Kreis Lörrach Weitere Engpässe absehbar

Michael Werndorff
Der Ärztemangel spitzt sich weiter zu. Laut Kassenärztlicher Vereinigung sind 13 Stellen unbesetzt. Foto: Die Oberbadische

Gesundheitsversorgung: Mediziner warnen vor Kollaps der hausärztlichen Versorgung.

Kreis Lörrach - Die Hausärzte im Landkreis Lörrach warnen vor einer Gefährdung der ambulanten medizinischen Versorgung: Es wird immer schwieriger, Nachfolger für Mediziner zu finden, die altersbedingt aus dem Berufsleben ausscheiden.

Überbordende Bürokratie, Regressforderungen, finanzielle Risiken und der Wunsch nach einer ausgewogenen Work-Life-Balance: Es wird zukünftig nicht einfacher, medizinischen Nachwuchs zu finden, der bereit ist, eine Hausarztpraxis zu übernehmen, sagte Ingolf Lenz, Vorsitzender der Ärzteschaft im Landkreis Lörrach, diese Woche im Rahmen eines Mediengesprächs.

Egal ob städtischer oder ländlicher Raum – fehlende Kapazitäten von Fach- und Hausärzten machen sich im Landkreis deutlich bemerkbar. Das hat auch die im Jahr 2017 vom Kreistag in Auftrag gegebene Studie zur hausärztlichen Versorgung gezeigt. Während die Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) für das Jahr 2017 insgesamt sieben mögliche Niederlassungen für Allgemeinmediziner in den drei Mittelbereichen Lörrach/Weil am Rhein, Schopfheim und Rheinfelden vorsah, waren es im Juni dieses Jahres bereits 16 unbesetzte KV-Niederlassungen (wir berichteten).

13 unbesetzte Stellen

Derzeit sind 13 Stellen unbesetzt, wie KVBW-Mediensprecherin Swantje Middeldorff im Gespräch mit unserer Zeitung sagte. Während in Lörrach/Weil ein Versorgungsgrad von 103 Prozent vorliegt und fünf KV-Stellen besetzt werden können, sind es im Mittelbereich Schopfheim 100 Prozent. Hier könnten sich laut Middeldorff drei weitere Mediziner niederlassen. Im Bereich Rheinfelden, wo fünf offene Stellen gemeldet sind, sieht die Lage mit einem Versorgungsgrad von 95 Prozent schlechter aus.

Kostendämpfung als Ziel

Ärztestellen können nach gesetzlichen Vorgaben bis zu einem Grad von 110 Prozent besetzt werden. „Es waren schon einmal 140 Prozent", weiß Lenz. Der Hintergrund der Berechnung liegt im Ziel der Kostendämpfung. „Das bedeutet, dass der Gesetzgeber vorgegeben hat, die Zahl der niedergelassenen Ärzte zu begrenzen“, sagte KV-Sprecher Kai Sonntag im Gespräch mit unserer Zeitung im Sommer dieses Jahres.

Entspannung zeichnet sich indes im Wiesental ab, wo ein medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) bald seinen Dienst aufnehmen soll. Im oberen Wiesental hat sich ein Gesundheitszentrum in Todtnau etabliert, das auch dort eine wichtige Anlaufstelle für Patienten ist und die ambulante Versorgung sichert.

Teilzeitarbeitende Ärzte

Das zeigt: Der Trend geht hin zur Konzentrierung, zu Versorgungszentren oder Gemeinschaftspraxen, was für viele Menschen längere Anfahrtswege zu einem Arzt bedeutet. Für Senioren und nicht-mobile Bürger ist dies ein Problem. Und: Sie werden nicht mehr bei jedem Termin vom selben Arzt betreut.

Medizinern bietet diese Struktur indes Vorteile: Ein Schritt in die Selbständigkeit mit den damit verbundenen Risiken bleibt aus, und Teilzeitarbeit ist besonders für Medizinerinnen attraktiv. „Gab es bis zum Jahr 1995 noch keine angestellten Hausärzte, sind es mittlerweile mehr als die Hälfte“, veranschaulichte Lenz die Entwicklung.

Weitere Engpässe absehbar

Er verwies zudem auf die Altersstruktur der Ärzteschaft: Mehr als 40 Prozent der Hausärzte im Kreis Lörrach sind älter als 60 Jahre, und viele Kollegen arbeiten über die Altersgrenze hinaus. Weitere Engpässe in der Versorgung seien absehbar.

