Kreis Lörrach Die Lust am Ausgehen genommen

Die Oberbadische

Interview: Der heimische stationäre Einzelhandel leidet unter Schließungen im Freizeitbereich erheblich

Der Teil-Lockdown mit Schließung der Gastronomie und Hotellerie macht dem stationären Einzelhandel in der Region schwer zu schaffen. Gerade während des wichtigen Weihnachtsgeschäfts bleiben viele heimische und Schweizer Kunden lieber zu Hause. Viele Betriebe haben Angst vor einer Insolvenz. Denis Bozbag sprach mit Claudius Marx, Hauptgeschäftsführer der IHK Hochrhein-Bodensee, über die Verschärfung des Teil-Lockdowns, den Rückgang des Schweizer Einkaufstourismus sowie die dringend benötigten Staatshilfen von Bund und Land.

Herr Marx, wie wird sich die Verlängerung des Teil-Lockdowns auf den hiesigen stationären Einzelhandel auswirken?

Der erste Lockdown im Frühjahr und die erste Grenzschließung haben beim stationären Einzelhandel bereits einen enormen, nachwirkenden Schaden hinterlassen. Nicht mit dem Ende des Lockdowns, sondern erst mit der Wiederöffnung der Grenzen hat sich die Branche erholt, die Umsätze waren zunächst erfreulich. Die Schweizer waren zurück, und die Händler vermeldeten vielfach Umsätze wie vor Beginn der Pandemie. Optimistisch blickten deshalb viele auch Richtung Weihnachtsgeschäft.

Nun erwarten sie mit der Verlängerung des Teil-Lockdowns ein zweites Mal massive Umsatzeinbrüche, nachdem schon aktuell über die inländischen Restriktionen hinaus auch die Schweizer Kundschaft zunehmend ausbleibt.

Ist das Geschäft damit für die Händler in diesem Jahr gelaufen?

Wir erhalten die Rückmeldung von vielen Einzelhändlern, dass es „eng werden“ würde, sollte sich die aktuelle und ungewisse Lage über Weihnachten hinaus oder sogar über Monate hinziehen. Das Weihnachtsgeschäft macht etwa 20 Prozent des Jahresumsatzes aus, in einzelnen Branchen wie Spielsachen, Bücher, Uhren oder Schmuck liegt der Wert noch deutlich höher. Ein Ausfall des Weihnachtsgeschäftes wäre deshalb „doppelt“ misslich.

Wie stark hat die Frequentierung der Innenstädte aufgrund der Gastronomieschließungen abgenommen?

Die Innenstädte sind vielfach wie leergefegt. Die Menschen bleiben dort aus und verhalten sich damit genau so, wie es Bundes- und Landesregierung verlangen, um die steigenden Infektionszahlen zu bremsen: Sie bleiben zu Hause. Mit den angeordneten Schließungen wird dem Bürger gewissermaßen „die Lust am Ausgehen“ genommen: kein Kino, kein Restaurant, kein Theater, kein Fitnessstudio, keine Reisen und damit kein Grund, das Haus zu verlassen.

Wie sehr ist der Einzelhandel von diesen Bereichen abhängig?

Der Einzelhandel, der noch geöffnet sein darf, braucht aber genau diese Frequenzbringer. Mit der Schließung der anderen erlebt der Handel quasi eine passive Schließung.

Hinzu kommt der Rückgang des Einkaufstourismus aus der Schweiz. Viele Schweizer sind sich unsicher, welche Regelungen nun gelten und bleiben lieber im Inland. Der grenznahe deutsche Einzelhandel spürt dies natürlich sofort. Für ein Unternehmen an der Außengrenze des Landes liegt der Kundenkreis nun einmal zu 180 Grad im Inland und zu 180 Grad im Ausland. Bleiben die Kunden aus der Schweiz aus, fehlt also die Hälfte des Kundenkreises.

Das bedeutet dann in Zahlen?

