Lörrach Der ganz normale Irrsinn im Büro

Die Oberbadische
Die hysterisch kichernden Damen der Übersetzungszentrale (von links) Dr. Stine Kunz (Anika del Guidice), Vorsitzende Helene (Katrin Mörgelin-Oehler), Leiterin Jana Morat (Julia Matt) und Direktor Gross (Hans Kaufmann). Foto: Willi Vogl Foto: Die Oberbadische

Theater: Gut & Edel mit Václav Havels „Die Benachrichtigung“ im Nellie Nashorn

Von Willi Vogl

Lörrach. Die Übersetzungen bedürfen der Genehmigung der Ptydometin Dr. Kunz, diese kann erst genehmigen, sobald die Personalunterlagen des Antragstellers durch die Vorsitzende überstellt werden. Die Überstellung der Personalunterlagen wiederum bedarf der vorherigen Übersetzung. Kunstgriffe wie dieser aus dem Repertoire des absurden Theaters sind das bestimmende Merkmal in Václav Havels 1964 entstandenem Theaterstück „Die Benachrichtigung“.

Direktor Gross findet eines Morgens auf seinem Schreibtisch eine Benachrichtigung in einer ihm fremden Sprache. Seine Sekretärin erklärt ihm, es handele sich um die neu eingeführte Amtssprache Ptydepe. Die künstliche Sprache vermeidet Sinndopplungen und soll einer präziseren Kommunikation dienen. Alle außer dem Direktor sind auf Anordnung seines Stellvertreters Balas dazu verpflichtet worden, in dem eigens dafür geschaffen Seminar Ptydepe zu lernen. Gross versucht vergeblich, in der ebenfalls neu eingerichteten Übersetzungszentrale eine Übersetzung seiner Benachrichtigung zu erhalten. Balas treibt Gross wegen kleinerer Unregelmäßigkeiten in dessen Amtsführung in die Enge, presst ihm eine rückwirkende Anordnung zur Einführung von Ptydepe ab und setzt sich an die Stelle des Direktors. Doch schon bald wächst Balas die Führungsaufgabe über den Kopf, und es kommt zum erneuten Funktionswechsel der Beiden.

Schließlich gelangt Gross doch noch zu einer Übersetzung seiner Benachrichtigung. Darin wird er angewiesen, die Einführung der neuen Amtssprache zu verhindern und deren Befürworter zu bestrafen. Von Balas mit seiner eigenen Anordnung zur Einführung von Ptydepe konfrontiert, sieht sich Gross außerstande, hart durchzugreifen und seinen Stellvertreter zu entlassen. Mittlerweile soll eine weitere Kunstsprache eingeführt werden, die auf Ähnlichkeiten basiert und so die Schwächen von Ptydepe eliminiert. Angesichts der damit zu erwartenden Komplikationen streckt der bis dahin äußerst pflichtbewusste und sachorientierte Gross die Waffen. Er widmet sich nun, wie die niederen Chargen, den entspannenden und geselligen Themen und verabschiedet sich von seiner Sekretärin: „Marie, es scheint absurd, aber ich muss jetzt zum Mittagessen.“

Jeder kennt den ganz normalen Irrsinn bürokratistischer Abläufe, Intrigen, fehlender Kompetenzen sowie Verantwortung und die damit entstehenden Nischen für zweckfreie Aktivität im beruflichen Alltag auch aus eigener Anschauung. Havel verbindet zwei Motive miteinander. Bei der Erlernung und Anwendung der Kunstsprache Ptydepe führt er diese auf amüsante Weise ad absurdum. Zum anderen glossiert er Neid, Ranküne und den von Servilität geölten Büromechanismus.

Regisseur Vaclav Spirit inszenierte mit dem Ensemble Gut & Edel im Nellie Nashorn mit Václav Havels zeitlosem Theaterstück ein lustvolles Spiel. Wie gewohnt verzichtet das Ensemble auf pompöse Ausstattung und vertraut auf die Plastizität der Sprache sowie auf individuelle Mimik und Gestik der Darsteller. Vor allen der sympathische Direktor Gross (Hans Kaufmann), der intrigante Stellvertreter Balas (Tim Frey) und die resolut dozierende Ptydepelehrerin Perina (Anette Eckstein) sorgten für starke Momente. Das Publikum im ausverkauften Nellie Nashorn erlebte einen kurzweiligen und amüsanten Theaterabend.

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