Lörrach „Eine Silbe wie ein Schluchzen“

Die Oberbadische
Martin Graff (v.l.), Gabriel Heim, Ulrich Tromm und Hermann Wichers im Gespräch.                                                                                                                                                                                                                                  Foto: Markus Greiß Foto: Die Oberbadische

Erinnerung: Trinationale Diskussionsrunde beleuchtete die Deportation Lörracher Juden vor 80 Jahren

Am 22. Oktober 1940 wurden die verbliebenen jüdischen Bürger Lörrachs von der Gestapo aus ihren Wohnungen getrieben und per Lastwagen und Zug in das Internierungslager Gurs am Fuße der Pyrenäen deportiert. In Erinnerung an das Verbrechen und die persönlichen Schicksale lud die Stadt am Mittwochabend zu einer trinational besetzten Podiumsdiskussion in den Hebelsaal des Dreiländermuseums ein.

Von Markus Greiß

L örrach. Lars Frick, Fachbereichsleiter Kultur und Tourismus, unterstrich in seiner Einführung, wie wichtig die Anerkennung des persönlichen Leids der Menschen für die Aufarbeitung des Nationalsozialismus sei. „Diese wird nicht aufhören“, betonte er. In ihrem gut einstündigen Gespräch gingen Moderator Gabriel Heim, der elsässische Autor Martin Graff, der Archivar am Staatsarchiv Basel-Stadt Hermann Wichers und der Lokalhistoriker Ulrich Tromm auf die Schicksale verschiedener jüdischer Familien aus Lörrach ein.

Deren Anteil an der Bevölkerung machte laut Tromm 1933 nicht einmal ein Prozent aus. Durch ihre Geschäftstätigkeit seien aber etwa die Familien Beck, Weil, Loeb und Schärf als Inhaber einer Metzgerei beziehungsweise zweier Textilhandungen und Möbelhäuser sowie der Kinderarzt Dr. Moses in der Stadtgesellschaft sehr sichtbar gewesen.

Der Besitz der jüdischen Einwohner kam kurz nach ihrer Deportation unter den Hammer. Versteigerungsfotos und -listen belegten den großen Andrang und zeigten, dass sich selbst Nachbarn am Eigentum bereichert hätten, so Tromm.

Ein Viertel der Internierten starb

Die insgesamt etwa 6500 jüdischen Deportierten aus Lörrach sowie dem übrigen Baden und der Pfalz erwartete in Gurs ein Lager aus nicht beheizbaren, fensterlosen Baracken, das von französischem Personal bewacht wurde. Ein Viertel der Internierten starb laut Tromm an den katastrophalen Lebensbedingungen, bevor das Lager 1942 aufgelöst und die meisten Überlebenden in die Vernichtungslager Osteuropas geschickt wurden – mit Unterstützung der französischen Vichy-Regierung.

„Gurs, eine seltsame Silbe, wie ein Schluchzen, das in der Kehle stecken bleibt“, zitierte Graff den Romancier Louis Aragon. Graff wies darauf hin, dass Frankreich die mit der Kollaboration verbundene Schuld erst unter Staatspräsident Chirac anerkannte. Gleichzeitig habe es viele Franzosen gegeben, die Verfolgte versteckten und so vor dem Tod retteten. Und Hilfsorganisationen wie das Schweizerische Rote Kreuz, dem laut Tromm zahlreiche nach Gurs deportierte Kinder ihr Überleben verdankten. Rot-Kreuz-Schwestern hatten ihnen gegen die Weisung ihrer Vorgesetzten zur Flucht in die Schweiz verholfen.

Dort war laut Hermann Wichers unter anderem durch die Fluchtwellen von 1938 bekannt, was in Deutschland passierte. Die Mehrheit im sozialdemokratisch regierten Basel habe den Nationalsozialismus abgelehnt. Seit 1931 sei in der Schweiz aber durch restriktive Gesetze versucht worden, den Anteil ausländischer Einwohner zu verringern. Entsprechend schwer hatten es Flüchtlinge, in Basel aufgenommen zu werden.

So versuchte etwa Rosa Schäublin-Grunkin, die nach Riehen geheiratet hatte, ihre inzwischen nach Gurs deportierte Lörracher Familie in die Schweiz zu holen. Die 60-jährige Mutter Fanny Grunkin durfte kommen. Sie überlebte wie Zehntausende andere Flüchtlinge den Krieg in der Schweiz. Die Einreisebewilligung für die Geschwister Marie und Josef wurde hingegen aufgrund einer „unerwünschten Belastung des Arbeitsmarkts“ abgelehnt. Sie starben letztlich in den nationalsozialistischen Vernichtungslagern.

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