Lörrach „Die vietnamesische Antwort war eine sehr erfolgreiche“

Kristoff Meller

Interview: Der „Exil-Lörracher“ Manuel Wendle spricht über die aktuelle Situation in Da Nang und wie Vietnam mit der Corona-Krise umgeht.

Während bei uns in Lörrach vor sieben Wochen noch Klopapier gehamstert wurde, waren beim gebürtigen Lörracher Manuel Wendle (siehe Info am Ende) im vietnamesischen Da Nang schon lange, seit Ende Januar, die Schulen und die Grenze zu China geschlossen. Davon berichtete er unserer Zeitung Mitte März. Nun, nach einem dreiwöchigen Lockdown, wurden die Maßnahmen in dem Land am Südchinesischen Meer ebenfalls gelockert, weil über sieben Tage keine Neuansteckungen registriert wurden. Kristoff Meller hat mit ihm erneut via Skype gesprochen.

Herr Wendle, wie ist die Stimmung in Da Nang?
Positiv und überwiegend optimistisch. Seit dem 25. März wurde in der 1,1 Millionenstadt kein neuer COVID-Fall mehr entdeckt. Auch im Rest des Landes waren Anfang April die Infektionszahlen niedrig, dennoch wurde ein landesweiter dreiwöchiger Lockdown mit Kontaktbeschränkungen beschlossen, um mögliche unentdeckte Fälle aufzudecken. Da Nang ging sogar noch einen Schritt weiter und verhängte eine zweiwöchige Quarantäne für alle am Flughafen ankommenden Personen aus dem Inland.

Die letzten Tage haben bei der Bevölkerung Vertrauen und Sicherheit geschaffen. Das Leben geht seit letzter Woche weitgehend normal weiter. In der für Da Nang so wichtigen Tourismusbranche sind aber sehr viele Existenzen bedroht, weil der internationale Tourismus wohl bis auf Weiteres ausbleibt. Die Menschen müssen erfinderisch werden und nun andere Einkommensquellen erschließen.

Das Handelsblatt kürte Vietnam kürzlich zum „Überraschungssieger im Kampf gegen Corona“ und lobte die „frühe Entschlossenheit“ der Regierung, die dazu geführt hat, dass es bislang offiziellen Angaben zu Folge weniger als 300 bestätigte Infektionen und keinen Todesfall gab. Glauben Sie, beziehungsweise die vietnamesische Bevölkerung, den Zahlen der Regierung?
In der westlichen Welt gab es lange Zeit eine Zurückhaltung, das Land für die Erfolge zu loben, weil es wie bei China Zweifel an den offiziellen Zahlen gab. Das hat sich in den letzten Tagen geändert. Viele internationale Experten wie John MacArthur vom U.S. Centers for Disease Control and Prevention im benachbarten Thailand stellen die offiziellen Zahlen nicht mehr in Frage. Seither lese ich in renommierten Zeitungen in Europa von den Erfolgen Vietnams.

Ich persönlich schließe mich MacArthur an und bin sogar der Meinung, dass der Sieg gar nicht so überraschend war, wie im Handelsblatt erwähnt. Es gab in den vergangenen Wochen einen breiten gesellschaftlichen Konsens für strenge Maßnahmen und deren Umsetzung bis zum Schluss – in sozialen Medien wurden besonders im Februar und März von vielen Menschen sogar noch schärfere Maßnahmen gefordert.

Für den Kampf gegen die Pandemie wurden schon Ende Januar – trotz einer geringen Zahl Infizierter – drastische Maßnahmen wie die massenhafte Zwangsquarantäne für Verdachtsfälle umgesetzt. So eine Vorgehensweise wäre in einer westlichen Demokratie undenkbar. Warum haben die Vietnamesen diese mitgetragen?
In der Tat lassen sich die Maßnahmen in Vietnam nicht einfach auf ein anderes Land übertragen. Besonders die präventive Zwangsquarantäne wäre mit Freiheitsrechten westlicher Demokratien unvereinbar. Was aber am Beispiel Vietnams deutlich wird: Wenn politische Entscheidungen auf einen breiten gesellschaftlichen Konsens treffen, sind Maßnahmen zur Pandemie-Bekämpfung besonders erfolgreich. Das war hier in Vietnam eindeutig der Fall.

Vietnam, wie auch andere südostasiatische Länder, war 2003 von der SARS-Epidemie betroffen, weshalb man beim Beschluss und der Umsetzung der Maßnahmen schnell war. Zudem gibt es Unterschiede, wie verschiedene Kulturen mit Bedrohungen von außen umgehen. Die vietnamesische Antwort auf die Bedrohung war im Rückblick eine sehr erfolgreiche. Am wichtigsten ist meiner Meinung nach aber der breite gesellschaftliche Konsens bei der Umsetzung: vom Beginn bis zum Schluss.

