Lörrach Aufmärsche, Folter und Widerständler

Hubert Bernnat

Erinnerungskultur: Wie Lörrach an einzelnen Standorten vom Nationalsozialismus geprägt wurde.

Lörrach - Der Historiker Hubert Bernnat hat zur Vorbereitung auf den heutigen Workshop „Erinnerungskultur“ (siehe Info am Ende) als Diskussionsgrundlage Vorschläge für einen beschilderten Rundgang „Schauplätze des Nationalsozialismus“ ausgearbeitet. Informationen zur Historie der einzelnen Standorte  sind im Folgenden zusammengefasst.

 

1. Bezirksgefängnis
1865 wurde das Bezirksgefängnis neben dem Amtsgericht erbaut, dafür wurde 1867 der alte Gefängnisturm vor der Ecke Turm-/Grabenstraße abgerissen. In der Nazi-Zeit war das Bezirksgefängnis zudem Auffang- und Durchgangsstation für viele Menschen, die an der Grenze aufgegriffen wurden. Rund 10 000 Menschen wurden hier inhaftiert und anschließend in Arbeits- und Konzentrationslager überführt.

 

Das Gefängnis war letzter nachweislicher Aufenthaltsort des Radweltmeisters von 1932 Albert Richter; er war im Zug in Weil verhaftet worden und am 2. Januar 1940 in seiner Zelle ermordet worden. Zudem wurden circa 40 Nazi-Gegner aus dem Landkreis bei der reichsweiten „Aktion Gewitter“ von der Gestapo nach dem fehlgeschlagenen Attentat auf Hitler verhaftet und ins Bezirksgefängnis gebracht. Unter ihnen war unter anderem Arend Braye (SPD, Gewerkschafter, später Oberbürgermeister); einige wurden bald wieder frei gelassen, andere kamen ins KZ Natzweiler.

 

Widerstandsaktionen mit Flugblättern gab es am Bahnübergang Wallbrunnstraße 1933 durch Emil Huber und andere.

 

2. Bahnunterführung
Hebelpark/Belchenstraße: Die Unterführung wurde im Zuge des Neubaus des Bahnhofs um 1910 herum gebaut. In der Unterführung wurde die 25 Jahre alte Margharita Chretien am 23. April 1945 durch den Gestapo-Chef Hans Trops ermordet, sie war aus politischen Gründen im Bezirksgefängnis inhaftiert.

 

Nnur einen Tag zuvor wurden in Stetten von Trops in der Nacht drei polnische Zwangsarbeiter erschossen. Für sie gibt es Gräber auf dem Hauptfriedhof. Die Taten geschahen kurz vor dem Einmarsch der Franzosen am 24. April 1945. In einem kurzen Gefecht wurden noch zehn Volkssturmmänner und zwei französische Soldaten getötet. Danach konnte die Stadt kampflos besetzt werden.

 

Lörrach war bis auf einen größeren Angriff auf das Industriegelände beim Bahnhof Brombach im Februar 1945 mit über 40 Toten und rund 100 Verletzten weitgehend von Kriegszerstörungen verschont geblieben.

 

3. Hebeldenkmal
Der Hebelpark war 1875 entstanden. Die Hebelschule wurde 1872 fertig gestellt. Das Hebeldenkmal wurde 1910 zum 150. Geburtstag durch den Großherzog Friedrich II. eingeweiht, und wurde hauptsächlich durch Spenden der Bevölkerung finanziert. Das Denkmal sollte 1942 im Krieg, wie sämtliche Kirchenglocken auch, für Kriegsgerät eingeschmolzen werden. Dies sorgte im Markgräflerland für Unmut.

 

Dabei hatten die Nazis versucht, Hebel für sich zu vereinnahmen. 1935 stiftete das badische Kultusministerium den Hebelpreis, der 1936 erstmalig an Hermann Burte verliehen wurde. In der Werkstatt von Gipsermeister Indlekofer (heute noch jenseits der Bahnlinie in der Schützenstaße) wurde vorsorglich ein Gipsabdruck gemacht, diesen gibt es heute noch. Das doch nicht eingeschmolzene Hebeldenkmal wurde 1946 unter großer Anteilnahme der Bevölkerung feierlich wieder aufgestellt.

 

4. Ehemaliges Rathaus Villa Favre
Die ehemalige Fabrikantenvilla, 1864 erbaut, diente seit 1927 als Hauptsitz der Stadtverwaltung. Sie wurde für das heutige Rathaus 1972 abgerissen. Im Juni 1933 wurde der Ortsgruppenleiter der NSDAP, Reinhard Boos (1897 bis 1979), zum neuen Bürgermeister durch den gleichgeschalteten Bürgerausschuss und Absetzung des parteilosen Dr. Heinrich Graser.

