Was singen sie in der Zwischenzeit als Abwechslung zu Wagner?
Ach, vieles: Passagen aus der Johannes- oder der Matthäus-Passion von Bach, Schubert-Lieder, aber auch mal eine Arie aus einer Operette der 1930er-Jahre – einfach, damit ich merke, dass meine Stimme geschmeidig bleibt. Um dies zu erreichen, vermeide ich auch gewisse Dinge, etwa nach den Proben noch viel zu reden, oder die Pausen in der Kantine zu verbringen. Andere können das (lacht).
Was sind die besonderen Herausforderungen einer Wagner-Oper?
Für einen Charaktertenor, was mein Fach ist, zählt Mime zu den schwierigsten und größten Partien. In den Opern von Wagner müssen die Protagonisten der Hauptpartien über eine stimmlich wie körperlich gute Kondition verfügen und in der Lage sein, sich Kraft und Energie gut einzuteilen. Angenehm bei Wagner ist, dass man in der Regel vom Orchester nicht gedoppelt wird, wie zum Beispiel öfter bei Verdi. Als Mime habe ich selten eine längere Melodie zu singen, vieles ist rezitativisch oder deklamatorisch. Das kommt meinem Singen sehr entgegen. Sich die Tonfolgen zu merken, ist da schon schwieriger.
...und die Herausforderungen Ihrer Partie im Speziellen, der des Mime?
Dass sie sehr viel Text hat, in ungewöhnlicher Sprache, mit unendlich vielen Alliterationen, beispielsweise „was ich erschwang mit schwerer Müh, soll mir nicht schwinden.“ Das ist typisch für einen Charaktertenor bei Wagner.
Wo nimmt man die Kraft her, sich immer wieder in neue Rollen einzuarbeiten?
Weil das doch der ganze Spaß ist! Wo sonst kann ich meine dunklen Triebe ausleben? Wo so ein intrigantes Ekelpaket sein wie im „Siegfried“? Die positive Wirkung des Singens wird überhaupt unterschätzt. Warum meinen Sie, dass auf Schalke schon zwei Stunden vor Spielbeginn gesungen wird? Singen setzt Glückshormone frei. Man geht danach ganz zufrieden und glücklich nach Hause. Man hat sich gespürt. Dennoch: Als Beruf kann man das nur machen, wenn man morgens aufsteht und Lust hat zu singen. Sich singend auszudrücken, ist ein großes Glück für den, der ohne das Singen nicht sein kann.
Sie waren erst in Gelsenkirchen engagiert und dann lange am Theater Basel. Wer hat sie am meisten geprägt?
Es gibt Regisseure, die ich in diesem Sinn als meine „Fixsterne“ betrachte. Dazu gehört Herbert Wernicke, als gelernter Bühnenbildner ein wahrer Magier der Bühne! Christoph Marthaler, dem es wichtig ist, dass seine Figuren immer noch ein Geheimnis bewahren und nie gänzlich erklärbar sind. Der dritte im Bunde ist Calixto Bieito. Er lässt mich Dinge in mir erspüren und ausprobieren, von denen ich nicht wusste, dass sie in mir stecken.
Worauf freuen Sie sich?
Wenn ich die Periode des „Siegfried“ so abschließen kann, dass ich zufrieden bin und dass ich – toi, toi, toi – fit bleibe, die Nerven im Zaum halten und wirklich zeigen kann, was in all den Wochen erarbeitet wurde. Das würde mich wahnsinnig freuen.
Nach über 40 Jahren ist unter der Intendanz von Benedikt von Peter und in der Co-Regie von Caterina Cianfarini „Der Ring des Nibelungen“ im Theater Basel zu sehen. Am 28. September wird die Premiere von „Siegfried“ und am 6. Oktober mit der „Götterdämmerung“ das Finale der Tetralogie gezeigt. Weitere Termine: www.theater-basel.ch
Zur Person
Karl-Heinz Brandt
(66) ist als Kind im Kinderchor und über den Kantor in seinem Heimatdorf Eschweiler bei Aachen zum Singen gekommen. Als Knabensopran sang er im Kirchenchor mit. 1976 wurde er als Jungstudent im Fach Gesang aufgenommen. Die künstlerische Reifeprüfung legte er 1984 in Münster ab.
Nach Stationen
in Aachen und Gelsenkirchen kam er 1998 nach Basel. Dort war er zuletzt in Wiederaufnahmen des „Freischütz“ und „Abteilung Leben“ sowie in der Neuproduktion von Monteverdis „L’incoronazione di Poppea“ zu sehen.