Lörrach Beim Lesen ganze Welten erschaffen

Guido Neidinger
Sabine Dietrich leitet die Lörracher Stadtbibliothek. Foto: zVg

Welttag des Buches: Sabine Dietrich über Zukunft des Buchs und Leseverhalten junger Menschen.

Lörrach - Zum Welttag des Buches am heutigen 23. April sprach Guido Neidinger mit Sabine Dietrich, der Leiterin der Lörracher Stadtbibliothek.

Frau Dietrich, warum ist das Lesen immer noch wichtiger als Medien zu hören oder zu schauen?

Ich würde gar nicht sagen, dass Lesen wichtiger ist - aber es lässt der Fantasie am meisten Freiraum. Wer liest, kann in seiner Fantasie anhand des gelesenen Textes ganze Welten erschaffen. Natürlich gibt der Text Vorgaben, aber was wir daraus machen und welcher innere Film beim Lesen in jedem einzelnen entsteht, ist doch individuell. Und das ist etwas ganz Wunderbares. Nehmen Sie eine Literaturverfilmung, bei der Sie das Buch gelesen haben, bevor Sie den Film anschauten: Waren Sie nicht schon oft enttäuscht oder befremdet, weil Sie ganz andere innere Bilder zum Buch hatten als der Filmemacher? Genau das macht für mich die Faszination des Lesens aus: Ich tauche einerseits in eine andere Welt ein und komme gleichzeitig in Kontakt mit mir selbst. Das können Hörbücher und Filme nicht in diesem Ausmaß bieten – wobei beide wieder andere Vorzüge haben.

Hat sich das Leseverhalten junger Menschen geändert?

Das Buch hat in den letzten Jahren oder Jahrzehnten von vielen anderen Medien Konkurrenz bekommen und das macht sich auch im Leseverhalten junger Menschen bemerkbar. Bei den Drei- bis Fünfjährigen liegt das Lesen von Büchern und Comics laut aktuellen Studien über Mediennutzung direkt nach Fernsehen noch gleich auf mit Musik hören an zweiter Stelle. Je älter Kinder oder Jugendlichen werden, desto mehr Zeit verbringen sie mit Angeboten wie Facebook und Co, ihrem Smartphone oder dem Fernseher. Allerdings machen wir gerade in der Bibliothek die Erfahrung, dass viele Jugendliche und junge Erwachsene uns als Aufenthaltsort schätzen und sich oftmals über Stunden hinweg in unserem Haus aufhalten. Direkt vor meiner Bürotür sehe ich immer wieder Jungs im Teeniealter sitzen, die über Stunden hinweg lesen. Irgendwann kommen dann mal ein paar Freunde dazu und dann werden die Smartphones rausgeholt. Ich denke, diese Mischung aus allem – hier das klassische Buch und dort die digitalen Medien- bilden ganz gut die Realität vieler Jugendlicher ab.

Fällt es jungen Lesern schwerer an einem langen Buch zu bleiben und sich darauf zu konzentrieren als früher?

Ich glaube schon, dass auch bei jungen Menschen Reizüberflutung ein großes Thema ist und es ihnen vor diesem Hintergrund schwerer fällt sich zu konzentrieren. Wenn Kinder allerdings schon früh Bücher und Geschichten als eine Bereicherung erleben und als eine Möglichkeit abzutauchen und dadurch wieder Energie zu schöpfen, werden sie diesen Schatz auch in späteren Jahren nie ganz aus den Augen verlieren. Und da sind eindeutig wir Erwachsenen als Vorbilder gefragt. Aber auch Erwachsene sind zeitlich viel mehr eingespannt als früher, und da kommen Zeiten zum Vorlesen schon mal zu kurz. Deshalb ist es uns in der Stadtbibliothek auch so ein wichtiges Anliegen Eltern zum Vorlesen zu ermutigen. Dabei geht es gar nicht in erster Linie um Bildung: Wer seinem Kind vorliest, schenkt ihm vor allem Zeit, Zuwendung und gemeinsames Erleben.

Welche Altersgruppe leiht bei Ihnen was aus?

Wir sind ein Haus, das von allen - wirklich allen - Altersgruppen genutzt wird. Und das ist eine einzigartige und tolle Sache! Statistisch gesehen gehen die meisten Ausleihen auf die Altersgruppe der 36- bis 45jährigen, dicht gefolgt von 46- bis 55jährigen. Welche Altersgruppe was entleiht, können und dürfen wir statistisch allerdings nicht auswerten, da dies dem Datenschutz unterliegt.

Welche Zukunft sagen Sie dem gedruckten Buch voraus?

Das gedruckte Buch wird meiner Ansicht nach bleiben. Es wird in der Zukunft sicherlich seinen Platz mit vielen anderen Medienarten teilen müssen, aber im Gegenzug wird es an Wert gewinnen. Ein Buch teilt durch seine physische Präsenz ein Stück unseres Alltags: Es hat Eselsohren, Kaffeespritzer oder Wasserflecken von unserem letzten Urlaub und zwischen den Seiten findet sich vielleicht eine getrocknete Blüte von unserer letzten Wanderung. Das macht das Buch zu unserem Begleiter. Und was bedeutet schon eine verschenkte Buchlizenz für Ihren E-Reader im Vergleich zu einem gedruckten Buch, in das man Ihnen ein paar Zeilen als Widmung geschrieben hat.

  • Die UN-Organisation für Kultur und Bildung hat sich zum Welttag des Buches von dem katalanischen Brauch inspirieren lassen, zum Namenstag des Volksheiligen St. Georg Rosen und Bücher zu verschenken. Die Stadtbibliothek Lörrach wird allen Kindern, die am 23. April die Bibliothek besuchen, ein Pixi-Buch schenken.

Umfrage

Heizung

Der Ausbau des Fernwärmenetzes im Landkreis Lörrach nimmt Fahrt auf. Würden Sie, falls möglich, Ihr Haus an das Netz anschließen lassen?

Ergebnis anzeigen
loading