu genauen Erwartungen hegen und sich nicht verwirren lassen, denn je nachdem wird „Rheinfelden“ oder „Grenzach-Wyhlen“ als Zieladresse genannt. „Google Maps“ ist auch nicht viel besser: Die „Leuengrabenmatt“ wird von diesem Kartendienst ausschließlich Grenzach-Wyhlen zugeordnet.

Besucht man im Internet aber beispielsweise die Webseite der Markhof-Ranch, steht unter dem Punkt „Hier finden Sie uns“: „Leuengrabenmatt 3, 79618 Rheinfelden-Herten“.

So weit, so gut? Nein. Die Internetseite der Caritas nennt unter Adressen für den Markhof nämlich „Leuengrabenmatt 3, 79639 Grenzach-Wyhlen“.

Wyhlen und Herten waren beide österreichisch

Doch nicht nur hier im Bereich des Markhofs stehen sich Herten und Wyhlen sehr nahe. Auch die territoriale Zugehörigkeit beider Dörfer war lange Zeit dieselbe. So gehörte Herten ungefähr ab dem elften Jahrhundert zur Grafschaft Rheinfelden und wurde Ende des 15. Jahrhunderts habsburgisch. Gemeinsam mit unter anderem Wyhlen war es Teil der „Landschaft Rheintal“ in der zu Vorderösterreich, Oberamt Breisgau, gehörenden Kameralherrschaft Rheinfelden. Diese erstreckte sich damals noch beidseits des Rheins.

Erst die Grenzziehung nach den Frieden von Lunéville und Pressburg 1801 beziehungsweise 1805 machte den Rhein zur Staatsgrenze zwischen dem neuen Großherzogtum Baden und der Schweiz. Denn die vorderösterreichischen Lande nördlich des Rheins waren Baden zugeschlagen worden. Die Stadt Rheinfelden (gemeint ist das heutige Rheinfelden/Schweiz) verlor dadurch ihr rechtsrheinisches Gebiet, das den badischen Gemeinden Nollingen, Warmbach und Karsau zugeschlagen wurde.

Wyhlen ist katholisch und Grenzach evangelisch

Dank der politisch veränderten Landkarte befanden sich Grenzach und Wyhlen nun nach jahrhundertelang währender Trennung erstmals wieder im gleichen Land. Doch während die Grenzacher zuvor als treue Untertanen des Markgrafen mit ihm die Reformation einführten und damit Protestanten geworden waren, waren Wyhlen und Herten als Untertanen des Kaisers von Österreich katholisch geblieben. Noch heute finden sich in sowie rund um Herten und Wyhlen die für katholische Gemeinden so typischen Feld- und Flurkreuze. Das katholische Gemeindeleben konzentriert sich bis heute mehr auf Wyhlen, das evangelische stärker auf Grenzach.

Das Trennende zwischen Grenzach und Wyhlen findet man somit heute nur noch beim Blick auf die konfessionelle Verteilung (und während der Fasnacht). Grenzach und Wyhlen haben sich – mal mehr, mal weniger – „gefunden“ und damit arrangiert, seit fast auf den Tag genau 50 Jahren eine Doppelgemeinde zu bilden.

Dabei wäre es beinahe ganz anders gekommen. Denn vor fast 100 Jahren gab es im Land Baden Ansätze für eine Kommunalreform. Es sollten größere Verwaltungseinheiten gebildet werden. Besonders dachten die Behörden damals an Kommunen mit bis dato weniger als 500 Einwohnern.

Anno 1931 machen die Behörden Druck

Blättert man im zweiten Band von Erhard Richters „Beiträge zur Geschichte von Grenzach-Wyhlen und Umgebung“, findet man dazu Genaueres. Richter zitiert aus einem Erlass des badischen Innenministeriums, den das Bezirksamt Lörrach am 6. Oktober 1931 der Gemeinde Wyhlen mitgeteilt hatte. Die übergeordnete Behörde wünschte, dass eine Vereinigung von Wyhlen und Herten „in den Bereich der Erörterung“ zu ziehen sei.

Zwar waren die beiden ins Auge gefassten Orte gar nicht so winzig, die Behörde berief sich bei ihrem Vereinigungsvorschlag Richters Ausführungen zufolge aber darauf, dass auch im Falle von finanzieller Not oder räumlicher Lage eine Vereinigung empfehlenswert erscheinen könnte. Entsprechende Maßnahmen seien „ungesäumt einzuleiten“, zitiert Richter in seinem Beitrag. „Dafür müsse man aber nicht die Zustimmung der Bevölkerung der betreffenden Orte oder gar die in ihrer Existenz bedrohten Organe der aufzuhebenden Gemeinden einholen“, schreibt der Grenzacher Heimatforscher in seinem 2011 erschienenen Buch.

Wyhlen und Herten drohte somit eine „von oben“ angeordnete Zwangsheirat. Natürlich, so heißt es weiter, wäre es wünschenswert, Gemeindefusionen via gegenseitiger Vereinbarung zustandebringen zu können. Man behalte sich aber eine „Notverordnung“ vor, um Gemeindezusammenlegungen gegebenenfalls zu erzwingen.