Die Schweizer Kundschaft hat 2019 im Wert von 1,5 Milliarden Euro auf deutscher Seite eingekauft. An der Nachfrage aus der Schweiz hängen viele Existenzen, Arbeits- und Ausbildungsplätze. Die heimische Bevölkerung kann eine fehlende Kaufkraft aus der Schweiz kaum ausgleichen. Verkaufsflächen, Markenvielfalt und Sortimentstiefe sind seit vielen Jahren auf die Nachfrage aus der Schweiz ausgerichtet. Die Region ist zum Nahversorger der Nordschweiz geworden, viele Verkaufsflächen auf deutscher Seite sind genau deswegen überhaupt erst entstanden. Manche Händler erzielen 50 bis 80 Prozent ihrer Umsätze aus dem Einkaufstourismus. Das verdeutlicht, wie dramatisch die aktuelle Lage ist.

Werden die Geschäfte vermehrt Rabatte wie am „Black Friday“ anbieten, um vor Weihnachten mehr Menschen in die Innenstädte locken zu können?

Rabatte sind eines von vielen Werkzeugen, das Einkaufsverhalten zu stimulieren. Sie können aber nicht ungeschehen machen, dass die aktuellen Corona-Maßnahmen genau darauf zielen, dass die Menschen möglichst wenig vor die Tür gehen. Das macht es für die Unternehmen besonders schwer, die Attraktivität der Innenstadt hochzu- halten. Eben deshalb haben viele Händler schon vorher oder während des ersten Lockdowns auf digitale Lösungen und Plattformen gesetzt. Das könnte sich jetzt bezahlt machen.

Für Händler ohne eine solche digitale Perspektive kann es sich ab einem bestimmten Punkt nicht mehr lohnen, ihre Geschäfte geöffnet zu halten. Sie senden ihre Mitarbeiter nach Hause oder beantragen für sie erneut Kurzarbeit.

Muss der Einzelhandel weitere staatliche Hilfen erhalten, um eine Pleitewelle verhindern zu können?

Die aktuellen Maßnahmen von Bund und Ländern zielen auf das Verhalten der Bürger. Mit den angeordneten Schließungen sollen dem Bürger keine Anreize zum Ausgehen gegeben werden. Die geschlossenen Unternehmen wurden also nicht geschlossen, weil sie besonders zur Verbreitung der Pandemie beigetragen hätten. (Ebenso wenig wurden die Schulen offengehalten, weil sie ein sicherer Ort wären.) Damit erbringen sie ein Sonderopfer zugunsten der Allgemeinheit, was schon aus Rechtsgründen nach einer komplementären Entschädigung verlangt.

Für den Handel ist die Situation dagegen besonders misslich: Seine Geschäfte sind nicht behördlich geschlossen, von der eingeschränkten Mobilität der Menschen aber genauso betroffen. Deshalb ist es unabdingbar, dass diesen Unternehmen, die direkt oder indirekt von den Maßnahmen betroffen sind, ebenfalls Hilfen gewährt werden, welche die Unternehmen rechtzeitig erreichen, bevor sie in existenzielle Not geraten. Mit der Novemberhilfe, die seit 25. November beantragt werden kann, ist nur ein erster Schritt getan. Eine Nachbesserung auch zugunsten des Handels tut Not.

Droht jetzt nicht auch eine Verödung der Innenstädte?

Um dem vorzubeugen, wird es mehr brauchen als Hilfsprogramme, denn so eine Entwicklung hatten wir schon vor der Krise. Die Pandemie wirkt prozessbeschleunigend und deckt Fehler vergangener Stadtentwicklungen auf. Ungeachtet der Pandemie und Corona-Maßnahmen werden die Städte nicht umhin kommen, sich intensiv mit dem Thema Stadtplanung zu befassen, um vielfältige und lebendige Innenstädte zu erhalten und einer drohenden Verödung vorzubeugen.

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