Kandidateninterview: Jonas Hoffmann (SPD) Für krisenfeste Klassenzimmer

Die Oberbadische
Die Pandemiekosten müssen sozial gerecht verteilt werden, meint Jonas Hoffmann. Foto: Die Oberbadische

Frage: Herr Hoffmann, Sie sind in der IT-Branche tätig und waren in der Entwicklungshilfe aktiv. Was drängt Sie in den Landtag von Baden-Württemberg?

Meine Zeit in einem Hilfsprojekt in Afghanistan, meine bald 20 Jahre berufliche Erfahrungen im IT-Bereich sowie meine Rucksackreisen durch die Welt mit meiner Frau haben mich sicher sehr geprägt. Beim Reisen ist mir klar geworden, wie dankbar ich für unseren Sozialstaat bin. Er ist nicht perfekt, aber einer der besten der Welt.

Daher war für mich schnell klar, dass ich mich nach dieser Zeit politisch engagieren möchte, auch, um unseren Sozialstaat zu erhalten, ihn besser zu machen und nicht denen den politischen Raum zu überlassen, die ihn kaputt machen möchten. Ich bin daher in die SPD eingetreten und habe nun die Chance, für meine Partei im Wahlkreis für den Landtag zu kandidieren und hoffe, Rainer Stickelberger nachfolgen zu können.

Frage: Ihr Motto lautet: „Mehr Empathie wagen.“ Vor fünf Jahren hatten indes nur wenige Wähler Empathie mit den Sozialdemokraten. Die SPD kam 2016 auf 12,7 Prozent und musste ihr bisher schlechtestes Ergebnis verkraften. Aktuelle Umfragen sehen die Sozialdemokraten bei mageren zehn Prozent, einen Punkt hinter der AfD. Was macht Ihre Partei falsch?

In der Bundestagswahl 2017 konnte ich als Kandidat hier vor Ort mit 21,1 Prozent deutlich mehr Menschen überzeugen. Ich hoffe, dass mir die Bürger im Wahlkreis nochmals ihr Vertrauen schenken und ich zumindest über das Zweitmandat einziehen kann. Der Anspruch der Menschen an die SPD ist immer höher als an andere Parteien, da wir für eine menschliche und gerechte Politik eintreten. Diesem Anspruch möchte ich auch persönlich gerecht werden.

Frage: Im politischen Wettbewerb fehlt der SPD im Land wie auch bundesweit inzwischen ein prägnantes Alleinstellungsmerkmal. Für soziale Gerechtigkeit steht auch die Linke, für Umweltschutz die Grünen, für Wirtschaft die CDU und die FDP. Mit welchen typisch sozialdemokratischen Inhalten wollen Sie punkten, um den schlechten Trend zu stoppen?

Die SPD steht wie keine andere Partei seit mehr als 150 Jahren für soziale Gerechtigkeit und das Meistern von großen Herausforderungen, ohne den sozialen Zusammenhalt zu gefährden. Das ist bis heute das Alleinstellungsmerkmal der SPD. Klimaschutz, Chancengerechtigkeit und ein gutes Zusammenleben können am Schluss nur gelingen, wenn wir Lösungen finden, mit denen alle im wahrsten Sinne des Wortes „leben können“. CDU und FDP stehen außerdem immer noch für knallharten „Ellenbogen-Kapitalismus“, der sich gerade in der Krise als nicht leistungsfähig erwiesen hat und auch im Digitalen nicht funktioniert.

Frage: Das SPD-Wahlprogramm nennt als Schwerpunkte Wandel der Arbeitswelt, Bildung, Gesundheit und Pflege, bezahlbarer Wohnraum und Klimaschutz. Viele Themen verbindet die SPD mit den Grünen, die aber, wie SPD-Spitzenkandidat Andreas Stoch sagt, bei Wandlungsprozessen oft nur von ökologischen Notwendigkeiten sprechen. Haben die Grünen die soziale Dimension aus den Augen verloren?

