Kreis Lörrach Eskalationsspirale dreht sich weiter

Alisa Eßlinger
An ihm scheiden sich die Geister: Russlands Präsident Wladimir Wladimirowitsch Putin, den SPD-Altbundeskanzler Gerhard Schröder einst als einen „lupenreinen Demokraten“ bezeichnete (Archivfoto). Foto: Die Oberbadische

Studium Generale: Gernot Erler spricht über Russland und den Ost-West-Konflikt

Kreis Lörrach - Durch gegenseitige Vorwürfe befindet sich die Beziehung zwischen Russland und dem Westen in einer Eskalationsspirale, meint Russlandexperte Gernot Erler. Der ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete widmet sich in einem Online-Vortrag der DHBW-Reihe „Studium Generale“ dem Ost-West-Konflikt.

Hackerangriffe, „Tiergartenmord“, der Anschlag auf Alexej Nawalny: Das sind laut Gernot Erler Stichworte einer Krise. Der ehemalige SPD-Staatsminister widmet sich in seinem Online-Vortrag „Russland und der Westen: Von der Entfremdung zur Krise – Eine aktuelle Bestandsaufnahme“ am Dienstag, 11. Mai, 18 Uhr, der Beziehungs-Geschichte zwischen Ost und West.

Frage: In Ihrem Vortrag liegt der Fokus auf der bilateralen Beziehung. Wie würden Sie in kurzen Worten die Situation zwischen Russland und dem Westen beziehungsweise zu Deutschland beschreiben?

Ich kann mich nicht erinnern, eine Situation erlebt zu haben, wo das Verhältnis zwischen Russland und dem Westen so krisenhaft wie heute war. Wir stehen in einer Eskalationsspirale, sichtbar an wechselseitigen Vorwürfen. Der Westen bezichtigt Moskau, Hackerangriffe, Einmischungen in Wahlen und Menschenrechtsverletzungen bis hin zu Auftragsmorden vorzunehmen. Die russische Politik weist alle Vorwürfe zurück und beklagt westliche Einmischung in Russlands innere Angelegenheiten.

Frage: Wie äußert sich das angespannte Verhältnis?

Beispielhaft hat sich die Krise im Februar sichtbar gemacht bei dem Moskaubesuch von Josep Borrell, dem Hohen Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, der regelrecht vorgeführt und schändlich behandelt wurde. Während seines Besuchs wurde ein hoher deutscher Diplomat aus Moskau ausgewiesen, und der russische Außenminister bezeichnete die EU als „unzuverlässigen Partner“ und drohte später sogar mit dem Abbruch der Beziehungen.

Frage: Gibt es Ihrer Meinung nach klare Fehler, die zur Entwicklung beigetragen haben?

Der schlimmste Fehler im Moment ist, dass beide Seiten die Negativspirale weiterlaufen lassen und nicht ernsthaft nach Deeskalationsschritten suchen.

Frage: Meinen Sie, dass die EU-Sanktionen gegen Russland Auswirkungen auf die Krise haben werden? Wird sich die Beziehung weiter verschlechtern?

Jede Sanktion wird mit einer spiegelbildlichen Gegensanktion und mit einer weiteren Verhärtung des Tons beantwortet. Der deutsche Außenminister betont trotz allem das Interesse an der Fortsetzung des politischen Dialogs. Das russische Interesse daran erscheint begrenzt: Am 19. September wird eine neue Duma gewählt, und Präsident Putin setzt darauf, dass eine harte und kompromisslose Haltung gegenüber dem Westen bei den Wahlen Vorteile bringt.

Frage: Welche Rolle spielt die NATO in diesem Entfremdungsprozess?

Die russische politische Klasse betrachtet die Erweiterungspolitik von EU und NATO in gleicher Weise als gegen die Interessen Russlands gerichtet und will vor allem einen NATO-

Beitritt der Ukraine verhindern. Der kürzliche Militäraufmarsch Moskaus an den ukrainischen Grenzen und auf der Krim sollte signalisieren, dass Russland diese Interessen mit aller Macht vertreten wird.

Frage: Hat die EU überhaupt eine Chance, auf Russland zuzugehen, wenn die USA kein ähnliches Interesse verfolgen?

Während Moskau die EU für schwach und vernachlässigbar hält, will man von der Weltmacht Amerika auf gleicher Augenhöhe wahrgenommen werden. Eine gemeinsame Russlandpolitik von USA und Europa wäre die beste Antwort. Noch verfügt Joe Biden nicht über einen konsistenten Ansatz, was Russland angeht: Da gibt es auf der einen Seite das Killer-Wort „Sanktionen“ und die Maßnahmen gegen Nord-Stream 2, auf der anderen Seite aber Kooperationen bei der Rüstungskontrolle (New START-Vertrag) und beim iranischen Atomvertrag, was beides von deutscher Seite ausdrücklich unterstützt wird.

Frage: Kann Deutschland eine Vermittlerrolle zwischen den Großmächten in Zeiten, die an den Kalten Krieg erinnern, einnehmen?

Deutschland verfügt über langjährige Erfahrungen mit den östlichen Nachbarn und kann diese Erfahrungen einbringen in die Herausbildung einer gemeinsamen westlichen Strategie im Umgang mit Russland und den Ländern Osteuropas.

Frage: Inwiefern haben die Fälle Nawalny und der Tiergartenmord die Beziehung zwischen Russland und Deutschland verändert? Ist das mit ein Auslöser für das zerrüttete Verhältnis?

Die beiden Fälle haben einen Deutschlandbezug und reihen sich ein in eine längere Liste von Menschenrechtsverletzungen, die man nicht unbeantwortet lassen kann. Inzwischen wird deutlich, dass der Fall Nawalny Ausgangspunkt für eine Politik der vollständigen Kriminalisierung und Ausschaltung jeglicher Opposition und Kritik in Russland darstellt. Das vertieft die Spannungen im Verhältnis von Russland und dem Westen.

Frage: Sehen Sie überhaupt eine Chance, dass sich das Verhältnis zwischen Russland und dem Westen in Zukunft wieder verbessert?

Eine solche Chance setzt voraus, dass beide Seiten ein Interesse daran haben, die Lage nicht weiter eskalieren zu lassen. Jede gelingende Kooperation, sei es im Gesundheitssektor, in der Wirtschaft oder bei der Rüstungskontrolle, baut Brücken. Und wo es Brücken gibt, wächst auch die Lust, sie zu beschreiten.

 Anmeldung im Internet unter www.dhbw-loerrach.de

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