Plumper, brutaler, unmenschlicher wird Nicolas de Ovando dargestellt, dessen Aufgabe es ist, auf Hispaniola eine halbwegs funktionierende Kolonie zu formen. Ein fetter, trinkfreudiger, dabei keineswegs dummer Geselle, der die Ureinwohner grausam ausbeutet, quält und niedermetzelt, dem Empathie ein Fremdwort ist, und der Kolumbus in seiner misslichen Lage schmoren lässt.
Und da ist die erfundene Figur des Ameyro, Anführer der Inselbewohner, der die „Weißhäutigen“ mit einer Mischung aus Erstaunen und Erschrecken beobachtet, der intelligent ihre Verhaltensweisen analysiert und die Tragweite ihres Erscheinens für sein Volk realistisch einzuschätzen weiß.
Vergangenes mit Parallelen zum Heute
Und so ist der Roman auch – ohne jegliche Oberlehrerhaftigkeit – eine Reflexion darüber, was die Europäer im „neuen Land“, das sie skrupellos für sich beanspruchten, verbrochen haben. Ohne Idealisierung – denn Konflikte zwischen den „Indianern“ werden nicht verschwiegen – wird dem Leser aufs Neue bewusst, was hier von den weißen Eindinglingen zerstört wurde, mit welch überheblicher Weise der eigene Glaube, die eigenen Werteskala als die einzig richtige verteidigt wurde, koste es, was es wolle. Parallelen zu heute tun sich da zwangsläufig auf.
Und Kolumbus? Der gescheiterte Entdecker hinterlässt zwiespältige Gefühle: von bewundernswerter Leidenschaft und Forscherdrang, an der Dummheit seiner Umwelt leidend weckt er Sympathien; in seiner Gnadenlosigkeit und Kälte als Sklavenhändler verstört er. Zur tragischen Figur wird er, gerade mit dem Wissen darum, dass ihm die Tragweite seiner neuen Schiffspassage nicht gänzlich bewusst war.
Wissler schreibt in einem ganz eignen, modernen, unprätentiösen Stil, setzt die flotten Dialoge in aktuelle Sprache, vermeidet jegliche schwülstige Dramatik, was die Ereignisse um so ergreifender macht. Ein Roman, der Lust auf Geschichte macht.
Wolfgang Wissler ist in Lörrach, am Tüllinger Berg, aufgewachsen. Nach einer kaufmännischen Lehre volontierte er beim Verlagshaus Jaumann und arbeitete ein Jahr als Redakteur in der Lokalredaktion Weil am Rhein. Danach war er als freier Journalist für verschiedene Zeitungen für und aus dem Landkreis Lörrach tätig. Seit 1989 ist Wissler Redakteur beim Südkurier in Konstanz. Von ihm erschienen ist bereits im Verlag Lutz „Er sagt: Töte ihn! Das schwarze Buch der Nöte“ mit sieben dramatischen Geschichten.
Buchinfo: „Kolumbus, der entsorgte Entdecker“, 190 Seiten, Hirzel Verlag, 22 Euro