Soziale Fragen stehen bei den Grünen nicht im Mittelpunkt. Genau deshalb brauchen wir die SPD. Gerade die Kosten für den Klimaschutz, aber auch der Pandemie, müssen sozial gerecht verteilt werden. Hier sehe ich die Menschen, die mehr als vier Millionen Euro Nettovermögen haben, also mindestens zum Beispiel vier Villen in Lörrach besitzen, in der Pflicht.

Frage: Gleichwohl strebt Stoch eine Koalition mit den Grünen an, die derzeit die Umfragen anführen. Wäre Grün-Rot, wofür es derzeit keine Mehrheit gibt, auch Ihre Wunsch-Koalition, und weshalb?

Ja. Ich glaube, dass mit Parteien und Menschen, die etwas bewegen wollen, gute Kompromisse geschlossen werden können. Bei der CDU ist aktuell alles auf „nur so viel bewegen wie nötig“ gestellt. So agiert die CDU nur als Bremsklotz. So kann man keine Jahrhundertaufgaben angehen.

Frage: Die Corona-Pandemie mit ihren Folgen überschattet den Wahlkampf: Derzeit dreht sich alles um den Lockdown und mögliche Ausstiegsszenarien. Die Wirtschaft läuft Sturm mangels schneller Öffnungsschritte, während viele Bürger den Sinn von Entscheidungen kaum mehr nachvollziehen können. Wie beurteilen Sie das Handeln Ihrer Parteivertreter auf Bundesebene? Alles richtig gemacht?

Niemand kann alles richtig machen, schon gar nicht in einer Krisensituation. Ich bin dankbar für die SPD im Bund, Olaf Scholz und unsere Ministerriege, die unter schwersten Bedingungen gute Arbeit leistet. Was ich persönlich aber bei allen Parteien vermisse, sind mutige, funktionierende und zugleich wissenschaftlich fundierte Konzepte, wie unser Alltag mit der Pandemie funktionieren kann. Aber akut müssen wir bei der Kontaktnachverfolgung so erfolgreich sein, dass Neuinfektionen verhindert werden. Wir müssen eine dritte Welle mit drittem Lockdown verhindern, aber auch wieder ein „Leben“ während der Pandemie ohne massive Einschränkungen ermöglichen.

Frage: Die Landesregierung hat mit ihrer Coronapolitik auch Kritik erfahren: Der scheidende Landtagsabgeordnete Rainer Stickelberger hat die Informationspolitik von Sozialminister Manfred Lucha und das Anmeldeverfahren zur Corona-Impfung moniert. Welche Note geben Sie dem Krisenmanagement?

Ich finde es traurig, dass gerade ältere Menschen bei der Impfanmeldung so allein gelassen wurden. Zum Glück gibt es in den Gemeinden im Landkreis Ehrenamtliche, die zum Beispiel den über 80-Jährigen helfen, die Anmeldung und den Impftermin zu meistern. Andere Bundesländer haben das von Anfang an weitaus besser gelöst und die Verantwortung nicht einfach an Ehrenamtliche abgeschoben.

Frage: Corona hat politische Versäumnisse nicht nur aufgedeckt, sondern auch verschärft. Besonders zeigt sich das in der Bildungspolitik: SPD und Grüne starteten einst mit dem Vorhaben, eine Reformkoalition zu sein (Stichwort: Gemeinschaftsschulen). Bei der Digitalisierung hapert es aber nach wie vor. Welchen Handlungsbedarf sehen Sie für die neue Regierung?

Die Digitalisierung an den Schulen wurde von der Landesregierung in den vergangenen fünf Jahren verschlafen. Schulen brauchen schnelle und stabile Internet- und WLAN-Verbindungen, Schüler und Lehrkräfte müssen mit digitalen Endgeräten ausgestattet werden, und die Schulen brauchen Personal für die IT-Administration. Bei allen drei Punkten gab es von der Landesregierung bislang nur Schnellschüsse und ein Abschieben der Verantwortung auf die Kommunen.

Frage: Während unter Grün-Schwarz die Unterstützung für Gemeinschaftsschulen zurückging, will die SPD insbesondere die integrierten Schulformen weiter ausbauen. Warum ist das der richtige Weg?