 

Die Eingemeindungen von Steinen bis Weil scheitern am Widerstand der örtlichen Nazis, lediglich Tüllingen und Tumringen wurden 1935 eingemeindet.

 

5. Bonifatiuskirche
1867 wurde sie als erste katholische Kirche im mehrheitlich protestantischen Lörrach eingeweiht. Adalbert Haller (1875 bis 1944) war von 1909 bis 1944 Pfarrer in St. Bonifatius und erklärter Nazi-Gegner, auch in seinen Predigten. Er war beteiligt am Aufbau des St. Elisabethen-Krankenhauses (1927). Seine Predigten wurden von der Gestapo bespitzelt.

 

Nazi-Gegner war wohl auch der Jugendpfarrer Wunsch. Der Nachfolger von Haller, Pfarrer Weber, kümmerte sich sogar um die Betreuung politischer Gefangener. Auch Pfarrer Josef Hermann (1933 bis 1942) von der St. Fridolinkirche geriet mit der Gestapo in Konflikt. Die beiden katholischen Pfarreien hatten auch guten Kontakt zu Joseph Pfeffer (Zentrum). Der Rechnungsrat im Rathaus wurde vom NSDAP-Bürgermeister entlassen und verfolgt. Pfeffer wurde am 2. Mai 1945 von den Franzosen als neuer Bürgermeister eingesetzt.

 

6. Ehemaliges Gewerkschaftshaus, Senigallia-Platz
Das Haus gehörte seit den 1920er Jahren den sozialdemokratischen Gewerkschaften, am 2. Mai 1933 wurde es von den Nazis besetzt, danach war bis 1938 die Parteileitung der NSDAP darin untergebracht. Führende Gewerkschafter wurden verhaftet. Nach 1945 fiel es wieder an die Gewerkschaften und wurde 1954 abgerissen, da der DGB ein neues Haus in der Haagener Straße errichtet hatte.

 

7. Ehemaliges Haus Labhard, Senser Platz
Das Haus war im Besitz von Direktor Labhardt von der Tuchfabrik und wurde 1966 abgebrochen. 1939 entstand hier der Sitz der Kreisverwaltung und der vier Ortsgruppen der NSDAP. Im Haus waren auch andere NSDAP-Organisationen untergebracht wie die NSV (Nationalsozialistische Volkswohlfahrt) und die DAF (Deutsche Arbeitsfront). Die NSDAP Lörrach hatte (zusammen mit Tüllingen und Tumringen mit rund 20 000 Einwohnern) bei Kriegsende fast 2000 Mitglieder. Kreisleiter der NSDAP war von 1932 bis 1938 Reinhard Boos, von 1938 bis 1942 Rudolf Allgeier, von 1942 bis 1945 Hugo Grüner.

 

Die Tumringer/Basler Straße wurde in Adolf-Hitler-Straße umbenannt. Weitere Umbenennungen waren die Fridolinschule in Adolf-Hitler-Schule, die Dammstraße in Albert-Leo-Schlageter-Straße und die Carl-Maria-von-Weber-Straße in Wilhelm-Gustloff-Straße.

 

8. Altes Krankenhaus
Das alte Krankenhaus wurde 1878 erbaut und 1953 für den Neubau des Kreiskrankenhauses abgerissen. Es gab dort in der NS-Zeit nachweislich 199 Zwangssterilisationen nach dem nationalsozialistischen Erbgesundheitsgesetz durch Chefarzt Dr. Carl Keller, der nach 1945 keinerlei Bewusstsein für das Unrecht zeigte und nur geringfügig bestraft wurde. 1965 wurde nach ihm „wegen seiner Verdienste für das Krankenhaus“ eine Straße am Hünerberg benannt.

 

Mindestens 40 Lörracher aus den Heimen in Herten, Wiechs und Emmendingen fielen zudem der Euthanasie in Grafeneck zum Opfer.

 

9. Neuer Marktplatz
Hier befand sich der Standort der ehemaligen Synagoge mit kleinem jüdischem Viertel. Im Gasthaus „Eintracht“ verkehrten die jüdischen Händler. Die Synagoge wurde am 10. November 1938 morgens nach der Reichspogromnacht zerstört. Danach wurde der Bereich zum neuen Marktplatz und Aufmarschgelände für Parteiveranstaltungen und in Platz der SA umbenannt. Es existierten zudem Pläne für den gewaltigen Ausbau des Platzes im Sinne der Nazi-Architektur.

