Kreis Lörrach Schlagabtausch zwischen Kirche und Politik

Die Oberbadische

Reformationsserie – Folge 12: Das Kabarett Restrisiko zeigt ein Reformationsprogramm nicht nur für Kirchgänger

Von Jürgen Scharf

Der Thesenanschlag Martin Luthers im Jahr 1517 war der Auftakt zur Reformation, ein Ereignis von weltgeschichtlicher Bedeutung. 500 Jahre später wird in ganz Deutschland das Jubiläum gefeiert. Im Rahmen einer Serie blicken wir auf die Reformation im Dreiländereck und ihre Auswirkungen. Die Serie wandert bis Ende November durch den gesamten Lokal- und Regionalteil unserer Zeitung. Die zwölfte Folge begleitet das Deutsch-Schweizer kabarett Restrisiko auf seiner Spurensuche.

Regio. Das Thesen-Jubiläum „500 Jahre Reformation“ inspiriert nicht nur die Theologen und Theaterleute, sondern auch die Kabarettisten mit Programmen wie „Parole 20 Uhr Wartburg“ oder „Luther war ein Blogger“. Bei so viel Luthermania wollte auch das regionale, in Deutsch-Schweizer Besetzung antretende Kabarett Restrisiko nicht nachstehen. In seinem klug durchdachten kabarettistischen Theaterstück „Ich schwimm so frei!“, das zwölf Mal zwischen Grenzach und Dresden, Schönau und Laufenburg aufgeführt wurde, begibt sich die Kabarettgruppe auf Spurensuche.

Ronald Kaminsky, der Gründer, Esther Deiss, das „musikalische Herz“. Ronald Degen, der „Kreativkopf“ und die Sopranistin Tina Zimm nehmen Luther, aber nicht nur ihn, aufs Korn. Sie debattieren über Bibelfestigkeit, den Glauben und träumen zum Schluss von Utopia und von Edward Snowden als US-Präsident. In diesem mit vielen aktuellen Seitenhieben aufwartenden Kirchenkabarett über Luther, Migration, Freiheit und Reformen ist das grenzüberschreitende Ensemble mit gewohnt starkem Wortwitz, ausgefeilten Texten, bissigem Humor und darstellerisch wandlungsfähig am Puls der Zeit.

Auf dem Flyer sitzt der Reformator mit Rettungsring in einer Badewanne: eine Anspielung darauf, dass der Kopf der Reformation mit ins Boot zu aktuellen Themen geholt wird. Martin Luther als Gegenstand des Kabaretts? Warum nicht? Schließlich war er modern und streitbar. Heute würde er auf Facebook posten anstatt seine Thesen an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg anzuschlagen. Lange vor Twitter und den Fake News wusste Luther: „Man braucht sieben Lügen, um eine zu bestätigen“. Seine Kirchenkritik „bloggte“ der Reformator mit klar verständlichen Statements.

Wie ist nun das Kabarett Restrisiko auf das Thema Reformationskabarett gekommen? Wir befragten dazu Ronald Kaminsky: „Drei von unseren vier Ensemblemitgliedern sind auch relativ stark kirchlich sozialisiert. Wir engagieren uns in verschiedenen Kirchen. Dann haben wir im vergangenen November einen Workshop der Evangelischen Landeskirche Baden besucht, da ging es um Reformationstheater, nicht generell um Kabarett. Wir sind da hingefahren und haben festgestellt, dass es sehr viele Theaterprojekte zu dem Luther-Thema gibt. Es war unheimlich spannend, die vielen anderen Kollegen kennenzulernen. Wir haben gedacht, das wäre doch eigentlich auch etwas fürs Kabarett, wobei wir sofort gesehen haben, wir möchten keine kirchliche Bauchnabelschau halten über Luther und Reformation. Es muss Bezug zu dem haben, was für uns heute wichtig ist. Von dem Workshop ausgehend und mit unserem Gedanken, dass wir etwas machen wollten, was heute Bedeutung hat, sind wir dann das Reformationsprojekt angegangen.“

Luther war der erste Whistleblower

Das Programm ist zweigeteilt in einen Schlagabtausch zwischen Kirche und Politik: Luther auf der einen, die aktuelle Migrations- und Flüchtlingsproblematik und die globalen Krisen unserer Zeit auf der anderen Seite. In einer der Kernbotschaften lautet das Credo: „Besser nicht alles glauben!“ Und in einer Glanznummer heißt es, Luther sei der erste Whistleblower gewesen. „Ja, unbedingt“, bestätigt Kaminsky. „Es ist nicht so, dass es nur ein Aufhänger ist, es hat natürlich einen Inhalt. Wir haben das bei der Programmentwicklung gemerkt. Wir hatten zuerst ein F mit der doppelten Bedeutung für Freiheit und Flüchtling gehabt. Dann ist drumherum diese Windrose entstanden und da hängen wir das so ein bisschen auf an der Bedeutung der Buchstaben. S wie Schuld (und Schlepper), und wie komme ich da raus? Und dann das W für Waffenhandel, Weltuntergang und auch für den Whistleblower, das drängt sich fast auf, dass man das nimmt. Nicht nur der Buchstabe selbst, sondern Freiheit und Flüchtlinge, das liegt doch so nah beieinander.“

