Kreis Lörrach Die Sprache ist ein virtuoses Instrument

Gabriele Hauger
Markus Manfred Jung: „Wenn Deutsch für mich eine Geige ist, dann ist das Alemannische meine Viola d’amore.“ Foto: Die Oberbadische

Interview: Markus Manfred Jung über das Alemannische, Identitätsstiftung und die Kreativität von Dialekten

Regio - Um für eine intensivere Förderung des Unterrichts für Deutsch und Französisch zu werben, wird derzeit in Kulturkreisen dies- und jenseits des Rheins eine Unterschriftenliste verschickt. Bedauert wird darin eine fehlende Förderung des Erwerbs der Sprache des Nachbarn. Wir baten den Autor, Dichter und Alemannisch-Experten Markus Manfred Jung um eine Einschätzung. Die Fragen stellte Gabriele Hauger.

Kein fremdsprachiges Land liegt uns geografisch so nahe wie Frankreich. Wie ist es zu erklären, dass dennoch beidseitig offensichtlich die Sprache des Nachbarn so wenig erlernenswert erscheint?

Ich denke, dass in unserer Generation noch geschichtliche Ressentiments eine Rolle spielten. Bei den Jungen ist die Welt durch Englisch dominiert und Spanisch öffnet die exotische Welt Südamerikas. Zudem gilt Französisch als schwer.

Die Dominanz des Englischen ist in der globalisierten Welt unabänderlich. Was müsste Ihrer Meinung nach geschehen, um auf deutscher Seite die Lust auf andere Fremdsprachen, besonders das Französische, zu fördern?

Austausche, zum Beispiel von Schulklassen, aber auch die Partnerschaften von Gemeinden gehören besser gefördert, ideell und finanziell.

Schlecht ist es um das Elsässische bestellt. Wie sehen Sie dessen Zukunft?

Der enorme Zentralismus von Paris und die unselige Kriegsgeschichte haben da viel zerstört. So wie die Nazis 1939-45 in der Besatzungszeit das Französische ausrotten wollten, so stark war dann die Gegenbewegung gegen alles Deutsche danach. Und dazu zählt eben auch der elsässische Dialekt. Zudem sind die Elsässer unter sich uneins, ob sie Deutsch fördern wollen ohne Elsässisch oder mit, oder Elsässisch auf der Basis von Deutsch.

Ich sehe nur eine Chance: Die Elsässer gingen gemeinsam für ihre Kultur und Sprache (Elsässisch mit Deutsch als Schriftsprache) auf die Straße wie die Korsen oder Bretonen. Für viele, gerade die Jüngeren, ist dieses Thema aber durch. Sie wollen individuell erfolgreich das Leben bewältigen, als Franzosen.

Muss man als Linguist nicht einfach akzeptieren, dass manche Dialekte und Sprachen aussterben wie die Dinosaurier?

Linguisten beschreiben was ist, da geht es nicht um Akzeptanz. Einen kulturell und geschichtlich denkenden Menschen allerdings, der in einer Region verwurzelt ist, muss es schmerzen, dass ein wesentliche Stück Gemeinsamkeit verloren geht, nämlich eine über Hunderte von Jahren gewachsene, über Grenzen reichende Sprache und Kultur. Ein Gedächtnis wird leichtfertig verschleudert.

Wie sehen Sie die Situation des Alemannischen in unserer Regio? Wie ist die Entwicklung in den vergangenen Jahrzehnten verlaufen?

Das Alemannische in unserer Region hat immer noch einen enorm identitätsstiftenden Wert. Das erlebe ich tagtäglich, wenn ich vom Wiesental in die Schweiz wechsle und zurück. Man empfindet eine Grundübereinstimmung in der Lebenseinstellung und Wesensart. Die Unterschiede sind merkbar, aber nicht wesentlich. Da inzwischen die Mehrsprachigkeit der Menschen selbstverständlicher geworden ist, kann der Einzelne selbstbewusst viel länger bei seiner Sprache bleiben, zum Beispiel dem Dialekt, da er ja, sobald er nicht verstanden wird, umstellen kann auf die Standardsprache oder eine Fremdsprache. Die schulische Ausbildung in Fremdsprachen ist soviel besser geworden gegenüber meiner Schulzeit. Leider trifft das aber für das Elsass nicht mehr so zu, weil das Alemannische dort aus den bekannten Gründen eine ganze Generation lang absolut verpönt war.

In Lörrach ist die Fluktuation der Einwohner hoch. Im Wiesental oder Markgräflerland sieht das anders aus. Wird es den alemannischen Dialekt bald nur noch in ländlichen Gebieten geben?

Nein, der Dialekt wird sich aber wandeln. Der spezielle Wortschatz und eigenartige grammatikalische Konstruktionen werden verschwinden ebenso wie das kleinräumig Spezielle der Ortsdialekte, weil wir mobil geworden sind, auch innerhalb der Region. Aber ein alemannischer Großdialekt wird, auch dank der Schweizer Nachbarschaft, noch lange Zeit unsere Identität stärken, sei es in Lörrach, Schopfheim, Zell oder Hohenegg und Vogelbach.

Wird Ihrer Meinung nach genug für den Erhalt der Dialekte getan?

Man könnte für Kultur allgemein mehr machen. Ich meine für die gewachsene Kultur dieser Gegend, in allen Sparten von Kunst, Architektur, geschichtlicher Forschung, Sprach- und Traditionspflege, zum Beispiel für die Fasnacht. Wichtig wäre dabei, dass die Menschen, die hier leben, auch die Zugezogenen, dies wünschen und selbstbewusst einfordern und nicht einer global austauschbaren Eventkultur nachhängen.

Welche identitätsstiftende Wirkung hat das Alemannische für Sie persönlich?

Das Alemannische ist mir Mutter- und Vatersprache und damit selbstverständlich. Dadurch, dass ich in dieser Sprache Schriftsteller bin, die Sprache sich in mir kreativ ausdrückt, macht sie einen großen Teil meiner Identität aus. Aber in mir freut sich ein Sprachliebender auch an Deutsch, Norwegisch und an den poetischen Bruchstücken anderer Sprachen wie Französisch, Spanisch oder Italienisch. Und Englisch gehört manchmal auch dazu.

Was macht für Sie – wortschöpferisch, lautmalerisch – den besonderen Reiz des Alemanischen aus?

Wie jede Sprache ist das Alemannische ein eigenes Instrument, auf dem virtuos zu spielen, wunderbare Klänge hervorruft. Wenn Deutsch für mich eine Geige ist, dann ist das Alemannische meine Viola d’amore, etwas tiefer und melancholischer gestimmt.

Ist es für Sie der schönste Dialekt?

Für mich ist es genauso der schönste Dialekt wie selbstverständlich jeder andere Dialekt der schönste ist für den, der darin aufgewachsen ist.

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