Kreis Lörrach „Wir ermutigen, nicht aufzugeben“

Die Oberbadische
Stress am Arbeitsplatz oder im Privatleben führt immer häufiger zu psychischen Erkrankungen. Eine wichtige Anlaufstelle im Landkreis Lörrach ist dann der Sozialpsychiatrische Dienst. Foto: Archiv Foto: Die Oberbadische

Interview: Sozialpsychiatrischer Dienst feiert 30-jähriges Bestehen / Hilfebedarf ist deutlich gestiegen

Der Sozialpsychiatrische Dienst im Landkreis Lörrach wurde vor 30 Jahren gegründet und ist eine wichtige Anlaufstelle für psychisch erkrankte Menschen und deren Angehörige. Unser Redakteur Michael Werndorff sprach mit Jörg Breiholz, Fachbereichsleiter bei der Diakonie, über die Einrichtung und zukünftige Herausforderungen.

Frage: Herr Breiholz, was hat der Sozialpsychiatrische Dienst im Landkreis Lörrach seit Bestehen zum Ausbau der psychiatrischen Versorgung beigetragen?

Als der Dienst 1988 mit vier Mitarbeitern von Caritas und Diakonie seinen Dienst startete, ging es zunächst darum, eine Anlaufstelle für die ambulante Versorgung von psychisch erkrankten Menschen zu etablieren. Für alle Mitwirkenden war schon damals klar, die klinische und ambulante Versorgung im heimischen Kreis voranzutreiben. Konkret ging es um betreutes Wohnen, Tagesstätten und eine Werkstatt. Hier war der Dienst mit seinen beiden Trägern, Diakonie und Caritas, politisch aktiv, damit die Angebote eingerichtet werden. Der Sozialpsychiatrische Dienst war immer der Dreh- und Angelpunkt, der den Bedarf aufgezeigt hat. Und das hat die Politik auch erkannt.

Frage: Was waren die wichtigen Etappen?

Im ambulanten Ausbau waren die wichtigen Stationen die Gründung der Werkstatt der Lebenshilfe für psychisch Kranke im Jahr 1992, die Tagesstätte Haus Sonnenschein folgte vier Jahre später, und vor zirka 15 Jahren kam die Tagesklinik hinzu. Dem folgte die psychiatrische Abteilung am Krankenhaus Schopfheim. Einen weiteren Meilenstein bildet das Angebot des ambulant betreuten Wohnens. Beide Träger haben im Laufe der Jahre Wohngemeinschaften geschaffen.

Frage: An wen richtet sich das Angebot des sozialpsychiatrischen Diensts?

Das Angebot ist für Menschen, die chronisch psychisch erkrankt sind, zum Beispiel über Jahre hinweg an einer Depression oder einer Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis leiden, direkt aus einer Klinik kommen und regelmäßig psychiatrischer Hilfe in all ihren Lebensbereichen bedürfen. Wenn es um Existenzsicherung, Tagestruktur, Wohnen und Beschäftigung geht, leisten wir Hilfe.

Frage: Erkennen Sie einen steigenden Hilfebedarf?

In der Tat. Während wir 1989 zwischen 250 und 300 Fälle betreuten, ist die Zahl der Betroffenen in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. 2017 zählten wir 894 betreute Menschen. Und das bei einem Personalschlüssel, der seit zwei Jahrzehnten unverändert ist.

Frage: Sehen Sie seitens der Politik Handlungsbedarf?

Wir haben für beide Träger zusammen viereinhalb Personalstellen. Wegen der steigenden Fallzahlen können wir nicht mehr das gewährleisten, was wir gerne hätten, nämlich ein niederschwelliges Angebot mit mehr Begleitung und Unterstützung, zum Beispiel bei Behördengängen. Das ist schwieriger geworden. Die Kommune weiß übrigens um den Personalmehrbedarf, und wir sind deswegen immer wieder im Gespräch. Durch das Psychiatriegesetz sind weitere Aufgaben, unter anderem in der Vorsorge und Prävention, hinzugekommen, die wir stemmen müssen. Auch weil wir bei der Vermittlung an weitere Stellen ein Dreh- und Angelpunkt sind, bedarf es mehr Personals, um schnell reagieren zu können.

Frage: Sie sagten eben, der Bedarf zeige eine steigende Tendenz. Warum ist das der Fall?

Hier kann ich zwei wichtige Faktoren nennen. Zum einen ist das Angebot des Sozialpsychiatrischen Diensts in der Bevölkerung durch die Arbeit im Rahmen des Netzwerks bekannter geworden, zum anderen mag das an einer gesunkenen Hemmschwelle der Betroffenen liegen, uns aufzusuchen. Man wendet sich heutzutage viel eher an einen Fachdienst. Daten der Krankenkassen zeigen aber auch, dass zum Beispiel Depressionen auf dem Vormarsch sind. Dies zeigt auch unsere Statistik. Eine Steigerung der Persönlichkeitsstörungen verzeichnen wir ebenfalls. Die Ursachen hierfür liegen sicher auch in gesellschaftlichen Veränderungen.

Frage: Mit welchen Anliegen kommen die Menschen zu Ihnen?

Die Betroffenen haben wegen einer ausgebrochenen Erkrankung Existenzsorgen. Da geht es zum Beispiel um den Verlust des Arbeitsplatzes und der Wohnung, oder die Ehe steht auf dem Spiel, und der Freundeskreis bricht weg. Erschwerend kommen bisweilen die Folgen und Nebenwirkungen der medikamentösen Therapie hinzu. Kurzum: Das gesamte Leben ist eingeschränkt, sodass wir nach den Ressourcen der Betroffenen schauen und Hilfesuchende motivieren. Wir ermutigen sie, nicht aufzugeben und geben ihnen Hoffnung, wieder auf die Füße zu kommen.

Frage: Sie haben bereits den Personalschlüssel genannt, was sind weitere aktuelle Herausforderungen bei Ihrer Arbeit?

Herausforderungen sind weitere psychiatrische Entwicklungen, zum Beispiel im Rahmen des Bundesteilhabegesetzes. Wie wird das Gesetz umgesetzt, und wie werden wir davon betroffen sein, sind Fragen, die im Raum stehen. Dann gibt es neue, in anderen Bundesländern bereits umgesetzte Konzepte wie „Home Treatment“. Dabei geht es um die soziale und medizinische Behandlung psychisch erkrankter Menschen in den heimischen vier Wänden und darum, wie unser Dienst darin eingebunden sein wird. Prävention ist auch ein wichtiger Bereich.

Frage: Wird sich der Sozialpsychiatrische Dienst mit seinem Angebot in Zukunft deutlich verändern?

Wir werden es zukünftig auf jeden Fall mit komplexeren Lebenssituationen von Menschen zu tun haben. Dabei rückt zum Beispiel das Thema Wohnungsnot noch mehr in den Fokus. Hier gilt es rechtzeitig einzugreifen, um den Verlust der Wohnung zu verhindern. Damit das aber gelingen kann, ist es mit dem aktuellen Personalschlüssel nicht getan.

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