Rein ästhetisch-poetisch mischt sich Blut mit Erde

Manche Nummer ist schon sehr zynisch, zum Beispiel, wenn Roland Degen in dem Sketsch „Schlepper von Beruf“ als Missionar ans Mittelmeer wechseln will: „Nottaufen ja, aber Waffen segnen, das ist mir zu dreckig“. Besonders das Anti-Kriegs-Lied „Krieg, das muss sein“ auf die Melodie von „Griechischer Wein“ ist harte Satire. „Das ist eines der Lieder, das bei einer Gruppensitzung entstanden ist und das uns bei der Entstehung selber sehr nahe gegangen ist“, erklärt Kaminsky. Die Aussage, beziehungsweise der Konflikt sei klar: „Nur die Waffen schaffen Frieden, das ist eben der politische Ansatz, eben nicht Frieden schaffen ohne Waffen, wie das der christliche Ansatz ist. Dass der Bibelvers ,Macht die Schwerter zu Pflugscharen’ nicht nur so, sondern auch umgekehrt in der Bibel steht, war dann speziell für viele Kirchgänger neu. Rein ästhetisch-poetisch mischt sich Blut mit Erde, wir fanden das grandios gut, dass das so rübergekommen ist. Natürlich ist es zynisch, es ist traurig und sehr bitter. Damit leben wir in der Kabarettszene und auch in unserer Kabarettgruppe, dass wir die Mischung haben – und ganz bewusst haben wollen – zwischen Witz, Humor, Satire und Herz. Dass es nicht nur lustig ist, das ist der Punkt, da ecken wir auch manchmal an, das wissen wir. Manchmal ist es so, dass man gar nichts mehr sagen muss, wo es wirklich an die Grenzen geht. Beim Theater-Workshop haben wir gesehen, dass andere Gruppen das gar nicht mit Humor spielen, sondern sehr ernst nehmen. Das ist unser Merkmal für uns selbst, dass wir das in der klassisch-kabarettistischen Form aufnehmen wollen, satirisch mit Witz und Humor, aber auch mit Ernst.“

Gefragt, ob sie das Lutherbild in der Kabarettgruppe eher zeitlos oder biografisch sehen, antwortet Kaminsky: „Das ist gar nicht so eindeutig zu sagen mit dem Lutherbild. Ein Ensemblemitglied kennt beide Kirchen sehr gut, ist mal konvertiert, zwei andere sind protestantisch, wir haben sehr guten lutherischen Einblick in das, was so abläuft. Auch die Auseinandersetzung mit dem Papst und der katholischen Kirche ist jetzt nichts Fremdes oder Neues für uns. Wir haben auch Verbindungen zu Amateur-Kirchenkabarett, mit dem wir schon gemeinsame Veranstaltungen gemacht haben. Von daher ist der kirchliche Rahmen – und mit dem kirchlichen Rahmen meine ich nicht nur Luther selbst, sondern die Institution mit ihren Stärken und Schwächen und ihren Konflikten, die es innerhalb der Kirche gibt – uns sehr bekannt. Das war jetzt nicht so schwierig für uns, die Kirche mit einzubeziehen.“

In diesem angriffslustigen Kirchen- und Polit-Kabarett werden Streitgespräche und Szenen voller Wort- und Spielwitz mit starken musikalischen Akzenten aufgelockert. Wir haben auch das ein oder andere Lutherbuch durchgeschaut, was hat er denn so gesagt, was gibt es für überlieferte Sprüche. Wir wollten eben nicht speziell auf Luther eingehen, dass es nur etwas für Luther-Kenner geworden wäre. Bloß keine fromme Nabelschau! Wir wollen ein Reformationsprogramm machen, das nicht nur für die Kirchgänger, sondern gerade auch für Leute, die nichts mit der Kirche am Hut haben, spannend ist“.

Apfelbaum-Zitat und roter Knopf im Weißen Haus

Im Programm findet sich auch eine tiefgründige Nummer über das legendäre Luther-Zitat vom Apfelbaum, das mit aktuellem politischem Geschehen verknüpft wird. Kaminsky erklärt dies so: „Die Apfelbaum-Geschichte greifen wir auf, aber die haben wir auch wieder ein bisschen umfunktioniert, dass es nach dem Weltuntergang eine neue Eva gibt und sagen, wo der Weltuntergang möglicherweise herkommt ... mit dem roten Knopf im Weißen Haus. Dass es so brandaktuell werden würde, haben wir nicht ahnen können.“

Die Ensemblemitglieder tragen einen roten Reformationsschal mit Luther-Konterfei. Ist das überliefert oder Fiktion? Kaminskys Antwort fällt anders aus als erwartet: „Ich glaube, das ist gutes Merchandising“ (lacht). „Wir haben diesen Luther-Schal dann auch über die Kirche bezogen auf unser Programm ,Ich bin so frei!’. Da leben wir in einem Umfeld, wo das auch wirtschaftlich ausgeschlachtet wird. Interessant in dem Zusammenhang ist, dass das Luther-Playmobil die meist verkaufte Playmobilfigur überhaupt ist. Da wundert man sich dann, dass das in unserer doch immer weiter von der Kirche wegdriftenden säkularisierten Welt nicht der Feuerwehrmann oder sonst wer ist... “

Das satirisch zugespitzte Programm ist für Kabarettfreunde aller Konfessionen oder ohne Konfession ein Christen- und Heidenspaß. „Es ist nicht nur religiös orientiert“, weiß Ronald Kaminsky. „Das, was wir im Kabarett in anderen Programmen bringen, ist nicht weit davon entfernt, was wir jetzt im Reformationsprogramm haben, weil uns das in unserem christlichen Weltbild betrifft. Das sind die Fragen, die uns bewegen“.

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