Wachsende Bürokratie

Spardruck, Sanktionen und die überbordende Bürokratie machen die Hausarzttätigkeit unattraktiv. So müssten Schüler, die nur einen halben Tag im Unterricht fehlen, ein Attest vorlegen, monierte Friedrich Hugenschmidt, Vorsitzender des Ärztenetzes Dreiländereck. „Das verstopft den Praxisbetrieb.“

Die prekäre Lage in der ambulanten Versorgung hat auch Folgen für den ärztlichen Notdienst: Bei Hausbesuchen stelle man fest, dass Patienten nur eingeschränkt versorgt sind. Und die in den Krankenhäusern in Lörrach und Schopfheim angesiedelten Notfallpraxen bekommen die Situation ebenfalls zu spüren. Dort tauchen dann Patienten auf, die keinen Hausarzt haben. Hier sei es ratsam, eine Gebühr als Steuerungsinstrument einzuführen, meinte Lenz.

Teure Regressforderungen

Dann wären da noch die Regressfordungen an Ärzte seitens der Krankenkassen. Ein Fall in Grenzach-Wyhlen sorgt derzeit für Aufsehen, wo Hausarzt Andreas Fluck die Existenz seiner Praxis gefährdet sieht (wir berichteten). Sollte die Regressforderung von 30 000 Euro wegen Überschreitung des Heilmittelbudgets wirksam werden, behält sich Fluck die Praxisschließung vor, informierte er dieser Tage seine Patienten mit einem Aushang: „Bei Fragen wenden Sie sich bitte an Ihre politischen Vertreter“, war auf diesem zu lesen.

Grenzach-Wyhlens Bürgermeister Tobias Benz erklärte, dass man als Kommune zwar nicht zuständig sei, er hielt mit seiner Kritik am Vorgehen der Kasse aber nicht hinter dem Berg. Die Prüfstelle schaue nicht, was dahinter steckt, verwies er auf die Patientenstruktur und zwei Pflegeheime am Ort. „Dabei müssen wir doch froh über jeden Hausarzt sein“, so Benz weiter. Es könne nicht sein, dass engagierte Mediziner für ihr Handeln bestraft würden. Und: Vor dem Hintergrund der Berechnung des Versorgungsgrades meinte Benz, dass dieser sich nur auf dem Papier als ausreichend darstelle. „Die Realität schaut indes ganz anders aus. Mir wird ganz bange angesichts der demografischen Entwicklung.“ Kurzum: Es müsse sich dringend etwas ändern.

Nachwuchsoffensive

Was muss getan werden, um die Versorgungslage zu entschärfen? In Wyhlen hat man ein Ärztehaus vorgesehen, geplanter Spatenstich ist am 21. Januar. Auch leiste der Landkreis im Rahmen der Gesundheitskonferenz einen wichtigen Beitrag, lobte Grenzach-Wyhlens Bürgermeister. Das bestätigt auch Lenz. „Der Kreis hat einiges auf den Weg gebracht.“

So wurde in der Vergangenheit die Nachwuchsoffensive Hausärzte gestartet mit der Einrichtung einer Kontaktstelle als Ansprechpartner für Medizinstudenten, angehende Hausärzte sowie niedergelassenen Allgemeinmedizinern. Auch wurde die Zusammenarbeit mit den Kliniken im Landkreis, der Verbundweiterbildung Freiburg, der dortigen Uniklinik und ärztlichen Netzwerken intensiviert. Weiter wurde die Hausarztausbildung durch die Einrichtung einer „Rotationsstelle Allgemeinmedizin“ gefördert.

Beitrag der Kommunen

Wichtig sei es zudem, die Attraktivität der Region zu kommunizieren, war von Lenz und Hugenschmidt zu hören. Immerhin habe sich der Ruf des Hausarztes an den Hochschulen bereits verbessert. Nicht selten staunten Nachwuchsmediziner über die Vielfältigkeit des Hausarztberufs, sagte Hugenschmidt. Er und Lenz sehen die Politik in Land und Bund gefordert. So müsste die Zahl der Studienplätze erhöht und auch finanzielle Aspekte berücksichtigt werden. Darüber hinaus müssten die Regressforderungen auf den Prüfstand gestellt werden.

Wie Lenz meinte, könnten auch die Kommunen einen Beitrag leisten, verwies er auf bezahlbaren Wohnraum für Praxen und ausreichend Parkplätze. Dass es bald auf Initiative des heimischen CDU-Bundestagsabgeordneten Armin Schuster einen runden Tisch zum Thema der hausärztlichen Versorgung geben soll, begrüßten Lenz und Hugenschmidt. Das Thema müsse ganz nach oben transportiert werden.

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