Lörrach Der große Kolumbus als Antiheld

Gabriele Hauger

Buchkritik: „Kolumbus, der entsorgte Entdecker“ von Wolfgang Wissler

Regio - Da steht er nun, übellaunig, schief und krumm, verfilzt und stoppelbärtig – und blickt aufs Meer hinaus: Kristoff Kolumbus. Der große Seefahrer, dessen Name untrennbar mit der Entdeckung Amerikas verknüpft ist, ist ein Gescheiterter, gestrandet auf der Insel Jamaika. Der Ruhm ebenso ruiniert, wie sein Schiff, das im Jahre 1503 auf seiner vierten und letzten Reise holzwurmzerfressen in der Inselbucht liegt und der Restmannschaft nur notdürftig Schutz bietet.

Faszinierende, gar nicht heldenhafte Geschichte

Was nun im 189 Seiten starken Roman des aus Lörrach stammenden Autors Wolfgang Wissler beschrieben wird, ist eine faszinierende, gar nicht heldenhafte Geschichte. Der Roman beleuchtet aus völlig neuer Perspektive das zuweilen skurrile Zeitgeschehen, taucht mit Fantasie und Einfühlungsvermögen in Denken und Handeln der Protagonisten ein, im Zentrum stets der Welten-Entdecker Kolumbus.

Nach einer Sammlung von Kriminalkurzgeschichten ist „Kolumbus, der entsorgte Entdecker. Das Desaster des legendären Seefahrers“ der erste Roman Wisslers. Ein gelungenes Buch, das Innen- und Außenwelt so spannend zu beschreiben weiß, dass man es kaum mehr aus der Hand legen mag.

Gründliche Recherche als Basis

Die Basis ist gründliche Recherche. Durch Erinnerungen, Dialoge, sinnierende Rückblicke lässt sich die durchaus tragische Geschichte des besessenen Entdeckers und Seefahrers nachverfolgen: sein beharrlicher Glaube an den Westweg nach Indien; sein Buhlen um Financiers; sein Wagemut und seine List, die Mannschaft trotz aller Widrigkeiten bei der Stange zu halten; sein psychologisches, zuweilen manipulatives Geschick, Meutereien zu verhindern, Geldgeber bei der Stange zu halten, indem er sagenhafte Goldschätze aus der neuen Welt verspricht; sein Ruhm nach der ersten Entdeckerreise – und sein Versagen als Gouverneur von Hispaniola. Und schließlich sein Absturz in der Gunst des spanischen Hofs, was zur Folge hat, dass er gestrandet auf der Insel schmählich im Stich gelassen wird und monatelang auf Hilfe warten muss. Eine Extremsituation, die alles Menschliche und Unmenschliche an die Oberfläche bringt.

Dieses Warten am Strand, im eigentlich wahren Paradies – inzwischen vermüllt, verunstaltet, ausgebeutet von den europäischen Eindringlingen – ist der Ausgangspunkt für die Geschichte, die sich mit der der anderen Protagonisten verzweigt. Dazu zählt der ziemlich fies geschilderte, listige Widersacher Amerigo Vespucci, ein Intrigant und Hochstapler, der es immerhin schafft, dass ein ganzer Kontinent nach ihm benannt wird, obwohl er zweifelsfrei von Kolumbus’ Forscherdrang profitierte.

Wissler arbeitet diesen Charakter wunderbar als feigen Ruhmesdieb heraus, ein Seefahrer, der Angst vor dem Wasser hat, über Leichen geht, dabei aber so viel Schläue zeigt, dass man ihn fast mögen muss.

Plumper, brutaler, unmenschlicher wird Nicolas de Ovando dargestellt, dessen Aufgabe es ist, auf Hispaniola eine halbwegs funktionierende Kolonie zu formen. Ein fetter, trinkfreudiger, dabei keineswegs dummer Geselle, der die Ureinwohner grausam ausbeutet, quält und niedermetzelt, dem Empathie ein Fremdwort ist, und der Kolumbus in seiner misslichen Lage schmoren lässt.

Und da ist die erfundene Figur des Ameyro, Anführer der Inselbewohner, der die „Weißhäutigen“ mit einer Mischung aus Erstaunen und Erschrecken beobachtet, der intelligent ihre Verhaltensweisen analysiert und die Tragweite ihres Erscheinens für sein Volk realistisch einzuschätzen weiß.

Vergangenes mit Parallelen zum Heute

Und so ist der Roman auch – ohne jegliche Oberlehrerhaftigkeit – eine Reflexion darüber, was die Europäer im „neuen Land“, das sie skrupellos für sich beanspruchten, verbrochen haben. Ohne Idealisierung – denn Konflikte zwischen den „Indianern“ werden nicht verschwiegen – wird dem Leser aufs Neue bewusst, was hier von den weißen Eindinglingen zerstört wurde, mit welch überheblicher Weise der eigene Glaube, die eigenen Werteskala als die einzig richtige verteidigt wurde, koste es, was es wolle. Parallelen zu heute tun sich da zwangsläufig auf.

Und Kolumbus? Der gescheiterte Entdecker hinterlässt zwiespältige Gefühle: von bewundernswerter Leidenschaft und Forscherdrang, an der Dummheit seiner Umwelt leidend weckt er Sympathien; in seiner Gnadenlosigkeit und Kälte als Sklavenhändler verstört er. Zur tragischen Figur wird er, gerade mit dem Wissen darum, dass ihm die Tragweite seiner neuen Schiffspassage nicht gänzlich bewusst war.

Wissler schreibt in einem ganz eignen, modernen, unprätentiösen Stil, setzt die flotten Dialoge in aktuelle Sprache, vermeidet jegliche schwülstige Dramatik, was die Ereignisse um so ergreifender macht. Ein Roman, der Lust auf Geschichte macht.

Wolfgang Wissler ist in Lörrach, am Tüllinger Berg, aufgewachsen. Nach einer kaufmännischen Lehre volontierte er beim Verlagshaus Jaumann und arbeitete ein Jahr als Redakteur in der Lokalredaktion Weil am Rhein. Danach war er als freier Journalist für verschiedene Zeitungen für und aus dem Landkreis Lörrach tätig. Seit 1989 ist Wissler Redakteur beim Südkurier in Konstanz. Von ihm erschienen ist bereits im Verlag Lutz „Er sagt: Töte ihn! Das schwarze Buch der Nöte“ mit sieben dramatischen Geschichten.

 Buchinfo: „Kolumbus, der entsorgte Entdecker“, 190 Seiten, Hirzel Verlag, 22 Euro

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