Lörrach Betrachtungen des Menschseins

Gabriele Hauger
Skulptur von Johannes Beyerle       Foto: Fotos: Gabriele Hauger

Ausstellung: Beate Fahrnländer und Johannes Beyerle stellen in der Galerie von Jürgen Unseld aus

Von Gabriele Hauger

Lörrach. Ein bauliches Kleinod ist die Galerie im Zwetschgenweg hoch oben in Tüllingen. Jürgen Unseld, selbst Künstler, hat hier ein schönes Kunst-Refugium geschaffen und lädt regelmäßig renommierte Künstler aus der Region ein. Dabei schafft er spannende Begegnungen, so auch diesmal, wenn er die Lörracher Künstlerin und Illustratorin Beate Fahrnländer auf den freischaffenden Künstler Johannes Beyerle treffen lässt, der sein Atelier im alten Schulhaus in Vogelbach hat. Die beiden kannten sich zuvor nicht und liegen stilistisch weit auseinander. Dennoch, oder gerade deswegen, entsteht ein bemerkenswertes Wechselspiel mit Betrachtungen des Menschlichen aus unterschiedlicher Perspektive.

Johannes Beyerle

Johannes Beyerles Arbeiten sind von großer Ernsthaftigkeit und Tiefgründigkeit, von melancholischer Grundstimmung und lösen sich ins Abstrakte auf. Seine Bilder, Zeichnungen, besonders aber seine Skulpturen passen in die rau verputzten Wände des alten Hauses, als gehörten sie hierher. Seit vielen Jahren kreist Beyerles Kreativität um das Motiv einer Frauenfigur, deren Anblick ihn bis heute so tief bewegt, dass sie immer wieder in seinen Werken aufscheint. Es ist die Totenmaske der Hildegard von Egisheim, einer Nonne, die um 1100 ein Kloster gründete. Sie starb an der Pest, ihr Leichnam wurde zum Schutz vor der Seuche mit Kalk zugeschüttet. Durch den Abdruck entstand eine Hohlform ihres Gesichts, die später ausgegossen wurde. Diese Frauenbüste entdeckte der Künstler in einem Bildband – und war elektrisiert. Mit geschlossenen Augen, die eine Gesichtshälfte wunderbar klar und ästhetisch, die andere verwittert und an die Vergänglichkeit gemahnend – ein perfektes Memento Mori. Die Dreiergruppe der Skulpturen spiegelt die gefährliche Süße des Todes, aber auch die menschliche Schönheit wider. An dieser Dualität arbeitet sich der Künstler seit Jahren ab. So erscheinen die Züge der Hildegard auch auf einer alten Sperrholzplatte, auf der bewusst unzugänglichen, rauen Oberfläche aufgebracht. Manchmal ist sie nur zart mit Bleistiftstrichen angedeutet, auf vielen Schichten übereinander geklebten Nepal-Papiers. Lehm und Stroh sind Beyerles Materialien. In einem haptischen, sinnlichen Arbeitsprozess knetet und mischt er das Material und formt es Schicht für Schicht auf einem Steinsockel zur Büste. Das unbearbeitete Material, das mehrere Tage trocknen muss, steht für die Verletzlichkeit des Menschen, dessen Existenz unweigerlich wieder zur Erde wird, sich auflöst.

Eine wichtige Rolle im Schaffen Beyerles spielt die Schrift. Texte aus seinem vor einem Jahr erschienenen Buch „Und in der Ferne Schnee“ mit Beschreibungen des Lebens ziehen sich über Zeichnungen und Bilder – für den Betrachter weitgehend nicht entzifferbar, die Fantasie anregend.

Beate Fahrnländer

Ihre Porträt-Serie zieht beim Betreten der Galerie die Blicke auf sich. In der zurückgezogenen Corona-Zeit hat Beate Fahrnländer sie begonnen, für die aktuelle Ausstellung sind zwölf weitere entstanden. Die Künstlerin hat über Jahrzehnte Fotos von Skulpturen oder Menschen gesammelt, die sie faszinieren, und später malerisch umgesetzt. So mischen sich Bilder historischer Figuren mit Personen von heute, die Zeitalter verschwimmen, und es zeigt sich, wie wenig sich der Kern des Menschen doch in all der Zeit verändert hat. Sie malt Figuren, die sie stark geprägt oder beeindruckt haben: der Schauspieler Winfried Glatzeder, für sie das Gesicht des deutschen Mannes in der DDR, der als Belmondo des Ostens galt; oder die jüdische Intellektuelle Mascha Kaleko, eine Powerfrau der 20er Jahre, die später die Tragik der Flucht verarbeiten musste. Die Porträts sind in unterschiedlichen Stilen gemalt: von realistisch bis mehrfach abstrahierend bearbeitet, wie das Gesicht einer Trachtenträgerin, von dem nur noch die grobe Struktur übrig bleibt. Zu jedem Porträt gibt es für Beate Fahrnländer eine persönliche Geschichte.

Intensiv beschäftigt sich die Künstlerin mit dem Thema Kindheit: das Loslassen der eigenen, erwachsen werdenden Kinder. Kindliche Freiheit wird von einem Mädchen auf einer Schaukel symbolisiert, ergänzt von Badeszenen aus verschiedenen Zeiten und dem Spiel von Kindern, das nur vordergründig ganz unbeschwert scheint. Viel Menschliches ist in dieser Doppelausstellung zu entdecken.

Vernissage: Samstag, 16. Juli, 16 Uhr; bis 7. August, Sa/So 14 bis 18 Uhr, Zwetschgenweg 5, Lörrach

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