Auf den ersten Blick plakativ, versteht es Graff, die geizige Wohlstandsgesellschaft zu enttarnen, die die mitmenschliche, liebevolle Weihnachtsbotschaft des Schenkens zur Farce werden lässt. Die Herzen der Europäer bleiben verschlossen.
Ebenso in „Champagner für alle“. Hier schildert er den geradezu abstoßenden Reichtum eines Fußballstars, der auf Mallorca Sektorgien feiert inmitten einer neureichen, oberflächlichen Gesellschaft. In Sichtweite dieser exzessiven Weihnachtsparty spielt sich ein Drama ab: Flüchtlinge ertrinken – den mit Champagner gefüllten Pool quasi zum Greifen nahe.
Skurril und fantastisch überspitzt, aber auch geradezu philosophisch wird Graff in „Die Vierschanzentournee“. Skispringer Jens startet hier von der Schanze auf einen zweijährigen Flug über die Welt. „Von oben sieht man alles besser, das Schöne und das Hässliche“, sagt er nach seiner Rückkehr. Gesehen hat er auf seinem Flug vor allem Mauern: In Korea und zwischen Israel und Palästina; zwischen Mexiko und den USA; zwischen Serbien und Ungarn. Und Jens verkündet die naive wie auch zutiefst mitmenschliche Botschaft: „Diese Mauern sind immer die Folge der geistigen Mauer, die in unsere Seele wächst. ... Ich werde versuchen, in Zukunft diese Mauern niederzureißen. Das ist die Aufgabe jedes Christen.“ Schön. Utopisch.
„Ich warte auf meine Seele“
Um einen Flüchtling dreht sich „Ich warte auf meine Seele“ nur oberflächlich. Ironisch und überspitzt wird hier das Manager-Leben von Harald, stets auf der Überholspur, geschildert. Er lebt zwischen Luxus und Geschäft – schneller als sein Schatten. Das Ganze muss ein böses Ende nehmen. Da wird der Autor schön sarkastisch.
Martin Graff pflegt einen ganz eigenen Stil mit Wiedererkennungswert: zwischen überspitzt und skurril, heiter bis nachdenklich, dringt durchaus große Ernsthaftigkeit durch. Aktuell werden Zeitströmungen aufgegriffen von der AfD und dem Front National bis zur Tourismus-Plage; es werden kenntnisreich historische Vergleiche gezogen und ein guter Schuss Philosophie eingebracht. Neben einer gewissen Melancholie dringt immer wieder moralische Wut durch die Zeilen, ein energischer Weckruf an uns alle – gerade in der Weihnachtszeit. Martin Graff: „Geschlossene Gesellschaft“, Wellhöfer Verlag, 106 Seiten, 14 Euro