 

Zudem war hier der Sammelplatz für die Deportation der noch in Lörrach lebenden circa 70 Juden am 20. Oktober 1940, zuerst auf Lastwagen nach Freiburg, dann in Güterwägen zusammen mit Juden aus ganz Baden ins unbesetzte Frankreich; die dortige von den Nazis abhängige Vichy-Regierung verbrachte die Menschen ins Lager Gurs am Fuß der Pyrenäen.

 

10. Herrenstraße 8
Ursprünglich befand sich hier das Gebäude der fürstlich geistlichen Verwaltung, danach von 1845 das erste Spital in Lörrach bis zum Neubau eines Krankenhauses 1878, danach war es ein Armenhaus, Obdachlosen- und Säuglingsheim. Seit dem Ersten Weltkrieg befand sich darin das Arbeitsamt und die Stadtbücherei. 1969 wurde es abgerissen für das Hochhaus am Marktplatz.

 

Zuvor war hier ab 1941 ein Kriegsgefangenenlager für Franzosen. Ein weiteres Lager für französische Kriegsgefangene lag in der Teichstraße, an der Schwarzwaldstraße gab es Lager für kriegsgefangene Russen. In der Behandlung wurden große Unterschiede gemacht zwischen „westlichen“ Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern und „östlichen“. Zwangsarbeiter waren auch in bäuerlichen Familien untergebracht. Vor allem zu den „östlichen“ Zwangsarbeitern war „menschlicher Kontakt“ verboten.

 

Bekannt ist der Fall des Polen Stanislaus Zasadas, der im Steinbruch in Brombach am 16. Oktober 1941 wegen der Liebe zu einer deutschen Frau hingerichtet wurde. Der Fall wurde von Rolf Hochhuth 1978 literarisch verarbeitet („Eine Liebe in Deutschland“) und 1983 vom polnischen Regisseur Andrzey Wajda verfilmt. Für ihn wurde ein Gedenkstein neben dem Brombacher Rathaus errichtet. Allein in Brombach waren während des Krieges 691 Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter untergebracht.

 

11. Hintere Villa Aichele

Diese wurde ebenso wie die vordere Villa 1861 von Fabrikanten erbaut. Die Villen wurden in der Nazi-Zeit von der Stadt erworben. Zuerst war die Gestapo im Bezirksamt in der Bahnhofstraße untergebracht, ab 1939 in der hinteren Villa Aichele. Die Villa wurde mit Sichtblenden aus Stahl umgeben. In den Kellern wurden nach dem Ende der Nazi-Diktatur Foltereinrichtungen gefunden. Die gesamten Akten wurden kurz vor Einmarsch der Franzosen verbrannt.

 

Chef der Gestapo im Zweiten Weltkrieg war Hans Trops. Sitz des Sicherheitsdienstes war das Eckhaus Schwarzwaldstraße. Noch am 24. April wurde der in Stetten arbeitende polnische Zwangsarbeiter Leo Kakala auf dem Gelände der hinteren Villa von Hans Trops erschossen. Neben der Villa steht heute ein nun verwitterter Gedenkstein für die Opfer der Gestapo.

 

12. Stadtkirche

1818 wurde die Kirche im Weinbrenner-Stil umgebaut. Schon im März 1934 wurden in Lörrach die evangelischen Jugendgruppen in die Hitlerjugend übernommen. Die Protestanten waren generell anfälliger für die NSDAP. Doch in Lörrach existierte eine Gruppe der Bekennenden Kirche.

 

1935 wurde Hans Katz Pfarrer an der Stadtkirche. Er predigte 1940 gegen die Euthanasie. Zusammen mit dem Lörracher Rechtsanwalt und Mitglied der Deutschen Demokratischen Partei Friedrich Vortisch hat er sich auch für Juden eingesetzt. Vortisch ist damit, wie auch die Anwaltsfamilie Schlosser, ein nicht so häufiges Beispiel für das liberale Bürgertum, das mutig seiner Überzeugung treu blieb.

 

13. Altes Rathaus

Hier war der Sitz des Wehrbereichskommandos.

Erinnerungskultur

Hubert Bernnat möchte sein Konzept als Vorschlag verstanden wissen, „der noch diskutiert werden muss“. Er betont, es sei „kein Gegenentwurf zu den Stolpersteinen“, beides lasse sich – wenn gewollt –  miteinander vereinbaren. Die Arbeitsgruppe „Erinnerungskultur“ trifft sich heute und diskutiert intern die Vorschläge. Schwerpunktthema wird „Lörrach im Nationalsozialismus“ sein.

 

Jürgen Scharser und Ulrich Tromm referieren über „Jüdisches Leben in Lörrach“. Außerdem wird Markus Hofmann die „Initiative Stolpersteine in Lörrach“ vorstellen, die sich am Mittwochabend erstmals getroffen hat.

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