Lörrach Die Risse in Lörrachs Oberfläche

Bernhard Konrad
Die Kaufkraft unserer Nachbarn ist keine unablässig garantierte Selbstverständlichkeit. Foto: Kristoff Meller

Kommentar: "Lörracher Aspekte" zur Corona-Pandemie und dem Einzelhandel.

Lörrach - Lörrach ist – so wie es sich heute darstellt – ohne die benachbarte Schweiz nicht zu denken. Einwohnerstruktur, Wohnungsmarktsituation, Einzelhandelsangebote und etliches mehr: Die Dinge sind in vielerlei Hinsicht wie sie sind, weil zahlreiche Deutsche aus Lörrach und der Region in der Schweiz ihr Geld verdienen und unterdessen die Franken der eidgenössischen Kunden verlässlich über die Grenze in die Lerchenstadt rollen – bislang.

Das bringt die hinlänglich bekannten und erörterten Vor- und Nachteile mit sich. In der Debatte um die coronabedingte Situation des Einzelhandels traten indes Befindlichkeiten zu Tage, die im Getriebe der Stadt meist verborgen bleiben: Die klare Betonung der maßgeblichen Bedeutung Schweizer Kunden durch Stimmen des Handels – und daraus resultierende Konsequenzen.

Wenn der Pro Lörrach-Vorsitzende Hans-Werner Breuer sagt: „Der hiesige Einzelhandel kann sich erst dann wieder erholen, wenn die Grenzen zur Schweiz geöffnet sind“, dann mag das nicht falsch sein. Wenn der Hirschen-Apotheker Birger Bär groß plakatiert: „Gruezi Liebe Nachbarn! Wir vermissen Euch!“, mag das aus seiner Sicht kein Ausdruck von Geringschätzung der deutschen Kundschaft sein. Gleichwohl ist es eine Tatsache, dass dies von einem Teil der deutschen Kunden so aufgefasst wird.

Fraglos wäre der hiesige Einzelhandel und die gesamte Innenstadt ohne Schweizer Kunden weniger attraktiv. Es darf aber zumindest einmal kurz erwähnt werden, dass die Kaufkraft unserer Nachbarn keine unablässig garantierte Selbstverständlichkeit ist – und fast alle Einzelhändler in Deutschland ihr Geschäft ohne Schweizer Kundschaft führen müssen. Unter diesem Gesichtspunkt könnte die Beschäftigung mit anderen Kunden an Bedeutung gewinnen.

Natürlich: Breuer und Bär sprechen nicht für jeden Einzelhändler – und fraglos schätzen auch sie alle ihre Kunden. Der Unmut über solche Aussagen kann leicht als kleinkarierte Empfindlichkeit einiger Deutscher abgetan werden. Sinnvoll wäre es trotzdem, darüber nachzudenken, warum eine nennenswerte Anzahl von Verbrauchern so fühlt. Es geht hier ausdrücklich weder um Sozialneid noch um simples „Schweizer-Bashing“.

Im Grundsatz gilt: Je mehr die Region wirtschaftlich und kulturell zusammenwächst, Grenzen an Bedeutung verlieren, Austausch und Begegnung gelebter Alltag werden, desto besser. Dennoch berühren die Aussagen von Breuer und Bär ein von Seiten des Handels vielfach dementiertes, aber in der Gefühlslage zahlreicher Bürger dennoch präsentes Klischee: dass sie eben doch die unbedeutenderen Kunden sind: Kunden zweiter Klasse? Das wird so nicht zutreffen! Allerdings trifft dieses Klischee in der Realität auf eine immer weiter aufgehende Schere finanzieller Möglichkeiten – viele Menschen spüren das.

Unterdessen bildet das beschriebene Phänomen lediglich eine Facette jener Gesamtgemengelage, die für Lörrach charakteristisch ist und von der insgesamt positiven Entwicklung oft überlagert wird: Diese mitunter nahezu hyperaktive Stadt ist mit ihren unablässig zu– und wieder wegziehenden Neubürgern, Sesshaftgewordenen und Alteingesessenen, ihrem vollkommen überhitzten Wohnungsmarkt und ihrer meist mit Vollgas brummenden Innenstadt eben nicht ausschließlich „dynamisch“, sondern als Stadtgesellschaft ziemlich scharf und bindungslos fragmentiert. Unter der leidlich glatten Oberfläche kommt ein Gemeinwesen zum Vorschein, das auch von einer schmerzhaften Disparität geprägt ist.

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