Kultur Magier an der Klarinette

Tonio Paßlick
Das Giora Feidman-Quartett bei „Revolution of Love“ mit (von rechts) Giora Feidman, German Prentki, Vytis Sakuras und Piotr Niewiadomski. Foto: Tonio Paßlick

Der große Giora Feidman spielte in Märkt. Sehnsüchtige Töne umarmen das Publikum.

Auf dem Parkplatz vor der Altrhein-Halle im Weiler Stadtteil Märkt viele Schweizer Autokennzeichen, im Saal Fans aus der ganzen Region, aber dennoch nicht mehr als hundert Besucher: Das Konzert des „King of Klezmer“ Giora Feidman ist Teil einer großen Tournee, die den 88-Jährigen vor allem in deutschsprachige Städte bringt und möglichst wie im vergangenen Jahr über 50 000 langjährige Fans des Magiers an der Klarinette beglücken soll.

Virtuose Mitspieler

Kaum sind seine drei virtuosen Mitspieler vorgestellt, der litauische Pianist Vytis Šakūras, der polnische Geiger Piotr Niewiadomski und der uruguayische Cellist Germán Prentki, da erklingen die sehnsüchtigen Klänge der Klarinette und der Maestro betritt die Bühne, setzt seine Buffet-Crampon-Klarinette mit dem Kristallmundstück ab und dirigiert das Publikum, das sich mit „Shalom Chaverim“ umarmt fühlt von dem unerschütterlichen Familiengefühl, das Feidman mit jeder Geste und jedem Wort ausstrahlt.

Mitsingen erzeugt Gemeinschaft, seine Botschaft „von Seele zu Seele“, die er in die Klarinette singt, mal jauchzend leicht, mal schwer und klagend, berührt die Hoffnungen seiner Zuhörer.

Von Seele zu Seele

Die symbolischen Gesten erreichen ihren Höhepunkt, wenn er seinen neuen deutschen Ausweis in die Luft reckt. Nach über 75 Jahren auf der Bühne und dem Gefühl, vor allem in Deutschland geliebt zu werden von seinen Fans, wollte er auch die deutsche Staatsbürgerschaft annehmen. Oder wenn er seinen Manager und Komponisten, den Iraner Majid Montazer auf die Bühne holt, ihn umarmt und mit ansteckender Empathie die Friedensbotschaft dieses Händedrucks zwischen einem Juden und einem Muslim personifiziert.

Mit deutschem Ausweis

Die Titel seines Programms und seine spontan wirkende Moderation ist gleichzeitig ein Appell an die sensible Wahrnehmung von Begriffen wie Freundschaft, Liebe oder Gebet. Mehr als Worthülsen seien diese Begriffe. Er selber füllt sie mit Musik, tupft hauchzarte Melodien über das schmachtend leise Cello, innig wie ein Gebet und zugleich voller tänzerischer Leidenschaft, wenn sich aus schlichten Klangfolgen komplexe Klezmer-Rhythmen entwickeln.

Die traditionelle Musik der osteuropäischen Juden wanderte im 19. und 20. Jahrhundert mit den jüdischen Flüchtlingen aus Angst vor Verfolgungen in die ganze Welt. Als die jiddischen Musiker auf Hochzeiten und Trauerfeiern spielten, wurden die Gefühle der Menschen voller Wärme und Leidenschaft bewahrt – vor allem dank der Improvisationsmöglichkeiten der Klarinette.

Feidmans Eltern waren zum Beispiel aus Bessarabien nach Argentinien ausgewandert. Giora wurde 1936 in Buenos Aires geboren. Sein Vater führte den kleinen Giora als Klezmer-Musiker in die jüdische Gemeinde ein. Zehn Jahre nach der Staatsgründung Israels zog er nach Israel. In seine „wahre Heimat“, wie er später schrieb.

Der Wunsch nach Frieden

Nach 18 Jahren als Bassklarinettist im Israel Philharmonic Orchestra verlegte er sich auf den Klezmer, weil eine Augenkrankheit das Notenlesen erschwerte. Zadek entdeckte ihn 1984 für das Musical „Ghetto“ an der Volksbühne, in den Neunzigerjahren war er im Film „Schindlers Liste“ – und sehr berührend im Film „Jenseits der Stille“ und bei der Neuverfilmung von „Comedian Harmonists“ zu hören. Alle Filme waren auch Themen seiner Biografie und zugleich Anliegen der deutschen Gesellschaft. 2003 gewann er den Klassik-Echo.

Giora Feidman verkörpert die ausgestreckte Hand der Versöhnung und des unstillbaren Verlangens nach Frieden und Verständigung. Seine Titel auf den letzten Alben wie „Revolution of Love“ begeisterten auch in Märkt vor diesem Hintergrund. „The same Way to God“, „Happiness“ oder „Friendship“ sind allesamt Kompositionen seines Freundes Majid Montazer und Metaphern dieser musikalischen Botschaft, die der 88-Jährige trotz schwerer Erkrankung vor zwei Jahren mit erstaunlichem Temperamt vorlebt.

Publikum singt mit

Als Zugabe für die Standing Ovations gibt es die angedeutete Melodie von „Hänschen klein“, die unmittelbar in „Dos kelbl“ überwechselt, und das Publikum dankbar und beseelt „Donaj, donaj, donaj“ mitsingen lässt. Beides weit mehr als eine gemeinsame Erinnerung, sondern Inbegriffe des Willens, sich aktiv zu entwickeln und Freiheit zu entdecken. Die Schlange vor dem Signiertisch war entsprechend lang.

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