Kreis Lörrach Fast die Hälfte schummelt beim Alter

Die Oberbadische

Asyl: Nicht alle Flüchtlinge kennen ihr richtiges Alter / Sozialarbeiter prüfen Angaben auf Glaubwürdigkeit

Die Morde an einer Freiburger Studentin und an einer Minderjährigen im rheinland-pfälzischen Kandel haben das Thema ins Licht der Öffentlichkeit gerückt: Die Altersbestimmung junger Flüchtlinge. Im Kreis hat man hierzu einen speziellen Fragenkatalog erstellt, mit dem Sozialarbeiter die Aussagen der Ankömmlinge genau auf den Prüfstand stellen.

Von Michael Werndorff

Kreis Lörrach. „Die meisten Flüchtlinge haben weder eine Geburtsurkunde noch sonstige Dokumente dabei, die Rückschlüsse auf ihr Alter zulassen“, wie Anne-Katrin Naujoks, Teamleiterin für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (UMA) im Landratsamt, im Gespräch mit unserer Zeitung erklärt. Das bedeutet viel Arbeit für die Kreisverwaltung, die allein im vergangenen Jahr 534 junge Asylsuchende in die vorläufige Obhut genommen hat – von diesen waren 279 minderjährig. Seit Jahresbeginn haben die Verantwortlichen 71 junge Flüchtlinge, überwiegend von der Elfenbeinküste, Gambia und Guinea sowie aus Sierra Leone und Somalia empfangen.

Sechs Sozialarbeitern des bei den Sozialen Diensten angedockten UMA-Teams des Landratsamts obliegt es herauszufinden, ob es sich tatsächlich um UMA handelt, oder ob der Asylsuchende als Erwachsener eingestuft werden muss und somit ein Fall für die Landeserstaufnahmeeinrichtung in Karlsruhe ist. Der Anteil derer ist laut Naujoks mit rund 45 Prozent sehr hoch: „Denen glauben wir nicht, noch minderjährig zu sein.“

Anhand eines ausführlichen Vier-Augen-Gesprächs und Fragebogens, den der Flüchtling ausfüllen muss, klopfen die Mitarbeiter die Aussagen und Informationen auf Glaubwürdigkeit ab, wie die Leiterin das Vorgehen erklärt. Dieses beruht auf einem eigenen Verfahren, das im Landratsamt nach Vorgaben des Landesjugendamts und bestimmten Handreichungen entwickelt wurde. Die Asylsuchenden werden unter anderem nach ihren Familienverhältnissen, Art und Dauer der Schulbildung, Alter der Geschwister und Eltern oder nach Berufserfahrung befragt, um das mögliche Alter zu ermitteln.

Landkreis hat seine Quote bereits erfüllt

„Wir haben sehr viel Erfahrung mit dem Thema, und das Vorgehen hat Hand und Fuß“, erklärt Naujoks.

Das muss es auch: Denn aufgrund der Grenzlage und der offenen EU-Binnengrenzen ist der Kreis Lörrach im Vergleich zu allen anderen ein erster Anlaufpunkt im Land. Dementsprechend stark ist das Landratsamt gefordert.

Konkret werden die mehrheitlich minderjährigen Flüchtlinge, nachdem sie von der Polizei oder der Bundespolizei aufgegriffen wurden, in die vorläufige Inobhutnahme gebracht, die im Markus- Pflüger-Heim angesiedelt ist. Es folgt eine medizinische Untersuchung, um Krankheiten zu erkennen, die gegen eine gemeinschaftliche Unterbringung sprechen.

In der Regel keine Dokumente dabei

Der nächste Schritt ist dann der Prozess der Altersbestimmung, an dessen Ende ein einstimmiger Beschluss vorliegen muss, wie Naujoks betont. „Beide mit der Befragung betrauten Sozialarbeiter müssen einer Meinung sein.“ Diese beruht auf subjektiven Eindrücken, weil die Flüchtlinge in der Regel keine Dokumente mit sich führen – zum Teil absichtlich, um ihre Identität zu verbergen, oder weil es die Dokumente in den Herkunftsländern nicht gibt.

„Sie kennen ihr Geburtsdatum bisweilen nur vom Hörensagen“, weiß Naujoks. Gibt es Anlass zum Zweifel, konfrontieren die Mitarbeiter den Befragten damit.

„Ziel ist es nämlich, ihn dem richtigen System zuzuführen.“ Vorausgesetzt der Betroffene willigt ein, können auch die Hände zur Altersbestimmung geröntgt werden – im heimischen Kreis liegt der Anteil bei 15 Prozent. Der Erkenntnisgewinn der Handknochenuntersuchung ist angesichts der Ungenauigkeit allerdings umstritten, weshalb die Bundesärztekammer die Untersuchung kritisch bewertet und nur für Ausnahmefälle empfiehlt.

Zwar habe sich der Zustrom junger Asylsuchender, die entweder aus Spanien kommend oder über Italien und die Schweiz den Kreis Lörrach erreichen, im vergangenen Jahr deutlich reduziert, seit einiger Zeit sei aber wieder eine leicht ansteigende Tendenz zu verzeichnen, wie Naujoks sagt. Über die Gründe könne man nur spekulieren. Fest steht aber, dass der Kreis seine Quote erfüllt hat und keine UMA mehr dauerhaft aufnimmt. Derzeit werden vor Ort 52 junge Menschen betreut, UMA, die sich in der vorläufigen Unterbringung befinden, werden in andere Bundesländer verteilt, momentan insbesondere nach Bayern und Brandenburg.

Bundesinnenpolitiker Armin Schuster (CDU) erklärt auf Nachfrage, dass die schweizerischen Grenzschutzbehörden die jungen Flüchtlinge keinesfalls durchwinken würden. „Die Schweizer kommen ihren Verpflichtungen nach“, verweist er auf in der Vergangenheit abgeschlossene Kooperationsvereinbarungen. So kontrollieren Bundespolizei und Grenzwachtkorps auch gemeinsam auf Schweizer Seite. Dort aufgegriffene Flüchtlinge bleiben im Nachbarland, so Schuster. Zudem macht er darauf aufmerksam, dass viele unbegleitete minderjährige Ausländer häufig im Rahmen von Schleusungen die Bundesrepublik erreichen. Die Union will daher ein Zeichen setzen und im Rahmen einer Novelle des Ausländergesetzes höhere Strafmaße festlegen. Konkret geht es um Mindeststrafen für Schleuser von sechs Monaten bis zehn Jahren Haft, wie Schuster ausführt.

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