Lörrach Eine Wucht

Guido Neidinger

Zunftabend-Premiere am Mittwochabend in der Alten Halle Haagen begeisterte das Publikum.

Lörrach - Darin waren sich die Besucher des Zunftabends im vergangenen Jahr einig: Das kann man nicht toppen. Doch: Die Lörracher Zunftmeister können es. Der aktuelle Zunftabend ist eine Wucht. Chapeau!
Es ist kurz vor Mitternacht. Die Alte Haagener Halle steht. Mit rhythmischem Klatschen werden die Zunftmeister gefeiert. Zurecht. Wie in der Waschmittel-Werbung (weiß, weißer, ultra-weiß), muss man sich auch für die närrische Truppe um Oberzunftmeister Andreas Glattacker immer neue Superlative einfallen lassen.

Die Mischung macht‘s

Warum es bei der Zunft wie am Schnürchen läuft? Die Mischung macht‘s. Mit Thomas Wagner, Andreas Kuck und dem zurückgekehrten Philipp Buser hat die Zunft drei Naturtalente dazugewonnen. Schon im vergangenen Jahr sorgten Wagner und Kuck für Furore. In diesem Jahr stehen sie endgültig in der ersten Reihe. Sie erreichen mit beeindruckendem Spiel, dass die alten Hasen wie Karl-Heinz Sterzel und Hansi Gempp sich etwas zurücknehmen können. Unverkennbar ist: Der Generationswechsel bei der Narrenzunft naht.
Sorgen um deren Zukunft muss sich niemand machen. Sie ist personell so gut aufgestellt wie seit vielen Jahren nicht. Außerdem: Der Teamgeist stimmt, und es wird mit viel Spaß gespielt.

Gekonnt große Politik mit Lokalkolorit gemischt

So viel Freude an der närrischen Sache fördert die Kreativität. Die Zunftmeister sprühen nur so vor Ideenreichtum. Gekonnt mischen sie die große Politik mit Lokalkolorit: Ob „Scheurebe“ Angela Merkel als Weinprinzessin am Tüllinger Weinmarkt und „Ich, der Horst“ (Seehofer) im Zwiegespräch mit Winzer Karl-Heinz Ruser oder der Grünen-Politiker Anton Hofreiter – ein erfrischendes und häufig überraschendes Wechselspiel reiht sich an das nächste.
Das Programm glänzt ohne jeden Hänger. Alles fügt sich ineinander. Selbst kleinere Textunsicherheiten werden zum Kalauer. Zum Beispiel, als Ellen Quercher einmal so vernehmbar souffliert, dass jeder im Saal es hört.

Viel lokal-regionaler Zündstoff

Apropos Themen: Lörrach, die Weiler Nachbarn und die Schweizer bieten so viel lokal-regionalen Zündstoff, dass Ausflüge in die weite Welt nur selten nötig sind. Thematisiert werden: der Tüllinger Wein (Spitzejohrgang) die Post-Misere in Lörrach (G‘schickt), das Steigenberger-Hotel (Zimmer frei), die Rathaus-Sanierung (Tipitopi), die Senioren-Stadtrundfahrten (Ben Hur) und – wie könnte es anders sein – das Stimmen-Festival (Neueweg).

Oft werden kleine Erklärstücke geschickt eingewoben. Dadurch haben auch diejenigen Spaß, deren lokale Kenntnisse lückenhaft sind. Niemand wird am Zunftabend bloß gestellt. Selbst Stimmen-Chef Markus Muffler nicht. Ihm wird ein gutes Händchen gewünscht und ein offenes Ohr für die Menschen empfohlen. Ein kleiner Wink. Das reicht.
Stark waren die Zunftmeister stets, wenn sie ihre Stimmen zum Gesang erhoben. Das ist immer noch so. Der aktuelle Zunftabend bietet sogar besonders viel Gesang. Inhaltsreich sind die Persiflagen auf bekannte Melodien zudem. Und weil die Akustik stimmt, kommen die Texte auch verständlich rüber. Nur hin und wieder vibriert das Trommelfell, wenn etwas zu viel „Pfuus“ aus den Boxen kommt oder Stimmen sich überschlagen.

Mehr als nur Pausenfüller

Die Pausenfüller sind keine Füller, sondern eigene Ein-Mann-Sketche. Thomas Wagner (Ulrike Krämer, CDU), Hansi Gempp (Vreni Hirt, SPD), Karl-Heinz Sterzel (Anton Hofreiter, Grüne) und Andreas Kuck (Fantasiefigur, Freie Wähler) greifen den Kommunalwahlkampf höchst amüsant auf.

Besonders gelungen: Das Stimmen-Finale. Damit es „bei den Stimmen wieder stimmt“, wird Chorleiterin Heidi Engler-Ludin (Andreas Kuck) engagiert. Und die verpflichtet die vier Pilsköpfe der Brauerei Lasser (Glattacker, Sterzel, Wagner und Philipp Buser). Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Die Pilsköpfe machen nicht nur beste Werbung für den Lörracher Bierproduzenten. Ihr Beatles-Medley – einfach hörenswert.

Fleißig waren die Zunftmeister schon immer. Auf mindestens eine Handvoll Rollen bringen es alle neun, bis auf Nico Vogt in zwei Nebenrollen. Die Höhepunkte: Andreas Glattacker zieht nicht nur die Fäden als Zunftmeister und mit Peter Quercher als Programmchef. Überzeugend spielt er den Häuptling „Schneller-Entscheid-Lutz“ im indianischen Tipi-Dorf, das als Rathaus-Ausweichquartier während der Sanierung dient. Philipp Buser glänzt als asiatischer Rezeptionist im Steigenberger-Hotel. Einfach genial.

Karl-Heinz Sterzel kann Bundeskanzlerin

Andreas Kuck könnte auch im wahren Leben Pöstler sein, so überzeugend kommt er in der Lörracher Post rüber. Hansi Gempp gefällt besonders gut in der Rolle „Alte Frau“– auf der OB-Stadtrundfahrt oder als Schweizerin in „Zimmer frei“. Karl-Heinz Sterzel kann Bundeskanzlerin und macht Angela Merkel alle Ehre. Klaus Ciprian-Beha sieht nicht nur aus wie ein echter Wildecker Herzbub, er brilliert auch als Sachse im Post-Sketch. Ralf Buser hat schauspielerisch enorm gewonnen und agiert überzeugend in der Doppelrolle als alte und junge Frau in „Zimmer frei“. Thomas Wagner ist der Newcomer der Zunft. Er kann fast alles spielen und brilliert als Neuhöfer-Avdic im Zelt-Rathaus, auch wenn ihm figürlich ein paar Zentimeter fehlen.

Auf der Bühne geht nichts ohne diejenigen hinter den Kulissen. Als Souffleusen unterstützen Andrea Rümmele und Ellen Quercher. Die von Wolfgang Krell gemalten Kulissen bauten Andreas Kühn, Fabian Weis und Hans-Werner Schuldt. Hergerichtet werden die Aktiven von Lilo Benz und Mary Fazis (Maske). Für die Technik sind Lukas Grussenmeyer und Nico Vogt verantwortlich. Peter Quercher ist die ordnende Hand in der Administration. Der Kartenverkauf obliegt Susanne Grussenmeyer. Für die Musik sorgt die Band „The Nightshadows“ mit ihrem Chef Rolf Hauser. Bei Bärbel Jung wird die Bar im Obergeschoss nach der Show zum beliebten Treff.
Nicht zu vergessen die Zundelgirls mit ihrer frischen, gut choreografierten, ja fast artistischen Tanznummer.

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