Lörrach Drei Stunden mit der Dietrich

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Ute Lemper kommt in ihrer Rolle als Marlene in den Lörracher Burghof. Foto: Lucas Allen

Interview: Ute Lemper über Marlene Dietrich, das Leben in den USA und die Sehnsucht nach der Heimat

Ute Lemper ist ein Weltstar. Ihr Programm „Rendezvous mit Marlene“ spürt der Geschichte von Marlene Dietrich mit deren Erfolgsliedern nach – von den Berliner Kabarettsongs bis hin zu der ruhmreichen Zusammenarbeit mit Burt Bacharach. Geboren wurde dieses Programm, das am 19. November im Lörracher Burghof zu erleben ist, aus einem langen Telefonat, das Ute Lemper 1988 mit Marlene Dietrich führte.

Wir unterhielten uns mit ihr über die große Dietrich, ihr eigenes Künstler-Leben in den USA und die wiederkehrende Sehnsucht nach ihrer Heimat. Das Gespräch führte Gabriele Hauger.

Frage: In New York ist es 11 Uhr vormittags. In welcher Situation erwische ich Sie gerade am Telefon?

Oh, ich sitze gerade mit einer kalt gewordenen Tasse Kaffee am Computer, mache Büroarbeit und plane meine Tourneen.

Frage: Sie kommen nach Deutschland für die Marlene-Tournee. Wo sehen Sie Ihre Heimat?

Ich war gerade vor einer Woche in meiner Heimatstadt Münster zu einem Konzert mit jüdischen Liedern, geschrieben von Häftlingen in den KZs – für mich ein ganz besonderes Projekt.

Wenn ich in Münster bin, fühle ich schon ein Stück Heimat, auch wenn mein Zuhause hier in New York ist. Mein Vater, mein Bruder, Cousin, Cousinen, ein Großteil meiner Familie lebt ja noch dort, daher habe ich noch viele Gefühle für diese Stadt. Und ich stoße hier auf wichtige Stationen meines Lebens: die Ballettschule, das Stadttheater... das weckt Emotionen.

Frage: Fühlen Sie sich im Herzen als Europäerin?

Ja! Ich habe meinen deutschen Pass, bin keine amerikanische Staatsbürgerin. In New York fühle ich mich aber sehr wohl: Es gilt ja durch seine Bevölkerungsmischung als kleines Europa. Im Rest der USA möchte ich keinesfalls leben, ich tue mich auch schwer mit dieser Mentalität, da bin ich ganz klar Europäerin. Allerdings gibt es in jedem Land, auch in Deutschland, gesellschaftliche Tendenzen, die mir sehr suspekt sind.

Frage: Marlene Dietrich war Kosmopolitin. Spüren Sie eine Art Seelenverwandtschaft zu ihr als Künstlerin?

Marlenes Geschichte ist eine unglaubliche. Sie war ihrer Zeit weit voraus – in vielen Aspekten: Sie war eine couragierte, gewitzte, sehr gebildete Frau, die immer mitreden konnte und wollte. Dabei war sie oft lieber unter Männern, setzte sich über alle Konventionen hinweg. Sie lebte ihr Leben, wie sie es wollte. Andererseits war sie schon sehr egozentrisch, narzisstisch und eitel, aber mit diesem Hunger, dieser Leidenschaft, dieser Körperlichkeit.

Frage: Marlene Dietrich hat neben dem Privaten auch eine unglaubliche politische Geschichte.

Absolut. Und diese muss daher auch immer wieder erzählt werden: die Nachkriegszeit in Deutschland, die Tatsache, dass Marlene Dietrich bis zu ihrem Tod nicht wieder in ihrem Heimatland aufgenommen wurde, sondern als Vaterlandsverräterin verleumdet wurde, weil sie im Krieg auf Seiten der USA kämpfte. Das sagt natürlich viel über die jahrzehntelange Nachkriegskultur in Deutschland aus!

In meinen Programmen beschäftige ich mich mit diesem Phänomen: In Deutschland wurde nach dem Krieg viel zu viel verdrängt und nicht aufgearbeitet. Das hat in mir als Kind in den 60er und 70er Jahren, als mir das alles bewusst wurde, einen Prozess der Aufarbeitung ausgelöst. Und der dauert bis heute an.

Frage: Wie kam es dazu, dass Sie sich als Teenager für diese Zeit so interessierten? Durch den Geschichtsunterricht?

Nein, da kam leider gar nichts. Das hat mich damals zusätzlich wütend gemacht. Die Auseinandersetzung damit war für mich ein notwendiger, persönlicher, durchaus schmerzhafter Prozess, den ich dann als Künstlerin in meiner Arbeit kanalisierte.