In integrierten Schulformen, also Gemeinschaftsschulen, wo Kinder mit unterschiedlichem Stärken-Schwächen- Profil gemeinsam unterrichtet werden, können Kinder individueller gefördert werden. Zusätzlich eröffnen Gemeinschaftsschulen die Chance, im ländlichen Raum weiterführende Schulen zu ermöglichen, so wie im Raum Schönau/Todtnau.

Frage: Würden mit der SPD in einer Regierung wieder neue Strukturdebatten in der Bildungspolitik ausbrechen?

Nein. In den vergangenen Jahren sollten wir gelernt haben, dass gerade bei Bildung und Schule die lokalen Gegebenheiten wichtig sind und es nicht sinnvoll ist, aus Stuttgart vorzugeben, wie es richtig zu sein hat. Aus meiner Sicht ist es am sinnvollsten, wenn Kommunen, Schulleiter und Eltern vor Ort entscheiden, welche Schulformen vor Ort sinnvoll sind. Dies gilt auch für die Frage, ob ein acht- oder neunjähriges Gymnasium angeboten werden soll.

Es wird in den nächsten Jahren hoffentlich um die Frage gehen, wie wir unsere Kinder auf die rasanten Entwicklungen in unserer Welt am besten vorbereiten können und nicht um ideologische Debatten über ein zwei-, drei- oder viergliedriges Schulsystem.

Frage: Ihre Partei attestiert Bildungsministerin Susanne Eisenmann schwere Versäumnisse. SPD-Generalsekretär Sascha Binder meinte, sie fahre den Fernunterricht gegen die Wand. Was hätten Sie besser gemacht?

Dazu hat die SPD schon im vergangenen Sommer viele konkrete Vorschläge gemacht. Regelmäßige Coronatests, eine flexible Gestaltung von Fern-, Digital-, Wechsel- und Präsenzunterricht. Diese hätten im Sommer und Herbst vorbereitet und ausprobiert werden können. Leider wurden alle Verbesserungen für ein krisenfestes Klassenzimmer von Ministerin Eisenmann abgelehnt.

Frage: Die Pandemie scheint auch die Spaltung der Gesellschaft weiter voranzutreiben. Besonders deutlich tritt dies im Zusammenhang mit den sogenannten Querdenkern auf, welche die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie ablehnen und die Freiheitsrechte der Bürger dauerhaft in Gefahr sehen. Können Sie deren Argumente und Befürchtungen nachvollziehen?

Dass Menschen befürchten, dass Grundrechte dauerhaft eingeschränkt werden, konnte ich immer nachvollziehen. Beispiele gibt es hier leider in anderen Ländern genug. Auch dass Menschen gegen Härten, die diese Zeit mit sich bringt, demokratisch protestieren, ist für mich nachvollziehbar.

Aber dass Menschen diese Pandemie nutzen, um zusätzliche Ängste und Verschwörungen zu verbreiten, um damit politisches oder persönliches Kapital zu schlagen, ist hochgradig unanständig.

Ich wurde schon einige Male gefragt, wo für mich „Mehr Empathie wagen“ seine Grenzen hat. Bei Holocaust- und Diktaturvergleichen oder dem Satz „Impfzentren sind für mich KZs“, ist bei mir allerspätestens die Grenze der Empathie erreicht.

Frage: Für welche Ziele setzen Sie sich konkret ein, und wie wollen Sie sicherstellen, dass die Belange der Region in Stuttgart Gehör finden?

Der Wahlkreis Lörrach ist der am weitesten von Stuttgart entfernte. Wenn man hier etwas bewirken möchte, heißt dies immer, die „Extra-Meile“ gehen zu müssen. Das möchte ich tun. Ich bin bereit, meinen gut bezahlten IT-Job in Basel an den Nagel zu hängen, um mich für mehr Gerechtigkeit und die Region einzusetzen.

Als wir die Entscheidung für die Kandidatur getroffen haben, hat mir meine Frau die Bedingung gestellt, dass solange ich wirklich etwas bewirke, sie diese mitträgt und unterstützt. Dieser Anspruch gilt.

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