Kultur Wir sind nicht brav

Gabriele Hauger
Julia Gámez Martín (rechts) über ihren Auftritt mit Ariane Müller Foto: Dieter Duevelmeyer

Interview: Julia Gámez Martín ist die Hälfte des Musik-Comedy-Duos Suchtpotenzial, das im Burghof auftritt. Mit ihrer Kollegin Ariane Müller will sie Wellness mit Power bieten. Die Themen? Die reichen von Botox, über die AfD bis zur nervigen Sprach-Whatsapp.

Ein gut gelauntes „Guten Morgen“ tönt aus dem Telefon. Das Interview scheint eine willkommene Ablenkung von der Hausarbeit in ihrer Berliner Wohnung. Julia Gámez Martin ist gerade beim Wäscheaufhängen, was eben so ansteht, wenn man nicht auf der Bühne ist.

Sie nennen sich Suchtpotenzial. Was macht Ihre Zuschauer süchtig?

Wir haben einige Fans, die immer wieder zu uns kommen. Und die sagen, dass unsere Shows immer wieder anders sind. Die Kombination aus Musik und Comedy, wie wir es machen, ist etwas besonderes. Wir sind nicht brav und glatt, sondern sicher etwas anders als das, was man sonst so im Privaten Fernsehen an Comedy sieht.

Vor zehn Jahren haben Sie sich am Theater Ulm gefunden. Wieso matchte es zwischen Ihnen?

Bei Theaterproben geht es ja sehr seriös zu, man muss höchst konzentriert sein. Ariane und ich haben uns da auf der Humorebene sehr schnell gefunden. Wir schaffen es beide schlecht, ernst zu bleiben, sondern setzen immer noch eins drauf. Wir schaukeln uns gegenseitig hoch. Ich vermute, wenn wir zusammen in der Schule gewesen wären, hätte man uns auseinandergesetzt.

Sie sind Halbspanierin, begeistern Ihr Publikum mit immenser Energie, mitreißender Bühnenpräsenz, enormer Wandlungsfähigkeit und röhrender Stimme samt Spagateinlage. Sind das die südländischen Wurzeln?

Bestimmt. Meine spanische Familie ist ungefähr 50 Dezibel lauter als meine Deutsche. Da muss man sich akustisch schon behaupten können, um beim Familien-Abendessen gehört zu werden!

Wieso gefällt Ihnen das Arbeiten im Duo? Sie haben ja Energie genug, allein die Bühne zu beherrschen.

Wenn man es kitschig formuliert: Das Glück ist doch schöner, wenn man es teilt. Wir sind beide ungern solo auf der Bühne. Ich arbeite sehr gerne im Team. Auch alles am Tourleben ist zu zweit toller: Man muss die schlechten Abende nicht allein durchstehen, und die guten kann man gemeinsam feiern und genießen. Die Chemie zwischen uns stimmt. Wir können wunderbar gegenseitige Positionen einnehmen und uns die Bälle zuspielen. Das ginge solo nicht. Ich bin froh, dass wir uns getroffen haben.

Die Mischung von Songs mit Comedy: Was gefällt Ihnen gerade an diesem Stilmittel? Und was ermöglicht es vielleicht über das reine Wortkabarett hinaus?

Musik kommt zum Zug, wenn Sprache nicht mehr ausreicht. Wenn die Emotionen überkochen. Tanz ist dann noch die Steigerung – das haben wir in Teilen ja auch mit im Programm. Was wir machen, ist tatsächlich ziemlich besonders. Wir haben eine Lücke gefunden, gerade auch, weil wir ein weibliches Musikcomedy-Duo sind. Wir sind beide Musical-Fans, lieben diese Kombination, und reines Sprechtheater ist uns oft zu eingleisig. Außerdem wollen wir selbst bestimmen, was wir machen, ohne Regisseur. Wir agieren autark, schreiben alle Texte und Songs selbst. Das war ein Befreiungsschlag.

Wo kommen die Themen und Ideen her?

Das kann abends passieren, wenn man nicht schlafen kann; oder unterwegs in der Bahn. Oder in bestimmten Situationen. Da kommt eine Blitzidee, eine Melodie, ein Refrain – und den notiert sich jede von uns. Ich schreibe meist den groben Text, und Ariane komponiert.

Ihre Themenbandbreite ist groß: Von AfD und Kirche bis zu typischen Frauenthemen.

Tja, was sind Frauenthemen? Wir prangern auf jeden Fall Missstände an und beschäftigen uns mit Dingen, die uns im Alltag betreffen: ob das ungleiche Bezahlung ist, die ungerechte Verteilung von Care-Arbeit oder sexuelle Belästigung im Alltag. Aber auch ganz alberne alltägliche Dinge, wo jeder einen Anknüpfungspunkt findet. Wir legen uns gar nicht fest. „Bällebad forever“ ist eigentlich sehr wenig politisch geplant gewesen. Am Ende entwickeln sich dann doch oft Szenen mit Sozialkritik. Da geht es um Optimierungsdruck, um Live-Coaches, um Fallstricke. Wir wollen aber auf keinen Fall den erhobenen Zeigefinger zeigen, sondern nehmen uns selbst auf den Arm. Wir stecken in den meisten Rollen selbst mit drin: von der Vegetarierin über die Yoga-Tante bis zum Öko. Wir wollen den Leuten zwei Stunden Freizeit fürs Gehirn geben. Vielleicht wird man auch an soziale Probleme erinnert, kann aber im nächsten Song schon wieder lauthals lachen, wenn es um Nutella geht: mit oder ohne Butter?

Sie blicken in Ihrem Programm mitunter irritiert auf die junge Generation, verklären ironisch die Vergangenheit. Hand aufs Herz: War früher nicht doch vieles besser?

Wir sind ja so eine Zwischengeneration. Natürlich ist man mitunter irritiert, wenn man Jugendliche sieht, wie die so ticken. Wir versuchen da aber mit Neugier heranzugehen, nicht stehen zu bleiben, etwas mitzunehmen. Wir wollen doch keine mies gelaunten Alten werden, die die Jugend verteufeln. Vor allem sollte man die eigene Vergangenheit nicht zu sehr verklären.

Worauf können sich die Lörracher im Burghof freuen?

Bei all den belastenden Krisen, die es aktuell da draußen gibt, wollen wir die Zuschauer für zwei Stunden in ein mentales Bällebad schicken, in dem man mal alles draußen lassen und sehr albern sein kann. Es geht um Krafttiere, um das Mittelalter, um Selbstoptimierung, um falsche Versprechungen von Influencern und darum, dass man zu alt für so manchen Scheiß ist. Unser Appell: Öfter das Handy auslassen – und besser ins Theater gehen.

Suchtpotenzial: Freitag, 24. Januar, 20 Uhr, Burghof Lörrach

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