Lörrach Das Miteinander wieder lernen

Kristoff Meller

Pestalozzischule hat mit Partnern individuelle „Lernbrücken“ für coronabedingte Defizite entwickelt. 

Lörrach  - Trommeln, Origami oder ein Radfahrtraining: An der Pestalozzischule wurden individuelle „Lernbrücken“ installiert, um die coronabedingten Defizite der Schüler nach den Pfingstferien abzubauen. Denn in einer Erhebung wurde zuvor deutlich, dass es nicht an Englisch- oder Mathekenntnissen mangelt, sondern an sozialen Fähigkeiten und Sport.

Nach 16 Monaten Pandemie hatten die Klassenlehrer bei der Erhebung festgestellt: „Gerade in den Bereichen Bewegung und Soziales sind die Defizite riesig“, erzählt Schulleiterin Isolde Weiß. „Die Schüler waren teilweise nicht mehr in der Lage, in Gruppen zu agieren, zu diskutieren oder Fragen zu beantworten.“ Das soziale Miteinander müsse nach Monaten der Kontaktbeschränkungen erst wieder trainiert werden.

Mit Fernunterricht „alle zuverlässig erreicht“

Probleme mit dem normalen Lernstoff gab es hingegen kaum: „Wir haben mit dem Fernunterricht über das Programm Teams zuverlässig alle erreicht – selbst wenn der Morgenkreis im Schlafanzug mit einem ausgeliehenen Tablet stattfand“, berichtet Konrektorin Anja Schubert.

Einige Schüler mit Migrationshintergrund hatten durch die Isolation laut Weiß jedoch keine Möglichkeit, zuhause Deutsch zu sprechen, andere seien „Medienjunkies“ geworden oder nach der Rückkehr mit „depressivem Verhalten“ aufgefallen.

„Sonst haben wir die Kinder im Blick, aber zuhause waren sie lange Zeit ungeschützt und unbeobachtet“, so Weiß. Darum soll nun die Zusammenarbeit mit der Villa Schöpflin, dem Theater Tempus fugit aber auch der Frauenberatungsstelle intensiviert werden.

Fast 30 individuelle Angebote

Um den festgestellten Defiziten entgegenzuwirken, entwickelten Schulleitung und Kollegium gemeinsam mit den bisherigen und neuen außerschulischen Netzwerkpartnern fast 30 individuelle Angebote für alle Altersstufen nach dem Unterricht. Darunter sind Bewegungsangebote, gemeinschaftsstiftende und musiktherapeutische Projekte, aber auch Deutsch als Zweitsprache sowie in der Mittelstufe eine reine Mädchen-Gruppe in Kooperation mit der Frauenberatungsstelle, wie Christian Fulde, Koordinator der Netzwerkpartner, erläutert. Gesucht wird derzeit noch ein Partner für ein Projekt mit Tieren.

Die Eltern haben jeweils Empfehlungen erhalten, welches Angebot für ihren Nachwuchs sinnvoll wäre. Pro Woche nehmen die Schüler je nach Altersstufe an zwei oder drei Lernbrücken teil.

Nicht bis Sommerferien warten

Auch das Kultusministerium will laut einer Pressemitteilung „mit Lernbrücken gegen Lernlücken“ vorgehen und den Fokus dabei „auch auf die Förderung auf den sozial-emotionalen Bereich legen“. Allerdings finden diese erst in den Sommerferien statt.

„Wir müssen aber jetzt reagieren und können nicht abwarten“, findet hingegen Isolde Weiß. Nach der Rückkehr an die Schule habe es eine regelrechte „Aufbruchstimmung“ unter den Schülern gegeben, die genutzt und „in Energie umgewandelt“ wurde.

Berufsorientierung bereitet Probleme

Finanziert werden die Angebote, die auch im kommenden Schuljahr fortgeführt werden sollen, laut Weiß durch verschiedenste Quellen. Beispielsweise wurde über das Personalausgabenbudget eine Musiktherapeutin eingestellt, die nun zwei Mal pro Woche Trommelkurse für insgesamt vier Gruppen gibt. „Dort ist ein Mädchen, das sonst kaum spricht, heute habe ich es zum ersten Mal tanzen sehen“, erzählt Weiß.

Ein weiteres Feld, das ihr „riesige Sorgen“ bereitet, ist die Berufsorientierung. Denn in der Pandemie seien viele Betriebe „sehr zögerlich“ bei der Vergabe von Praktika oder waren wie die Gastronomie und Hotellerie komplett geschlossen. „Für Schüler ist dieser Baustein aber enorm wichtig“, betont Weiß.

Immerhin finde seit kurzem wieder das zweiwöchige Block-Praktikum für die Achtklässler und der wöchentliche Praxistag der Abschlussklasse statt. „Es klappt langsam wieder“, sagt Weiß. Es sei aber viel Zeit investiert worden, um die Betriebe zu überreden. Die Schulleiterin warnt: „Es wird nicht gesehen, was das für Auswirkungen haben kann, wenn die Schüler ein bis zwei Jahre Schleifen drehen, ohne zu wissen, wie es weiter geht. Das wird unserer Gesellschaft langfristig richtig auf die Füße fallen.“

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