Kultur in Schopfheim Hochgestimmt und bitter vom Leben enttäuscht

Jürgen Scharf
Dramatisch und wortbetont gestaltete Daniel Johannsen, begleitet von Walter Bass, die „Winterreise“. Foto: Jürgen Scharf

Die „Winterreise“ im Sommer erklang als drittes Saisonkonzert bei Klassik im Krafft-Areal. Der Wiener Tenor Daniel Johannsen gab nicht zum ersten Mal bei einem Liederabend im Fahrnauer Konzertraum eine überzeugende Visitenkarte seiner Gesangskunst ab.

Jung, hochgestimmt, ungestüm, hemmungslos sich den Stimmungen hingebend, emotional, bitter vom Leben enttäuscht: So begegnet den Zuhörern der jugendliche Wanderer, der Fremde, in Schuberts berühmter „Winterreise“ nach Gedichten von Wilhelm Müller, die man nun in Fahrnau – etwas eigenartig – an einem der letzten schönen Sommertage erleben konnte.

Eine Paraderolle

Es ist eine Paraderolle für einen Liedsänger wie den Tenor Daniel Johannsen, der diesen unsteten, verzweifelten, zerrissenen, des Lebens überdrüssigen, so sensiblen Jüngling als einen unglücklichen jungen Helden verkörpert. Der Sänger, der zum wiederholten Mal bei Klassik im Krafft-Areal auftrat, bewegt sich in dieser wechselvollen, glühend intensiven Gefühlswelt des Protagonisten, der ohne Ziel und Hoffnung durch die Welt wandert: ein Liederzyklus gleich einem musikalischen Entwicklungsroman.

Dieses Tagebuch des von heißem Schmerzgefühl durchpulsten jungen Helden blättert Johannsen vor dem geistigen Auge der Zuhörer mustergültig auf. Selten erlebt man bei diesem Kreis schauriger Lieder ein solches Wechselbad von Betrübtheit, Seelenqual bis hin zu düsterer Totenstimmung so als Exzentrik des romantischen Weltgefühls wie in Johannsens Darstellung. Manchmal meint man, mit ihm eine nächtliche Traumwelt zu durchschreiten.

Aber das Ganze hat bei diesem Liedgestalter eine beeindruckende stimmliche Frische, Jugendlichkeit und technisch-gesangliche Mühelosigkeit, die es ihm ermöglicht, den Text und die Musik geradezu (ton-)malerisch auszuleuchten. Eine ganz eigene, sinnliche und ungemein lebendig gestaltete „Winterreise“ von Johannsen, intelligent im dramaturgischen Konzept und genau hinhorchend bis in die Wortgesten hinein.

Es geht unter die Haut

Manche stark betonten Worte lassen geradezu erschreckt aufhorchen, das herausgeschrieene „Des ganzen Winters Eis!“, genauso wie die „heißen Tränen“. Dass der Sänger das dahinschmelzende „Herz“ betont, war ebenso zu erwarten, wie dass er das Wort „Schweigen“ geradezu wortwörtlich nimmt. Wie er die Stelle „Dass mir’s vor meiner Jugend graut“ deklamiert, geht unter die Haut. Und beim lautmalerischen „Krähe“ sieht man förmlich das Tier vor sich.

Akzentuiert und dramatisch

Johannsen, gebürtiger Wiener und Dietrich Fischer-Dieskau-Schüler, singt also sehr akzentuiert, dramatisch, ja theatralisch, aber nie manieristisch, nicht gekünstelt in der Phrasierung, auch wenn er einzelne Worte stark betont, stellt er sie doch in den Dienst der Text-Musik-Aussage. Er deklamiert durchgängig wortverständlich und plastisch, legt den Fokus ganz auf die Textvermittlung. (Manche kleinen stimmlichen Übertreibungen seien ihm großzügig verziehen). Die letzten Abschiedslieder kommen bei ihm auch nicht larmoyant daher, dazu hat Johannsens Tenor eine zu positive, helle, lebenszugewandte Ausstrahlung. An diesem Seelendrama hatte auch der ebenbürtige Klavierbegleiter seinen Anteil, bis hin zu den klangvollen Staccati (Tränentropfen). Walter Bass, ein Landsmann des Sängers, greift das dramatische Konzept des Gesangsinterpreten auf, assistiert höchst aufmerksam und gleichermaßen perfekt. Das war also keine Lied-Konfektion, was das erfreulich zahlreiche Publikum in der Fahrnauer Tonhalle mit Standing Ovations belohnt, sondern eine bis zum abschließenden „Leiermann“ höchst individuelle und bewegende „Winterreise“, die den Schubertschen Tonfall ebenso traf wie das lyrische Ich.

Das letzte Stiftungskonzert dieses Jahres im Fahrnauer Krafft-Areal ist am 14. Dezember mit dem Kammerorchester Pforzheim und Andrea Kauten (Klavier).

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