Von Markus Manfred Jung
Literatur: Zwei elsässische Dichter aus dem Dreyland mit neuen Gedichtbänden
Von Markus Manfred Jung
Regio. Zwei elsässische Dichter haben neue Gedichtbände herausgegeben. Der ausgewiesene Dialekt- und Literaturkenner Markus Manfred Jung hat sich die Bände näher angesehen – und ist fasziniert.
Edgar Zeidler
Mit „Àm And vom Lied – Au bout du compte – Letzten Endes“ legt der Elsässer Edgar Zeidler seinen sechsten Gedichtband in Triphonie vor. Dem Titel und seiner momentan pessimistischen Einstellung nach, was die Zukunft des elsässischen Dialekts angeht, könnte es der letzte aus seiner Dichterwerkstatt sein, was sehr schade wäre. Denn gerade im Verbund mit den beiden Schriftsprachen zeigt sich die poetische Kraft, Bildhaftigkeit und Musikalität dieses Dialekts. Leider kämpfen die Verfechter des elsässischen Erbes nicht nur gegen „die Jakobiner“ in Paris, wie Zeidler die zentralistisch eingeschworene Politikerkaste in Paris nennt, sondern auch gegen die Gleichgültigkeit ihrer Landsleute der eigenen Geschichte, Literatur und Sprache gegenüber. Und das schmerzt wohl noch mehr. Zeidler, bis vor kurzem noch Deutschlehrer am Gymnasium in Altkirch, drückt diesen Verlust in eindrucksvollen Versen aus.
Das Buch ist in vier Kapitel unterteilt. Die Texte sind jeweils in einer anderen, souverän gehandhabten Form verfasst und einem poetischen und menschlichen Vorbild gewidmet: die Vierzeiler zu Beginn dem Franzosen Francois Cheng; die Sonette und die freien Formen in den Teilen II und III den Elsässern Émile Storck und André Weckmann; und die geistlichen Lieder zuletzt dem indischen Nobelpreisträger Rabindranath Tagore, dessen Loblieder „Gintanjali“ Zeidler schon zuvor überzeugend ins Französische und Elsässische übersetzt hat.
Motiv vom Tanz des Lebens mit dem Tod
Allen Texten liegt als Motiv der Tanz des Lebens mit dem Tod zu Grunde. Der Dichter nimmt diese Auseinandersetzung an und tanzt für sein Leben gerne. Seine animistische und pantheistische Grundhaltung erinnert an das Weltbild Goethes.
Ìwrig
Sìn d Wärter àlli amol
Verbrücht
Ìsch ùnsri Sproch ùff einmol
Verhücht
Blit ùns a ùnverstandligs Rüschla
Ùff ùnserem Waj dùrich s Nìmmgsaita
Nix àss a dùmpfs ùn wittlàngs Müschla
Vo Wortkärneler wo mìr nìmm gsaait ha.
(Übrig// Sind die Wörter einmal alle verbraucht und unsere Sprache ausgehaucht, bleibt uns, auf unserem Weg durchs Nichtmehrgesagte, ein unverständliches Raunen, nichts als ein fernes und dumpfes Murmeln von Wortkörnern, die wir nicht mehr gesät.)
Welche Sprachpoesie und welche Tragik! Bleibt nur zu hoffen, dass Edgar Zeidler und die wenigen anderen Schriftstellerinnen und Schriftsteller, die das Elsässische am Leben erhalten, wieder mehr Resonanz in ihrer Region erfahren. Ihm ist zu wünschen, dass er sich seines eigenen Vierzeilers erinnert: Hìtt// Da wo nìt im Geschtert labt/ Nìt standig ìns Morn blìckt/ Wohnt ìm ewiga Hìtt/ Ùn spiirt s Glìck wo s Harz gràd wabt.
Jean-Christophe Meyer
Jean-Christophe Meyer, 1978 im nordelsässischen Blienschwiller als Sohn einer Winzerdynastie auf die Welt gekommen, lebt seit fast 20 Jahren in der Grenzecke und arbeitet als dreisprachiger Journalist für L’Alsace in Saint-Louis. Er ist die „Nachwuchs“-Hoffnung in der elsässischen Dichtung, was sein nunmehr fünfter Lyrikband „LOEM – BUÉE“ eindrücklich unterstreicht.
Das Buch enthält zehn lyrische Zyklen, immer in elsässischer Mundart mit französischer Übersetzung und im Zyklus „Wàsserspöier“ auch eine deutsche. In jedem der Zyklen runden sich die Texte in einer eigenen poetischen Form, immer verknappt, aber wort- und bildmächtig. Was Meyer an originellen und doch einleuchtenden Sprachbildern findet, berührt einen sofort. Was ist Schreiben für ihn:
Schriwe:
e Fader
wìe e Leiter.
e Pàpirblättel
wìe e Boem.
S Gedichtel
ìsch de rot Äpfel
wù mr ì de Zene
ànnelejje.
(Eine Feder wie eine Leiter, ein Blättchen Papier wie ein Baum. Das Gedicht ist der rote Apfel, den wir behutsam in den Korb legen.)
Wort- und bildmächtige elsässische Poesie
Die nordelsässische Sprache klingt für unsere Ohren etwas fremd, und in die Verschriftlichung muss man sich einlesen. Nicht jedes Wort ist uns geläufig. Zum Beispiel bedeutet der Titel Loem „Dunst“, was in alten deutschen Wörterbüchern noch als „Laum“ aufgeführt ist. Aber wer sich für Lyrik begeistern kann, besitzt die Geduld, sich einzufühlen. Und vielleicht hilft manchmal auch die französische Übersetzung auf die Sprünge.
Bezaubernd lebensfroh sind die Gedichte der Zyklen „Kinderjüchse“ und „Oschterzitt“:
d’Trane vùm Kàrfriddi
ha de Hìmmel
àbgewasche.
De Sùnnewìnd
het ne getrìckelt.
Ar spìelt
mì de Primmele-
glocke wù litte
ùff de hoffnùngs-grìen Weid. Edgar Zeidler, ÀM AND VOM LIAD – Au bout du compte – Letzten Endes“, Gedichte dreisprachig, Editions du Tourneciel, 100 Seiten, 15 Euro
Jean-Christophe Meyer, LOEM – BUÉE, Gedichte zweisprachig, Editions du Tourneciel, 185 Seiten, 15 Euro