Witzig auch die Episode zum Thema Küssen. Bekanntermaßen neigen ja viele deutsche Gemüter weniger zur Busselei als ihre Nachbarn. Genüsslich schildert Graff einen verdutzten Adenauer, als dieser 1963 von General de Gaulle geherzt wird. Und er freut sich darüber, dass die norddeutsche Angela Merkel mittlerweile zur Kussspezialistin geworden ist und sogar den Nasenkuss beherrscht. Dass sie allerdings vom zappeligen Sarkozy derart hektisch geknutscht wurde, dass dieser sich an ihrem Ohrring die Lippe verletzte, entspringt ebenso der ausschweifenden Fantasie des Autors wie die Schilderung ein paar Seiten weiter, dass die deutschen Soldaten barfuß marschieren müssen – mangels Ausstattung.
Letztere Behauptung finden wir im Kapitel über die gegenseitige Schadenfreude. Gelistet werden hier französische Häme über deutsche Schlaglöcher im Land der Autobauer, über Kindermangel oder den Berliner Flughafen. Die Retourkutsche kommt von deutscher Seite über abgehalfterte AKWs, fehlende Fachkräfte sowie Dacias und verstopfte Klos bei der französischen Polizei. Genüsslich spinnt der Autor hier seine Gedanken weiter, überspitzt Reales zur Fiktion – sein beliebtes Stilmittel.
Neben aller Ironie sind Martin Graffs Texte durchdrungen von dem Bewusstsein des Wunderbaren und der Eigenheit beider Sprachen sowie des Besonderen des Elsässischen dazwischen.
Überhaupt das Elsass. Leidend unter dem Ballast der Geschichte, blieb den Menschen bis heute der Wunsch nach Zweisprachigkeit unerfüllt. Dennoch sieht Graff Aussöhnung und Verzeihen und macht dies an einem herrlich pragmatischen Beispiel deutlich: Dem fast skurrilen Weg von zu reinigender Bettwäsche zwischen Frankreich und Deutschland samt rumänischstämmigem LKW-Fahrer. Europa pur.
Und so entlarvt dieser „mutige Grenzverletzer und eloquente Grenzgänger“ (ZDF-Intendant Markus Schächter) mit historischer Kenntnis und viel Empathie Klischees und Vorurteile. Martin Graff: „Grenzkabarett. Je t’aime. Ich liebe dich“, Verlag Morstadt, 82 Seiten 2020, ISBN 978-3-88571-394-4