Kreis Lörrach Vertrauen in die Zukunft schaffen

Die Oberbadische
Diana Kinnert: „Der Staat muss sich dynamischer aufstellen.“Foto: zVg/Laurence Chaperon Foto: Die Oberbadische

Interview: Diana Kinnert über eine sich verändernde Wirtschaft und Gesellschaft

Kann das gutgehen? Wirtschaft und Gesellschaft ändern sich, Politik und Staat aber nicht. Dieser Frage geht die CDU-Politikerin Diana Kinnert heute im Rahmen der DHBW-Reihe „Studium Generale“ nach. Denis Bozbag sprach mit der Referentin.

Frau Kinnert, Ihr Vortrag lautet „Kann das gutgehen? Wirtschaft und Gesellschaft ändern sich, Politik und Staat aber nicht“. Welchen Entwicklungen hinkt der Staat gerade besonders hinterher?

Ich denke, dass wir der zunehmenden Fragmentierung, Individualisierung und Segregation in unserer Gesellschaft nicht ausreichend Rechnung tragen. Erwerbsbiografien sind heutzutage mehr denn je von Brüchen und Disruptionen geprägt. Das persönliche Leben kann sich ganz plötzlich radikal verändern, wenn Angehörige pflegebedürftig werden und Fürsorgearbeit daheim erledigt wird.

Mit demografischem Wandel und medizinischem Fortschritt ist der Anteil der gesunden, vitalen Hochaltrigen in unserer Gesellschaft sehr hoch geworden: Das Potenzial dieser aktiven Bevölkerungsgruppe wird nicht anerkannt, erst recht nicht ausgeschöpft. Fragmentierung braucht Infrastrukturen, die agil und beweglich sind.

Was muss er tun, um diesen gesellschaftlichen Veränderungen doch noch gerecht zu werden?

Der Staat muss statische Gehäuse aufbrechen und sich stattdessen dynamischer aufstellen. Sabbaticals müssen mit 20 Jahren genauso möglich werden wie mit 60 Jahren. Berufsbegleitendes Studieren kann auch für Seniorinnen und Senioren interessant werden. Unser Arbeits- und Gesundheitsrecht muss auf digitales Arbeiten und Home Office angepasst werden.

Sie sind Jugendbotschafterin der Konrad-Adenauer-Stiftung. Welche Botschaften sendet die Jugend derzeit an unsere Politik?

Wir alle sehen am Aufbegehren der Fridays for Future-Bewegung, dass das Thema Klimawandel und Umweltschutz allerhöchste Priorität bei den Jüngeren genießt. Unser altes Industriemodell steht vor dem Ende; stattdessen müssen wir etablierte Geschäfte ökologischer und nachhaltiger ausrichten.

Wenn das gelingt, liest sich darin auch ein neues Wohlfahrtsversprechen. Die Erneuerung unserer Industrie, der Raum für Innovationen, ernsthafte Transformation zu zukunftsfesten Arbeitsplätzen, das alles schafft Vertrauen in die Zukunft. Das haben die Jungen nötig; aber neben ihnen auch alle anderen in unserer Gesellschaft.

Haben Sie das Gefühl, die bislang von der Regierung eingeführten Corona-Maßnahmen treffen junge Menschen härter als den Rest der Gesellschaft?

Der totale Abbruch der Routinen in der Pandemie trifft die marginalisierten, unterprivilegierten Gruppen zuerst. Das ist schon immer so gewesen. Die Krise trifft die Schwachen am stärksten. Dazu zählt auch die junge Generation.

Dabei geht es nicht nur um die harten Faktoren wie einen stotternden Studienalltag oder abgesagte Ausbildungsplätze, sondern auch um all die Bedingungen, die die Ausbildung eines erwachsenen Charakters möglich machen. Wer nicht von zuhause ausziehen kann, wer Sexualität und Abrieb nicht befreit erleben kann, wer sich in Subkulturen nicht entfalten und sicher fühlen kann, dem fehlt etwas. Wir können nur ahnen, wie sich diese psychosozialen Faktoren auswirken werden.

Sie haben gesagt, „durch Corona verstärkt sich die Einsamkeitsproblematik. Das wird auf lange Sicht extreme gesundheitliche Konsequenzen haben“. Wie kann man diese Folgen abfedern in Zeiten der Pandemie, wo Social Distancing gerade das Gebot der Stunde ist?

Das Thema Vereinsamung und soziale Segregation war schon vor Corona ein weitreichendes und extrem unterschätztes Thema. Ich bin froh, dass es durch die angeordnete soziale Isolation nun auch in der Politik ernster genommen wird.

Anti-Einsamkeit kennt viele Maßnahmen. Das fängt bei Nachbarschafts- und praktischer Alltagshilfe an und kann bei digitalen Dates mit den Großeltern im Pflegeheim aufhören. Pflegerinnen und Pfleger brauchen mehr Zeit für Aufmerksamkeit, Nähe und Zuneigung. In Großbritannien achten die Postboten auf Alleinlebende, in den Niederlanden gibt es Supermarktkassen für eine kurze Plauderei. Die Ideen sind vielfältig. Vieles davon ist auch in der Corona-Zeit machbar.

Diana Kinnert, geboren 1991 in Wuppertal, ist eine Politikerin der CDU und selbstständige Unternehmerin, Beraterin und Publizistin. Sie ist seit 2009 Mitglied der CDU. Seit April 2015 arbeitete sie im Stab des inzwischen verstorbenen Vizepräsidenten des Deutschen Bundestages Peter Hintze. Kinnert berät verschiedene Regierungsstellen und Stiftungen aus dem Ausland, darunter das weltweit erste Anti-Einsamkeitsministerium unter Premierministerin Theresa May in Großbritannien sowie Parlamentskreise in Australien, Kanada und Japan.

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