Bezirksamt Lörrach setzt Wyhlen eine kurze Frist

Das Bezirksamt Lörrach setzte dabei eine erstaunlich kurze Frist. Hatte die Behörde sich erst am 6. Oktober 1931 in dieser Sache an die Gemeindeverwaltung von Wyhlen gewandt, wurde gefordert, dass der Gemeinderat den Vorschlag einer Fusion mit Herten so rasch wie möglich eingehend beraten soll und das Beratungsergebnis bis spätestens 5. November dem Bezirksamt vorgelegt werden müsse. Also war nur ein knapper Monat Zeit, um darüber zu befinden, ob Herten und Wyhlen in den kommunalen Ehehafen einfahren sollen.

Wyhlen und Herten sehen keinen Grund

In Wyhlen gab man sich zunächst folgsam, denn der Gemeinderat setzte den Wunsch des Bezirksamts Lörrach am 22. Oktober 1931 auf seine Tagesordnung. Erhard Richter zitiert wörtlich aus der anschließend folgenden Mitteilung des Bürgermeisteramts Wyhlen an die Lörracher Behörde (sic): „Der Gemeinderat ... ist der Meinung, dass aus der fraglichen Zusammenlegung von Wyhlen und Herten nichts zweckmässiges erreicht werden kann. Wyhlen hat rund 2600 und Herten 1500 Einwohner und sind die beiden Gemeinden beinahe eine Stunde Wegstrecke voneinander entfernt. Es sprechen auch sonst keinerlei Punkte für eine Vereinigung und hat auch jedenfalls keine dieser Gemeinden den Wunsch in eine nähere Behandlung dieser Sache einzutreten. Auch vermag der Gemeinderat nicht zu erkennen in welcher Weise Ersparnisse aus einer Vereinigung von Wyhlen und Herten erzielt werden können.“

Beziehungen sind heute sehr eng und gut

Mit dieser Aussage war das Lörracher Bezirksamt offenbar zufrieden, denn das Thema Zwangsehe war damit vom Tisch.

Während Herten später am 1. Oktober 1973 in die Stadt Rheinfelden eingegliedert wurde, taten sich Grenzach und Wyhlen am 1. Januar 1975 zu einer Doppelgemeinde zusammen. Die Beziehungen zwischen Grenzach-Wyhlen und der Stadt Rheinfelden sind seither auf vielerlei Ebenen sehr gut und eng. Beim Markhof zum Beispiel hat die Gemeinde Grenzach-Wyhlen die Planungshoheit für die auf beiden Gemarkungen aktuell geplanten baulichen Maßnahmen des Str. Josefshauses in die Hände der Stadt Rheinfelden gelegt, um das Verfahren nicht unnötig zu verkomplizieren. Gymnasialschüler aus Herten besuchen bis heute im Regelfall das Lise-Meitner-Gymnasium in Wyhlen und nicht dessen Rheinfelder Pendant. Auch der Hertener Recyclinghof liegt auf halbem Wege nach Wyhlen – unmittelbar an der Gemarkungsgrenze.

„Im Großfeld“ wird zum „Maiackerweg“

Und um das Thema „Navigationsgeräte-Verwirrung“ noch einmal aufzugreifen: Weil sich viel zu oft fehlgeleitete Lastwagen auf den Rührberg verirrten, sich in den engen Kurven beim „Rührberger Hof“ verkeilten oder gar des Nachts verzweifelt am Waldrand standen, hat die Stadt Rheinfelden die Straße „Im Großfeld“ Ende des Jahres 2015 in „Maiackerweg“ umbenannt. Zu nah war für das Verständnis mancher Navigationsgeräte offenbar der Vergleich mit der „Großfeldstraße“ im Gewerbegebiet Schildgasse.

Was das mit dem Rührberg zu tun hat? Ganz einfach: Die kleine, jüngst vom SAK erworbene Feriensiedlung auf dem Rührberg liegt an ebendiesem Maiackerweg, der bis dato „Im Großfeld“ hieß. Die Siedlung gehört – politisch, aber nicht „optisch“ – zu Herten und somit zur Stadt Rheinfelden, das Dorf Rührberg selbst aber schon immer zu Wyhlen. Die von der Adressähnlichkeit fehlgeleiteten Lastwagen wollten also „von Rheinfelden nach Rheinfelden-Herten“. Und blieben dabei auf dem Wyhlener Rührberg stecken.

Der Selbsttest bei Google Maps“ fällt dabei ernüchternd aus. Dieser Kartendienst kennt den „Maiackerweg, Rheinfelden“ also bis heute noch nicht. Aber „Im Großfeld, Rheinfelden“ wird immer noch auf dem Rührberg verortet. Bleibt somit nur zu hoffen, dass kein Lastwagenfahrer „Google Maps“ als Navigationsgerät-Ersatz benutzt.

  • Bewertung
    3

Beilagen

Umfrage

Robert Habeck auf der Weltklimakonferenz

Der Grünen-Spitzenkandidat will Sozialabgaben auf Kapitalerträge. Was halten Sie davon?

Ergebnis anzeigen
loading