Frage: Meinen Sie, dass die EU-Sanktionen gegen Russland Auswirkungen auf die Krise haben werden? Wird sich die Beziehung weiter verschlechtern?
Jede Sanktion wird mit einer spiegelbildlichen Gegensanktion und mit einer weiteren Verhärtung des Tons beantwortet. Der deutsche Außenminister betont trotz allem das Interesse an der Fortsetzung des politischen Dialogs. Das russische Interesse daran erscheint begrenzt: Am 19. September wird eine neue Duma gewählt, und Präsident Putin setzt darauf, dass eine harte und kompromisslose Haltung gegenüber dem Westen bei den Wahlen Vorteile bringt.
Frage: Welche Rolle spielt die NATO in diesem Entfremdungsprozess?
Die russische politische Klasse betrachtet die Erweiterungspolitik von EU und NATO in gleicher Weise als gegen die Interessen Russlands gerichtet und will vor allem einen NATO-
Beitritt der Ukraine verhindern. Der kürzliche Militäraufmarsch Moskaus an den ukrainischen Grenzen und auf der Krim sollte signalisieren, dass Russland diese Interessen mit aller Macht vertreten wird.
Frage: Hat die EU überhaupt eine Chance, auf Russland zuzugehen, wenn die USA kein ähnliches Interesse verfolgen?
Während Moskau die EU für schwach und vernachlässigbar hält, will man von der Weltmacht Amerika auf gleicher Augenhöhe wahrgenommen werden. Eine gemeinsame Russlandpolitik von USA und Europa wäre die beste Antwort. Noch verfügt Joe Biden nicht über einen konsistenten Ansatz, was Russland angeht: Da gibt es auf der einen Seite das Killer-Wort „Sanktionen“ und die Maßnahmen gegen Nord-Stream 2, auf der anderen Seite aber Kooperationen bei der Rüstungskontrolle (New START-Vertrag) und beim iranischen Atomvertrag, was beides von deutscher Seite ausdrücklich unterstützt wird.
Frage: Kann Deutschland eine Vermittlerrolle zwischen den Großmächten in Zeiten, die an den Kalten Krieg erinnern, einnehmen?
Deutschland verfügt über langjährige Erfahrungen mit den östlichen Nachbarn und kann diese Erfahrungen einbringen in die Herausbildung einer gemeinsamen westlichen Strategie im Umgang mit Russland und den Ländern Osteuropas.
Frage: Inwiefern haben die Fälle Nawalny und der Tiergartenmord die Beziehung zwischen Russland und Deutschland verändert? Ist das mit ein Auslöser für das zerrüttete Verhältnis?
Die beiden Fälle haben einen Deutschlandbezug und reihen sich ein in eine längere Liste von Menschenrechtsverletzungen, die man nicht unbeantwortet lassen kann. Inzwischen wird deutlich, dass der Fall Nawalny Ausgangspunkt für eine Politik der vollständigen Kriminalisierung und Ausschaltung jeglicher Opposition und Kritik in Russland darstellt. Das vertieft die Spannungen im Verhältnis von Russland und dem Westen.
Frage: Sehen Sie überhaupt eine Chance, dass sich das Verhältnis zwischen Russland und dem Westen in Zukunft wieder verbessert?
Eine solche Chance setzt voraus, dass beide Seiten ein Interesse daran haben, die Lage nicht weiter eskalieren zu lassen. Jede gelingende Kooperation, sei es im Gesundheitssektor, in der Wirtschaft oder bei der Rüstungskontrolle, baut Brücken. Und wo es Brücken gibt, wächst auch die Lust, sie zu beschreiten.
Anmeldung im Internet unter www.dhbw-loerrach.de