Die vietnamesische Regierung hat zudem früh eine Mundschutzpflicht im öffentlichen Raum eingeführt, und auch vor der Krise trugen viele Asiaten wegen der Luftverschmutzung in großen Städten schon einen Mundschutz. Wie lebt es sich den halben Tag mit einer Maske vor dem Mund und warum tun wir Deutschen uns damit so schwer?
Der Mundschutz scheint ein weiterer Erfolgsfaktor bei der Pandemie-Bekämpfung zu sein. Ich persönlich tat mich damit am Anfang auch schwer. Das Gesicht zu verdecken, ist in westlichen Kulturen eine starke Einschränkung der Freiheit und beim Ausleben der Individualität. Aus eigener Erfahrung kann ich jedoch sagen – er wird schnell zur Gewohnheit und auch hier in Vietnam zieht in normalen Zeiten kaum jemand einen Mundschutz bei zwischenmenschlichen Kontakten an.

Wir haben in Deutschland seit 44 Jahren eine Gurtpflicht im Auto, was für viele damals eine ähnliche Einschränkung der Freiheit bedeutete wie jetzt die Mund-Nasen-Bedeckung. Heute zweifelt wohl niemand mehr, dass die Gurtpflicht maßgeblich zur Reduktion von Verkehrstoten geführt hat. Beim Mundschutz ist es ähnlich, mit dem Unterschied, dass er irgendwann keine Pflicht mehr sein wird und dass er überwiegend andere anstatt einen selbst schützt. Eine Denkweise, die besonders in kollektivistisch geprägten Kulturen vorherrscht und sich wissenschaftlich nun als erfolgreich bei der Pandemie-Bekämpfung erwiesen hat.

Ein Kontaktverbot gab es hingegen nicht, weil die Menschen aus Angst ohnehin möglichst zu Hause blieben. Wie groß war die Furcht vor einer Ansteckung und wie erging es Ihnen als Europäer in der Öffentlichkeit?
Bis Ende März gab es kein Kontaktverbot, jedoch blieben die meisten Menschen zu Hause und im engeren Familienkreis. In den ersten drei Aprilwochen gab es dann tatsächlich die Kontaktsperre für mehr als zwei Personen. Ich selbst hatte keine große Angst vor einer Ansteckung. Einerseits, weil das Land so herausragend reagiert hat und andererseits weil ich in solchen Dingen wenig ängstlich bin. Ich hatte im Oktober vergangenen Jahres das Dengue-Fieber. Das war wahrscheinlich schlimmer, als der durchschnittliche Verlauf von COVID-19.

Damit will ich die aktuelle Gefahr nicht kleinreden. Aber wenn man in einem Land wie Vietnam lebt, das ein viel grobmaschigeres Sicherheitsnetz hat als Deutschland, darf man nicht zu sehr Angst vor Gefahren des Lebens haben. Als Ende März die Fallzahlen in Vietnam stiegen und vereinzelt Touristen das Virus ins Land brachten, hatten viele Menschen Angst vor Kontakten mit Ausländern. Das war eine neue und ungewohnte Erfahrung und verdeutlichte mir, wie belastend Diskriminierung sein kann, auch wenn der Auslöser nicht Verachtung, sondern Angst war. An Orten, an denen man mich nicht kannte, wurde ich teilweise gemieden. Seit das Virus wieder unter Kontrolle ist, erlebe ich die Menschen wieder freundlich und fröhlich wie davor.

Hat die Pandemie beziehungsweise der Lockdown Ihrer Meinung nach die Gesellschaft in Vietnam verändert, oder kehren nun alle wieder zum Alltag vor Corona zurück?
Es ist erstaunlich, was für ein reges Treiben schon wieder in den Geschäften herrscht. Inwieweit sich die Gesellschaft hier durch Lockdown und Social Distancing geändert hat, kann ich aber noch nicht abschätzen. Dafür ist die Zeit seit der Lockerung einfach zu kurz. Ich glaube aber nicht, dass es einen nachhaltigen Effekt geben wird. Einerseits war die Zeit der starken Beschränkungen mit drei Wochen vergleichsweise kurz, andererseits ist es so, dass wir Menschen zum Glück Gefahren auch wieder vergessen, wenn diese gebannt sind. Es wäre doch schrecklich, immer nur in Angst zu leben.

Falls es global zu größeren wirtschaftlichen Verwerfungen kommen sollte, kann ich mir größere Effekte vorstellen, weil ein möglicher Wohlstandsverlust auch Folgen für die Lebensweise hätte. Vietnam integriert sich mit atemberaubender Geschwindigkeit in internationale Märkte – Wohlstand und Fortschritt hängen somit auch immer mehr von anderen Ländern ab. Dennoch gehen die meisten Ökonomen auch für 2020 von einem deutlichen Wachstum aus.


Zur Person:  Manuel Wendle hat nach der Schulzeit zunächst eine Banklehre in Basel absolviert und danach bei der Kantonalbank und UBS die Finanzkrise erlebt. Zwischen 2012 und 2019 pendelte er jahresweise und projektbezogen zwischen Vietnam und dem Dreiländereck. Seit gut einem Jahr lebt er nun dauerhaft mit seiner Frau und zwei Kindern in Da Nang. Wendle hat in der Hafenstadt mit mehr als einer Million Einwohner das Beratungsunternehmen „Culture Bridge“ gegründet. Es berät Firmen und Regierungsorganisationen, um internationale Kooperationsprojekte zwischen Vietnam und anderen Ländern voranzubringen.

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