Kreis Lörrach Croissant-Liebe und Merkels Küsse

Gabriele Hauger
Martin Graff, Autor und Filmemacher aus dem Elsass, vagabundiert zwischen Frankreich und Deutschland und liefert mit seinem zweisprachigen Buch „Grenzkabarett“ erhellende Details über deutsch-französische Klischees. Foto: Elisabeth Legrain

Buchkritik: Martin Graffs neues Buch „Grenzkabarett“ ist erschienen

Regio - Gerupft und gebraten sehen sie genau gleich aus: der französische Gockel und der deutsche Adler. Diese anspielungsreiche Zeichnung von Tomi Ungerer ziert das Buchcover des neuesten Werks von Martin Graff. Der Autor und Filmemacher aus dem Elsass hat mit „Grenzkabarett. Je t’aime. Ich liebe dich“ ein Werk verfasst, dass sich gewohnt spöttisch, fantasie-, aber auch liebevoll den Eigenheiten, Unterschieden und Gemeinsamkeiten der beiden Nationen widmet. Dabei erfreut sich der Autor an gängigen Klischees und bleibt unverbesserlicher Kämpfer für die europäische Idee.

Gerade in Corona-Zeiten, in denen Grenzen erst hoch gezogen und dann zum Glück wieder geöffnet wurden, macht es besonders Sinn, der viel beschworenen grenzüberschreitenden Zusammenarbeit am Oberrhein ein bisschen auf den Zahn zu fühlen, befindet auch Professor Isidore Lumière in seinem Vorwort. Graff macht das in gewohnt gerafften Kapiteln, in denen er sich auf eine Spurensuche begibt, die von der großen Politik, über die Sprache bis zu Klischees führt: zum Beispiel der ewigen Frage der Franzosen, wann sie denn endlich Deutschland einholen werden.

Gerade mal auf eine knappe Seite packt Graff seine „Elsass-Saga für Anfänger“. Und bedauert darin die Bildungslücken in puncto Elsass, sowohl auf deutscher als auch auf französischer Seite. Wussten Sie, dass die Elsässer historisch gesehen hin- und hergerissen sind, ob sie nun französischen Croissants oder preußischen Bouletten den Vorzug geben sollen?

Erhellend für Elsass-Neulinge dürfte auch Graffs „Wolkengang im Dreiländereck“ sein. Aus der Vogelperspektive gesehen sind nämlich keine Grenzen zwischen den Alemannen in Deutschland, Frankreich und der Schweiz zu erkennen. Gerne überspitzt der Autor seine Zukunftsvisionen für die Regio: Da wird Fessenheim nach der Abschaltung zur Jugendherberge, Sprayer versuchen ihre Landesgrenzen auf Wolken zu manifestieren – zum Glück vergeblich. Die europäische Idee siegt.

Witzig auch die Episode zum Thema Küssen. Bekanntermaßen neigen ja viele deutsche Gemüter weniger zur Busselei als ihre Nachbarn. Genüsslich schildert Graff einen verdutzten Adenauer, als dieser 1963 von General de Gaulle geherzt wird. Und er freut sich darüber, dass die norddeutsche Angela Merkel mittlerweile zur Kussspezialistin geworden ist und sogar den Nasenkuss beherrscht. Dass sie allerdings vom zappeligen Sarkozy derart hektisch geknutscht wurde, dass dieser sich an ihrem Ohrring die Lippe verletzte, entspringt ebenso der ausschweifenden Fantasie des Autors wie die Schilderung ein paar Seiten weiter, dass die deutschen Soldaten barfuß marschieren müssen – mangels Ausstattung.

Letztere Behauptung finden wir im Kapitel über die gegenseitige Schadenfreude. Gelistet werden hier französische Häme über deutsche Schlaglöcher im Land der Autobauer, über Kindermangel oder den Berliner Flughafen. Die Retourkutsche kommt von deutscher Seite über abgehalfterte AKWs, fehlende Fachkräfte sowie Dacias und verstopfte Klos bei der französischen Polizei. Genüsslich spinnt der Autor hier seine Gedanken weiter, überspitzt Reales zur Fiktion – sein beliebtes Stilmittel.

Neben aller Ironie sind Martin Graffs Texte durchdrungen von dem Bewusstsein des Wunderbaren und der Eigenheit beider Sprachen sowie des Besonderen des Elsässischen dazwischen.

Überhaupt das Elsass. Leidend unter dem Ballast der Geschichte, blieb den Menschen bis heute der Wunsch nach Zweisprachigkeit unerfüllt. Dennoch sieht Graff Aussöhnung und Verzeihen und macht dies an einem herrlich pragmatischen Beispiel deutlich: Dem fast skurrilen Weg von zu reinigender Bettwäsche zwischen Frankreich und Deutschland samt rumänischstämmigem LKW-Fahrer. Europa pur.

Und so entlarvt dieser „mutige Grenzverletzer und eloquente Grenzgänger“ (ZDF-Intendant Markus Schächter) mit historischer Kenntnis und viel Empathie Klischees und Vorurteile.   Martin Graff: „Grenzkabarett. Je t’aime. Ich liebe dich“, Verlag Morstadt, 82 Seiten 2020, ISBN 978-3-88571-394-4

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