Kreis Lörrach „Erster Schock wird schnell verdaut sein“

Michael Werndorff

Brexit: Neben einem harten Brexit gibt es weitere Herausforderungen für die heimische Wirtschaft.

Regio - Noch ist nicht klar, wie nach dem Brexit-Referendum und der gescheiterten Abstimmung Großbritannien und die Europäische Union (EU) getrennte Wege gehen werden. Mehrheitsfähige Lösungen stehen in den Sternen, weshalb ein harter Brexit droht. Dr. Andreas Scheuerle, Leiter Konjunktur Industrieländer der DekaBank, und Rainer Liebenow, Vorstandsmitglied der Sparkasse Lörrach-Rheinfelden, haben im Rahmen eines Pressegesprächs die Lage näher betrachtet.

Zwar sei die Situation derzeit offen, am wahrscheinlichsten ist laut Scheuerle eine Verschiebung des Austritts Großbritanniens, vielleicht auch ein weiteres Referendum oder Neuwahlen. Als zweitwahrscheinlichste Option stehe ein Austritt mit einem Deal von Premierministerin Theresa May, denn: „Keiner will einen harten Austritt“, legt der Finanzexperte dar, der wissenschaftlicher Mitarbeiter im Rat der Wirtschaftsweisen war, und bei seinem Besuch in Lörrach die Mitarbeiter der Sparkasse Lörrach-Rheinfelden über mögliche Brexitfolgen informierte. Doch nicht nur die EU, auch die Schweiz ist vom Brexit unmittelbar betroffen. Die Eidgenossen müssen aber gleich an zwei Fronten kämpfen, denn neben den Folgen des Austritts Großbritanniens will Bern noch das Rahmenabkommen mit der EU unter Dach und Fach bringen. Das ist nötig, um den Zugang zum EU-Markt behalten zu können.

Was nun den Brexit angeht, haben die Eidgenossen vorgesorgt. Derzeit basieren die Beziehungen zwischen der Schweiz und Großbritannien überwiegend auf den bilateralen Abkommen zwischen Bern und Brüssel, die bei dem Austritt Großbritanniens – egal ob chaotisch oder geordnet – keine Anwendung mehr finden können. Deshalb hat der Schweizer Bundesrat mit London vier bilaterale Abkommen ausgehandelt, die ab dem Austrittsdatum Großbritanniens gelten sollen. Hier stehen insbesondere Zollfragen im Raum, betroffen sind dann zudem Teile der Abkommen über die technischen Handelshemmnisse und die Landwirtschaft.

Zwar wird der harte Brexit auch für die heimische Wirtschaft negative Folgen haben, eine viel größere Herausforderung sehen Scheuerle und Liebenow allerdings in den beiden EU-Ländern Italien und Frankreich. Neben der politischen Lage in Frankreich (Stichwort Gelbwesten) sind es die Staatshaushalte, die insbesondere in der anhaltenden Niedrigzinsphase und in einer Zeit, in der die Wachstumsprognosen nach unten revidiert werden müssen, Anlass zur Sorge böten. „Das Thema wird beim nächsten italienischen Haushalt wieder hochkochen“, sind Scheuerle und Liebenow überzeugt.

Landes-Exportquote von 57 Prozent

Angesichts der hohen Exportquote könne man nicht sagen, dass der Brexit das Dreiland nicht tendiere, verwies Liebenow auf eine Landes-Exportquote von 57 Prozent. Innerhalb der drei Landkreise Konstanz, Waldshut und Lörrach entfallen auf letzteren sogar 60,8 Prozent, und das bei einer Produktionsauslastung von 91 Prozent. „Großbritannien liegt auf Platz fünf der Exportländer. Solange im übrigen Wirtschaftsraum alles gut läuft, werden die Auswirkungen überschaubar sein“, betont Liebenow.

Für beide Finanzexperten steht fest: Handelskonflikte, wie zum Beispiel der zwischen den USA und China, der Fachkräftemangel und die anhaltende Niedrigzinsphase seien größere Herausforderungen als die Folgen eines Brexits.

Dieser tangiere insbesondere die Logistikbranche, verweist Scheuerle auf lange Abfertigungszeiten, Unterbrechungen von Lieferketten und den Flugverkehr. Aber auch Pharma- und Chemieunternehmen sind im Rahmen von Zulassungsverfahren für Medikamente betroffen. Die Unternehmen bauen aber vor. Schon jetzt versucht die Pharmaindustrie, Zulassungen in Kerneuropa zu erhalten. Eine weitere Vorsorgemaßnahme ist die Aufstockung der Lagerhaltung, um Lieferengpässe zu vermeiden.

Generell werde ein harter Brexit zu einem höheren Zollaufwand führen, außerdem seien deutliche Preissprünge zu erwarten, sagt Scheuerle. „Es wird zu schnellen Veränderungen kommen, nach einer Übergangsphase wird sich aber wieder alles einpendeln.“ Letztlich wird Großbritannien dann zu einem Handelspartner wie die Schweiz, wohin Exporte mehr Bürokratie bedeuten. Klar sei auch, dass es zu kurzfristigen Kursabstürzen an den Börse kommen werde, meint Liebenow.

Mit Blick auf die Sparkassenkunden erklärt er, dass – sollte Großbritannien Drittland werden – Geldtransfers dorthin teurer würden, zudem entfalle die Rechtsgrundlage für SEPA-Lastschriften, wie weiter zu erfahren ist. Und in Sachen Aktienfonds gibt es auch Entwarnung. In der Regel seien diese breit aufgestellt. „Der erste Schock an der Börse wird jedenfalls schnell verdaut sein“, meint Liebenow.

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