Lörrach „Die Gipfel nicht gefunden“

Marco Fraune
Der Lörracher Eberhard Jurgalski ist laut eigenen Worten als Chronist der Wahrheit verpflichtet. Foto: zVg/Aart Markies

Interview: Lörracher Chronist Eberhard Jurgalski erkennt Bergsteiger-Ikonen 8000er ab / Riesiges Echo

Der Lörracher Eberhard Jurgalski hat die Liste der 8000er-Bergbezwinger kräftig zusammengestrichen. Weltweit sorgt dies für Schlagzeilen.

Von Marco Fraune

Lörrach. Betroffen ist auch die Legende Reinhold Messner. Im Gespräch mit unserer Zeitung erklärt Jurgalski die Hintergründe.

Frage: „Ein Lörracher verändert die Bergwelt-Geschichtsschreibung“. Das hört sich nicht schlecht an, oder?

Nun, das war ich ja nicht alleine, sondern großteils meine Mitarbeiter, der Franzose Rodolphe Popier und der deutsche Tobias Pantel, die beide auch für die Himalayan Database arbeiten. Außerdem haben nicht wir die Geschichtsschreibung verändert, sondern die Bergsteiger selber, indem sie des Öfteren nicht die Gipfel gefunden haben, bewusst oder aus Versehen.

Frage: Seit zehn Jahren arbeiten Sie an der Statistik und der Analyse der 8000er-Besteigungen. Sind Sie selbst überrascht von den Ergebnissen?

Das kann man wohl sagen, damit habe ich nicht gerechnet, als ich 2012 Rodolphe Popier eine zweifelhafte Besteigung der Annapurna zum Verifizieren gegeben habe. Dann kam eins aufs andere und ich war viele Male geschockt, ja, sogar sehr traurig, weil ich ja als Chronist verpflichtet bin, die Wahrheit über die Besteigungen zu berichten, und meine Tabellen korrekt sein müssen. Und nun musste ich fast allen meiner Helden einen oder mehrere Gipfel absprechen, weil sie bis zu 190 Meter vom eigentlichen Gipfel entfernt die Besteigung gestoppt hatten. Miss Hawley hatte schon 1997 einem Indonesier den Gipfel des Everest abgesprochen, weil er 30 Meter vom Gipfel entfernt umdrehen musste, um erschöpften Teilnehmern beim Abstieg zu helfen. Dadurch wurde die Toleranzzone im Vergleich völlig unmöglich, egal, um welche Namen es sich handelte.

Frage: Ein Ergebnis ist, dass unter anderem die Bergsteiger-Legende Reinhold Messner damit nicht mehr alle 14 Achttausender auf dem Konto hat. Welche Reaktionen gibt es?

Es wird alles heruntergespielt und sogar geschönt. Messner schreibt, dass ich durch seinen Namen Bekanntheit erreichen will. Was für ein Unsinn, er bezieht alles auf sich, dabei geht es einfach um menschliche Fehler, die halt jetzt aufgedeckt wurden und korrigiert werden müssen, das ist alles.

Frage: In den „Sozialen Medien“ werden Sie sogar beschimpft. Was schreiben Sie Ihren Kritikern?

Erstmal möchte ich noch einmal betonen, dass ich niemandem seine Glanzleistungen aberkennen will, aber Fehler passieren halt auch den großen Namen, und Chronisten sind meines Erachtens dazu da, auf Fehler hinzuweisen und die Geschichtsschreibung zu korrigieren. Das gab es bei vielen anderen Besteigungen in der Alpingeschichte, nur bei den 8000ern wollen das einige nicht wahrhaben. Man muss auch erwähnen, dass die allermeisten glaubten, sie wären auf dem höchsten Punkt, dabei hätten sie sich schlau machen können. Also, wenn die Erstbesteiger schon 1956 den richtigen Gipfel des Manaslu gefunden haben und die ersten Frauen 1974 auch, alles mit Fotos dokumentiert, und auch Reinhold Messner als Einziger alleine den Gipfel 1972 fand, warum gibt es da Stimmen, die sagen, dass es heute erst dank GPS möglich ist, den Gipfel zu finden?

Frage: Früher waren Sie ein Fan von Reinhold Messner. Wie sehen Sie ihn heute?

All seine Expeditionsberichte und Bücher habe ich damals mit Freude gelesen, aber heute sehe ich ihn mit sehr gemischten Gefühlen. Viele seiner heutigen Aussagen sind meiner Meinung nach schlicht falsch, aber das würde hier zu weit führen.

Frage: Worauf führen Sie es zurück, dass Messner Ihrer Analyse zufolge 65 Meter vor dem eigentlichen Gipfel nicht mehr dorthin gegangen ist?

Die Route war sehr schwierig, wenn auch keine komplette Wand, eher mit Gratbegehung gemischt. Am Ende des oberen Grates trifft man auf einen anderen Grat, den wirklichen Gipfelgrat, und es wird unübersichtlich. Ich denke, es war schlicht aus Versehen wegen schlechter Sicht und Erschöpfung. Diese Gratkreuzung ist 65 Meter vom Gipfel entfernt, und es hätten auch noch zwei Vorgipfel überwunden werden müssen, bevor man zum eigentlichen Gipfel kommen würde. Das jetzt in den Medien auf ein paar Meter oder sogar „ein paar Zentimeter“ herunterzuspielen, ist geradezu lächerlich.

Frage: Sie sind seit 40 Jahren als Chronist aktiv. Nach solch einer weltweit beachteten Auswertung: Womit werden Sie sich in den nächsten Jahren noch beschäftigen?

Eigentlich ist die 8000er-Chronik „nur“ eine Nebenbeschäftigung. Die Einteilung von Bergen und Gebirgen liegt mir viel mehr am Herzen, da es weltweit unlogische Einteilungen gibt. Seit 1998 arbeite ich mit einem neuen Einteilungssystem, habe Tabellen der ganzen Welt, besonders Hochasien, Anden und Alpen, aber auch lokale Tabellen, wie für den südlichen Schwarzwald, erstellt. Da aber die 8000er mich quasi festhalten mit all den neuen Rekorden zur Zeit und den immer noch ungeklärten Besteigungen, wird die Fortsetzung meiner geografischen Arbeit wohl noch warten müssen.

INFO:

Zu den Beweisen der Ausführungen: www.8000ers.com.

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