Später musste ich als junge Deutsche mit diesem Kapitel auch immer wieder öffentlich und international in Interviews umgehen. In der Marlene-Show schließt sich nun der Kreis, auch dadurch, dass ich in den 80er Jahren, als ich in Paris war, tatsächlich Kontakt mit ihr hatte.

Frage: Marlene Dietrich rief sie 1988 in Paris an, drei Stunden dauerte das Telefonat. Wie kann man sich das vorstellen?

Ich wurde damals in der Presse häufig mit Marlene verglichen. Das war mir unangenehm, ich fand es übertrieben, mit so einer Legende gleichgestellt zu werden. Daher schrieb ich ihr einen Brief, in dem ich das ausdrückte.

Ich wusste nur wenig über sie, nur dass sie alleine und sehr zurückgezogen in ihrer Pariser Wohnung lebte. Sie war für mich eben eine Ikone, daher habe ich auch keine Antwort erwartet. Einen Monat später klingelte dann das Telefon in meinem Hotel. Ich kann mich noch genau an die Situation erinnern, den Tisch, an dem ich saß. Und dann haben wir drei Stunden telefoniert.

Frage: Wurde es dabei auch sehr persönlich?

Nun, geredet hat hauptsächlich sie. Es war eher ein Monolog. Das Telefon war ihre Verbindung zur Welt. Ihre Stimme und Redensart, ihre Erzählungen dienten mir dann 30 Jahre später als Grundlage für den jetzigen Theaterabend. Der Gag an der Geschichte auf der Bühne ist, dass quasi ich selbst in der Rolle der Marlene mir, als Ute, die ganze Lebensgeschichte erzähle.

Frage: Sprechen Musik und Geschichte des Marlene-Abends heute die Menschen noch an?

Man muss sich schon für diese Zeit, diese Musik, diese Frau interessieren. Dabei schlagen die gesungenen Liedern ja einen großen Bogen von der Weimarer Zeit über die großen Hollywood-Kompositionen von Cole Porter, die Broadway-Shows und die Jazzmusik, bis zu Chansons – ein großes Repertoire, weit mehr, als nur die Berliner Lieder. Natürlich ist das alles nicht gerade Popkanal-tauglich. Allerdings werden die Stücke von mir teilweise sehr abenteuerlich interpretiert, in meinem ureigenen Stil, sehr gefühlvoll, aber auch jazzig und mit einem zeitgenössischen Touch. Das dürfte für viele Generationen interessant sein.

Was hat Corona mit Ihnen als Mensch und Künstlerin gemacht?

Die Tourneen gingen erst im Sommer wieder los. Auch hier in New York startet langsam wieder das Kulturleben. Aber ehrlich gesagt habe ich die 16 Monate davor eigentlich wie ein Sabbatical erlebt. Ich fand das für mich eine sehr faszinierende Erfahrung. Natürlich sorge ich mich um all die Künstler, deren Existenz auf dem Spiel stand und steht. Ich selbst hatte mir aber schon lange eine Pause gewünscht. Ich war zuvor viel zu viel unterwegs. Zwar gingen tolle Tourneen und Auftritte verloren, aber das lässt sich nachholen. Ich habe die Zeit mit meiner Familie genossen, auch das Homeschooling mit meinem jüngsten Sohn fand ich sehr interessant. Die anderen Kinder sind wieder zu uns gezogen, wir haben uns ein paar Monate in ein kleines Landhaus zurückgezogen. Ich habe renoviert, gemalt, gekocht wie eine Verrückte. Das wollen wir übrigens unbedingt beibehalten. Früher haben wir Essen fast immer auswärts bestellt, da gibt es ja in New York genügend Möglichkeiten. Jetzt wird zuhause gekocht.

Frage: Was ändert sich noch?

Es haben sich generell neue Perspektiven eröffnet, Wertmaßstäbe zurechtgerückt. Ich werde künftig weniger auf Tournee gehen und mir mein Leben besser einteilen. Wir alle haben in dieser Zeit viel über uns und das Leben erfahren: über den als selbstverständlich empfundenen Druck. Darüber haben wir fast vergessen, wie wichtig die einfachsten Dinge sind: eine Umarmung und dieses friedliche Zentrum aus Familie und engen Freunden, das wir oft vor lauter Hektik übersehen.

  Ute Lemper: „Rendezvous mit Marlene“: Freitag, 19. November, 20 Uhr, Burghof Lörrach, Karten auch in unseren Geschäftsstellen

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