Kreis Lörrach Sozialer Abstieg kann schnell gehen

Die Oberbadische
Angeregt diskutierten unter der Leitung von Michael Schmitt-Mittermeier (3. v. r.) über das Thema „Verschuldung“ (v. l.): Christoph Mattes, Gabriele Kraft, Josha Frey, Roland Meier und Elke Zimmermann-Fiscella. Foto: Silvia Waßmer Foto: Die Oberbadische

Diskussion: Diakonisches Werk der evangelischen Kirchenbezirke zum Thema „Reiches Land – arme Schuldner“

Verschuldung ist ein Problem, das jeden treffen kann. Dies wurde am sozialpolitischen Martinstag bei der vom Diakonischen Werk der evangelischen Kirchenbezirke organisierten Diskussionsrunde zum Thema „Reiches Land – arme Schuldner: Perspektiven für soziale Schuldnerberatung im Landkreis Lörrach“ deutlich.

Kreis Lörrach (was). Allerdings seien die Betroffenen nicht unbedingt immer für ihre Situation verantwortlich, erläuterte in einem Impulsreferat Christoph Mattes von der Fachhochschule Nordwestschweiz. Dabei machte er deutlich, dass im Grunde wir alle von den oftmals als Ursache bedienten Klischees „mangelnde Finanzkompetenz“ oder „kompensatorisches Konsumverhalten“ betroffen sein können. „Wir schließen alle mal Rechtsgeschäfte ab, die wir nicht mehr einschätzen können“, sagte Mattes und nannte als Beispiel etwa den Abschluss eines Handyvertrags („Wer von Ihnen hat den Vertrag vor Unterzeichnung wirklich durchgelesen?“). Darüber hinaus erläuterte er zum Konsum, dass dieser ein „hoch emotionaler Vorgang“ sei und wir alle dabei manipuliert werden: „Einkaufen ist alles andere als eine rationale Handlung.“

Niemand ist vor Schulden gefeit

Als besonders von Schulden gefährdete Gruppe nannte der Referent weiterhin Familien mit Kindern. Dies heiße allerdings nicht, dass alleinstehende Personen dieses Problem nicht hätten. In der Beratung sei die Situation der Betroffenen oftmals zu komplex, um sie in den standardisierten Formularen – wie in der Schuldnerberatung verwendet – gerecht abzubilden. Und nicht in allen Fällen sei es mit einer einfachen Entschuldung getan, erklärte er.

„Wir müssen den Menschen dort abholen, wo er sich gerade befindet“, betonte auch Gabriele Kraft von der Schuldnerberatung im Diakonischen Werk Baden. Außerdem sei es wichtig, den Betroffenen eine neue Chance zu eröffnen. Für das Jahr 2017 werde es im Land weit mehr als 300 000 verschuldete Personen geben, machte sie auf die steigende Zahl der Betroffenen – zu denen auch immer mehr ganz junge und ältere Menschen gehören – aufmerksam. Dabei könne es, wenn kein finanzieller Puffer vorhanden sei, „ganz schnell abwärts gehen und jeden treffen“. Deshalb setzt sie sich dafür ein, Schuldner schon zu beraten, „bevor das Kind in den Brunnen gefallen ist“.

Auf frühe Prävention setzt auch der Landkreis Lörrach, wie Elke Zimmermann-Fiscella, Sozialdezernentin im Landratsamt, in der anschließenden Diskussion unter der Leitung von Diakonie-Geschäftsführer Michael Schmitt-Mittermeier erläuterte. Dabei sei hier in den vergangenen Jahren schon viel getan worden, um ein Abdriften der Menschen in die Verschuldung zu vermeiden.

Und auch im Landtag sei das Problem erkannt worden, bestätigte Landtagsabgeordneter Josha Frey. Er bezeichnete den Mindestlohn als „immer noch zu niedrig“ und schnitt kurz das umstrittene Thema einer Erhöhung der Grenzsteuersätze an.

Schuldnerberater Roland Meier machte indessen darauf aufmerksam, dass bei knapp vier Beraterstellen im Landkreis „bei weitem nicht an Prävention zu denken“ sei. Seien doch schon heute die Wartelisten so lang, dass manche Betroffene – wenn sie Pech hätten – „gar nie“ in eine Beratung kommen.

Mattes hatte in diesem Zusammenhang bereits zuvor das hier viel zu bürokratische Vorgehen angesprochen: „Der Landkreis Lörrach hat das längste Insolvenzverfahren der Republik.“ Verhindere doch das hier praktizierte Vorverfahren die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens um mindestens ein Jahr. Dies sei nicht nur aufwendig, sondern auch eine Verschwendung von Ressourcen.

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